Rioja Gran Reserva

KEINE LUFTSCHLÖSSER!

Text: Thomas Vaterlaus, Fotos: Heinz Hebeisen

  • Allein die über 3000 Korkenzieher aus fünf Jahrhunderten lohnen den Besuch des Museo Dinastía Vivanco in Briones.
  • Das Ding aus der anderen Welt: Im beschaulichen Winzerdörfchen Elciego thront der Hotelbau von Frank O. Gehry wie ein Raumschiff, das soeben gelandet ist...
  • Knorrige Reben vor glatt glänzender Architektur: Bei Laguardia hat Santiago Calatrava die Bodega Ysios mit ihrem spektakulären Wellendach mitten in die Reben gesetzt.

Bei López de Heredia reifen sie unter Spinnweben, Staub und Kellerpilz, bei Remírez de Ganuza herrscht sterile Sauberkeit. Noch nie wurden Gran Reservas in der Rioja nach so gegensätzlichen Konzepten produziert wie heute. Zum Glück!

 

Man nennt sie Kellerkatze. Und die lauert hier in jedem Winkel. In der Jugend ist ihr Fell weiss, dann wird es allmählich schwarz. Klar, diese Katze ist kein Vierbeiner, sondern der omnipräsente Schimmelpilz, der Zasmidium cellare. In den dunklen Verliessen der Bodega von López de Heredia finden wir ihn in Form von zentimeterdicken Matten auf all den Tausenden von Flaschen, die hier jahrelang ihrer Genussreife entgegenschlummern. Und tatsächlich, wenn man mit der Hand über diese Pilzschicht streicht, fühlt sie sich wie das Fell einer Katze an oder manchmal auch wie die struppige Haarpracht eines Rastafaris… Und der Pilz ist hier nicht allein. Staub und dicke Spinnweben, welche die Funzeln wie einen festen Schirm umgeben, leisten ihm Gesellschaft. Die 46-jährige Maria José López de Heredia, die nach dem Tode ihres Vaters Pedro im vergangenen Jahr diesen heiligen Tempel der traditionellen Rioja-Kultur zusammen mit ihren Geschwistern Mercedes und Julio César weiterführt, weiss, was bei diesem Anblick im Kopf des Besuchers vorgeht. «Wir haben hier kein Brettanomyces-Problem, falls Sie gerade daran denken», sagt sie, «wissenschaftliche Studien haben das eindeutig belegt.»

Und schon sind wir mittendrin in ihrer Rioja-Philosophie, in der Kellerpilz, Spinnweben und Staub eben nicht einfach Dreck oder Schmutz sind, sondern wichtige Bestandteile einer ganz bestimmten Kellerflora, eines komplexen Gran-Reserva-Ökosystems. Ja, bei López de Heredia werden die Spinnweben fast genauso liebevoll gepflegt wie die Fässer aus amerikanischem Holz, die noch immer durchschnittlich 20 Jahre lang verwendet werden. Folgerichtig sind die Küfer hier mehr mit dem Restaurieren von alten Fässern beschäftigt als mit dem Bau von neuen. «Wissen Sie, ein steriler Raum mit neuen Fässern hat für mich keine Aura, das ist für mich kein Ort, wo eine wirkliche Gran Reserva reifen kann. Was wir in diesen klinisch sauberen Kellern erleben, ist nicht nur Paranoia, das ist schon ein Exzess an Paranoia», sagt sie.

Der gute Modernist

Vielleicht hat diese Gralshüterin des klassischen Rioja, die, wenn sie sich zu diesem Thema heiss geredet hat, kaum mehr zu stoppen ist, mit ihrer Aussage den 63-jährigen Fernando Remírez de Ganuza im Visier, der als wichtigster Vorreiter einer modernen Gran-Reserva-Philosophie gilt. Der Sohn eines baskischen Wurstwarenfabrikanten hat jahrzehntelang als Rebparzellen-Händler gearbeitet und schliesslich 1989 seine eigene Bodega gegründet. Wie bei López de Heredia ist auch bei ihm die Gran Reserva der prestigeträchtigste Wein im Sortiment, allerdings hat er diesen Wein in den letzten 25 Jahren gewissermassen von Grund auf neu erfunden. Dies beginnt schon in seinen 170 minuziös ausgewählten und schliesslich gekauften Rebparzellen, in denen er die bis 80-jährigen Stöcke mit Drahtrahmen zusätzlich stützt. Zudem lässt er jeden Frühling von den alten Stöcken die lose Rinde abbürsten, damit Insekten keine Eier darunter legen können.

Im Keller kommt ein fünfteiliger Trauben-, besser gesagt Beeren-Selektionstisch zum Einsatz. Für seine Gran Reservas verwendet er nur die perfekt ausgereiften Schultern der Trauben (die Spitzen der Trauben werden weggeschnitten und für einen einfacheren Wein verwendet). Für eine optimale Vergärung und Mazeration hat er eigene Stahltanks entwickelt, und im Stadium der Fassreife kommt ein ebenfalls einzigartiges System zum Einsatz, um regelmässig die Feinhefen aufzuwirbeln (Bâtonnage), ohne die Barriques öffnen zu müssen. Und natürlich beginnt bei ihm jede Gran Reserva ihren Reifeprozess in neuen Barriques von Seguin Moreau, und dies in einem Fasskeller, der so penibel sauber gehalten wird wie der Operationssaal in einem Spital.

