Cultweine

HEY BABY, TAKE A WINE FROM THE WILD SIDE...

TEXT: THOMAS VATERLAUS

Der eine gehört zu den Stars der Napa-Valles-Szene. Der andere fertigt in Zürich exklusive Totenkopf-Unikate und andere Accessoires für Celebrities. Jayson Woodbridge (Hundred Acre Winery) und Jean-Pierre Di Lenardo (Cult925) provozieren die Weinszene mit Heavy-Metal-,Rock- und Wildwest-Symbolik. Nun wollen sie einen Schweizer Pinot keltern.

 

Am Anfang dieser Geschichte steht ein Wein, besser gesagt ein Weinetikett, erstmals gesehen in einem Traditionslokal in Zürich. Das Label zeigt eine junge blonde Frau mit Sonnenbrille in einem Cabriolet, das an eines dieser Nightrider-Gefährte aus den «Mad Max»-Filmen erinnert. Die Frau ist an beiden Armen tätowiert. Mindestens drei Totenköpfe sind zu erkennen. Und während sie mit der linken Hand steuert, formt sie mit ihrem kleinen Finger und dem Zeigefinger der rechten Hand die Teufelshörner, den Heavy-Metal-Gruss.

Der Wein heisst If You See Kay, ein zweideutiger Name, denn wenn man ihn auf Englisch ausspricht, hört es sich an, als ob man «Fuck» buchstabiert. Die Inspiration für diesen Namen soll auf einer Textstelle im assoziativen Roman «Ulysses» von James Joyce aus dem Jahr 1922 beruhen.

Das samtige Gewächs mit süssem Beerenextrakt und saftiger Säure sei vom kalifornischen Star-Winemaker Jayson Woodbridge aus Trauben (Cabernet Sauvignon, Petit Verdot, Syrah und Primitivo) aus dem italienischen Lazio gekeltert worden und werde in Europa von Jean-Pierre Di Lenardo, in der Szene kurz «JP» genannt, vermarktet, erklärte mir der Wirt des Lokals. Und noch etwas sei ungewöhnlich: Der Wein werde nur für Gastronomen produziert. Für Privatleute sei er nicht käuflich. Bleibt die Frage: Wer sind die Herren hinter dieser Story?

Jaysons englische Bulldogge heisst Sir Winston Churchill und isst am liebsten Short Ribs, zubereitet mit Guinnessbier und Knoblauch. Und Dagobert, der Hund von JP, ein Rhodesian Ridgeback, trägt da für einen indianischen Totem-Anhänger am Hals, gefertigt aus 925er Sterling-Silber. Aber eigentlich geht es in diesem Artikel ja gar nicht um Hunde. Es geht um Kultweine aus dem Napa Valley, einen italienischen Alltagswein mit dem vielleicht höllischsten Etikett der neueren Weinmarketinggeschichte, Totenkopfschmuck und Bronze-Skulpturen sowie um zwei Fässer mit 50 jährigem Single Malt-Whisky aus dem Nachlass von Westernheld John Wayne, die irgendwo auf dieser Welt vor sich hinschlummern. Doch mehr dazu darf man nicht sagen, denn Jayson Woodbridge schreibt gerade ein Drehbuch über diese Story. Falls es verfilmt wird, dürfte es der letzte Film werden, in dem John Wayne die Hauptrolle spielt.

Wenn Jayson Woodbridge über Wein spricht, dann zuerst über seine drei Top lagen bei St. Helena: den Ark Vineyard, den Kayli Morgan Vineyard und den Few and Far Between Vineyard, den er gerne als «den besseren Teil des legendären Eisele Vineyard» bezeichnet. Diese Lagen sind die Basis für seine Hundred-Acre-Cabernet-Selektionen, die so konzentriert und auf dem Raritätenmarkt so teuer sind wie Harlan, Schrader oder Colgin. Aber schnell wird auch klar, dass Wein für ihn nur ein – wenn auch zentrales – Element seines hedonistischen Lifestyles ist. So spielt in seinem Weingut die Räucherkammer aus Edelstahl für Fleisch und Würste eine ebenso zentrale Rolle wie der Söndertisch für die Trauben, und ebenso wichtig wie sein Kellermeister und sein Rebbergsmanager sind die zwei Köche, die er für sich, sein Team, seine Freunde und Gäste beschäftigt.

Zwei Privatköche

Der eine, Michael Laukert, ist Amerikaner und am Culinary Institute of America ausgebildet worden. Der andere heisst Mariano Orlando und kam auf Sizilien mit einem Kochlöffel in der Hand zur Welt. Weil im Hundred-Acre-Team so viel kulinarisches Know-how vorhanden ist, gibt es seit kurzem ein grossformatiges Magazin namens «One true vine – A journal of food, wine, life» heraus. Darin sieht man die Teammitglieder morgens um 2.38 Uhr in der «Pizzeria da Baffetto» in Rom zusammen bechern. Ein paar Seiten davor porträtieren sie das «La Barra», ihr Lieblingsrestaurant im argentinischen Mendoza, und ein paar Seiten danach verraten sie die besten Rezepte für Happy-Hour-Bocadillos. Die 3000 Weinfreaks, die es auf die Mailingliste von Hundred Acre geschafft haben, kriegen das Luxus-Magazin gratis, der Rest der Welt kann es auch haben, in handverlesenen Buchläden für 39 Dollar pro Heft.

Aufgewachsen ist Jayson Woodbridge in Toronto. Sein Vater arbeitete bei einer Radiostation, seine Mutter war Krankenschwester. Geprägt, was den Genuss angeht, haben ihn aber besonders sein Grossvater mit seinem profunden Wissen über Wein und seine Grossmutter mit ihren raffinierten Kuchen und Torten, sodass er heute seine mittelpreisigen Weine als Hommage an sie unter Labels wie Cherry Pie oder Layer Cake verkauft.

Jayson Woodbridge wurde Investmentbanker, und als die Jahrtausendwende nahte, hatte er genug Geld, um sein Weinprojekt im Napa Valley zu starten. Schon zu seiner Zeit als Banker war er öfters in Zürich und fühlte sich dort wie zu Hause. Hier stiess er auf die exklusiven Schmuck und Bronze-Unikate von Jean-Pierre Di Lenardo, ebenfalls einer, der verstanden hatte, dass «du als Banker alles werden kannst, wenn es dir rechtzeitig gelingt, da wieder rauszukommen».

«Hochwertige Darstellungen von Totenköpfen und handwerklich hergestellte Weine haben etwas Entscheidendes gemeinsam. Sie sind absolut einzigartig, keiner ist wie der andere.» 

Jayson Woodbridge «Hundred Acre»-Winzer

Viermal lief Jayson Woodbridge am Schmuck-Atelier von Di Lenardo vorbei, jedes Mal war es geschlossen, was er jeweils mit einem herzhaften «Fuck» quittierte. Beim fünften Mal war der Laden geöffnet, und die beiden wurden Freunde oder, besser gesagt, «Brothers».

Die Basis für ihr erstes gemeinsames Projekt wuchs über Jahrhunderte im Terroir der kalifornischen North Coast. Woodbridge hatte vor Jahren bei einem Möbelschreiner im Sonoma County eine mehrere Hundert Kilo schwere Ahornwurzel entdeckt, die der alte Mann einst gefunden, aus Ehrfurcht gegenüber diesem Relikt aber nie verarbeitet hatte. Woodbridge schaffte es, dem Mann diese einzigartige Wurzel abzukaufen. Er brachte ein Stück davon nach Zürich, wo Jean-Pierre Di Lenardo daraus 50 massive Pfeifenobjekte fertigen liess. «Keine Dinger für zarte Frauenhände, sondern für Cowboy-Pranken, die auch eine 44er Magnum halten können.

Das klingt vielleicht altmodisch, so altmodisch wie Schwerter oder Schiesspulver. Wer raucht heute noch Pfeife? Es sind die gleichen Leute, die Smokings tragen, die eine Fliege binden können, die ein Pferd reiten oder die einen grossen Hirsch mit einem Schuss erlegen könnten, das Gewehr aber unbenutzt wieder ins Halfter zurückschieben und mit Bewunderung beobachten, wie der Hirsch im Unterholz verschwindet…», sagt Woodbridge.

Mit Tony Stark und dem «Terminator»

Die beiden Ex-Banker reichern den von ihnen zelebrierten Weinlifestyle gerne mit Metaphern aus der Rockszene und den «Wildwest»-Pionierzeiten an. So posierten sie kürzlich vor dem Zürcher Konzert der Kultband Kiss mit Frontmann Paul Stanley, oder sie gehen mit der kanadischen Rockband Nickelback auf Sauftour. Auch in Hollywoodfilmen werden gerne Jaysons Weine getrunken. In «IronMan 3» kredenzt Protagonist Tony Stark zuerst einen Hundred-Acre-Cabernet, bevor er die üblichen Bösewichte ausschaltet.

Der Skull-Schmuck von JP, manche Stücke davon sind aus Gold oder Platin gefertigt und mit Diamanten veredelt, hat ebenso prominente Träger. Denn der Totenkopf als Kultsymbol mit der Botschaft «Ich bin, was du sein wirst» ist heute allgegenwärtig. Rolling-Stones-Gitarrist Keith Richards soll nie ohne Totenkopfring aus dem Haus gehen. Auch für den «Terminator» (alias Arnold Schwarzenegger) ist er ein unverzichtbarer Begleiter. Zwar gibt JP nie preis, wer nun genau seine Accessoires trägt, sein Freund Jayson Woodbridge gehört aber gut sichtbar zu seiner Klientel.

«Totenköpfe sind wie Geweihe von Tieren absolute Unikate, keiner sieht aus wie der andere. So gesehen haben sie zumindest eine zentrale Charakteristik mit individuell an- und ausgebauten Weinen gemeinsam, oder?», fragt Jayson Woodbridge. Die Frage ist rhetorisch gemeint, denn er möchte nicht im Detail über seine Weine diskutieren: «Es gibt Leute, die reden viel über Zigarren, Whiskey oder Wein. Ich geniesse diese Dinge lieber. Ohne grosse Worte. Entscheidend ist doch nur, dass wir erkennen können, wenn etwas fuckin’ good ist, oder?»

Die beiden haben grosse Pläne: So soll der If You See Kay der Anfang für eine Weinkollektion sein, die europaweit nur in der gehobenen Gastronomie erhältlich sein soll. Zudem wollen sie demnächst gemeinsam einen Schweizer Pinot Noir keltern, vor dem selbst die Kritiker in den USA in die Knie gehen. JP Di Lenardo besitzt schon Reben im Aargauer Weinland. Der Anfang ist also gemacht. Man darf gespannt sein.

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