Gran Reservas gibt’s erst seit 1981

So unterschiedlich die Philosophien, so unterschiedlich zeigen sich die Weine: Die Gran Reserva von López de Heredia, die nur in guten Jahren produziert wird und erst nach 20-jähriger Reife auf den Markt kommt, besticht mit einer erdigen, oft brüchig wirkenden Filigranität. Die Gran Reserva von Remírez de Ganuza dagegen, die wenn möglich jedes Jahr produziert und bereits nach rund achtjähriger Reife freigegeben wird, zeigt viel edle, aber frische Beerenfrucht und eine vielschichtige Struktur, basierend auf einem feinkörnigen Gerbstoff . Beide Weine sind hochwertige, wenn auch grundverschiedene Interpretationen der Prädikatsstufe Gran Reserva. Der Begriff übrigens ist keine jahrhundertealte Rezeptur, wie viele meinen. Erstmals reglementiert wurde die Gran Reserva sogar sehr spät, nämlich im Jahr 1981. Als Erste verwendeten womöglich französische Weinhändler den Begriff Reserva, um nach 1860 bei ihren Besuchen in der Rioja jene Fässer zu reservieren, die sie später kaufen wollten. Gebräuchlich war auch der Ausdruck Reserva de Familia für besonders gute Weine, welche von den Besitzern für Familienfeste und besondere Anlässe zur Seite gelegt wurden.

Doch grundsätzlich kamen Riojas in Spanien lange Zeit als Jungweine (Jovens) auf den Markt. Und die meist nach dem Prinzip der Macération Carbonique hergestellten Weine wurden auch jung getrunken. Die Tendenz zum jahrelangen Ausbau im Eichenfass kam erst nach dem Zweiten Weltkrieg auf und entwickelte sich in den 70er Jahren in manchen Bodegas zum Exzess. Bezeichnet wurden sie lange als «Vinosde cuatro años», also als Gewächse, die erst nach vierjähriger Reife auf den Markt kamen. Als 1981 die Bezeichnung Gran Reserva offiziell eingeführt wurde, sahen das die Kellereien nicht in erster Linie als neuen Qualitätskodex, sondern vielmehr als eine willkommene marketingtechnische Aufwertung ihrer beachtlichen Lagerbestände… Auch heute schreibt das Reglement für die Gran Reserva lediglich vor, dass der entsprechende Wein mindestens zwei Jahre im kleinen Eichenfass und danach mindestens drei Jahre in der Flasche reifen muss, bevor er verkauft werden darf. Alles Weitere hängt von der individuellen Gran-Reserva-Interpretation der einzelnen Weingüter ab.

Alte Reben, kühle Lagen

Zum Glück ist heute mehr von Parzellen, Lagen und Terroirs und weniger vom Holzausbau die Rede, wenn in der Rioja über die Gran Reservas diskutiert wird. Für Isaac Muga von der gleichnamigen Bodega in Haro ist klar: «Um wirklich langlebige Gran Reservas zu erzeugen, braucht es Trauben von alten, über 60-jährigen Stöcken aus den kühlen, hochgelegenen Lagen nordwestlich von Haro. Nur dort, in Dörfern wie Villalba de Rioja, Sajazarra oder Cellórgio findet man vollreife Trauben mit doch stolzen sechs Gramm Säure und einem pH-Wert von unter 3,4. Das sind die Werte, die es braucht, um Riojas mit grossem Entwicklungspotenzial in die Flaschen zubringen.» Und als Antwort auf die Klimaerwärmung haben die Rioja-Winzer die spätreifende Sorte Graciano als Trumpf im Ärmel. Denn gibt man etwas mehr vom säureintensiven Graciano in die Assemblage, die stets auf Tempranillo basiert, können künftig auch in wärmeren Jahren elegante Gran Reservas entstehen.

Mit unzähligen kleinen Optimierungen haben es die führenden Produzenten in den letzten Jahren geschafft, ihre Gran Reservas deutlich zu verbessern. Zu diesen kleinen, aber entscheidenden Details gehört das regelmässige Umziehen der Weine. Wenn eine Gran Reserva drei Jahre im Holz reift, wird sie mindestens siebenmal umgezogen, um den Wein vom Depot zu befreien. Bei Weinen, die fünf bis zehn Jahre im Holz liegen, finden entsprechend mehr Umzüge statt. Bei jedem Umziehen sprudelt der Wein zuerst in ein trichterförmiges Gefäss, die sogenannte Embudo, und fliesst dann von dort in ein gesäubertes Fass zurück. Dabei nimmt der Wein jedes Mal eine beträchtliche Menge Sauerstoff auf. Verschiedene Kellereien arbeiten daran, ihre Gran Reservas mit weniger Umzügen, vor allem aber mit reduktiveren Umzugstechniken in die Flaschen zu bringen, was die Weine merklich frischer erscheinen lässt. Vor allem das Kellerteam von La Rioja Alta schafft es heute meisterlich, seinen sehr traditionellen Gran Reservas 904 und 890 mit solchen akribischen Verbesserungen eine Spur mehr Charme und Finesse zu verleihen. Auch Dinosaurier brauchen ab und zu eine Frischzellenkur.

UNTERWEGS IN DER RIOJA

Zwischen knorrigen Weinstöcken und stillen Dörfern thronen die neuen Weinkathedralen von Stararchitekten wie Frank O. Gehry, Zaha Hadid oder Santiago Calatrava. Kulturell, landschaftlich, architektonisch und gastronomisch gibt sich die Rioja genauso vielfältig wie im Glas.

Das perfekte Gran-Reserva-Reiseziel ist die Kleinstadt Haro und ihr Umland, wo die Weinberge am Fusse der Sierra Cantabria eine grosszügige Beschaulichkeit ausstrahlen. Das Winzerstädtchen Laguardia thront majestätisch auf einem Hügel inmitten von Weingärten, in deren Mitte das riesige Wellendach der Bodega Ysios (Architekt: Santiago Calatrava) die Sonne einem Spiegel gleich zurückwirft. Interessant wird’s in den Altstadtgassen jeweils zwischen Donnerstagabend und Sonntag, wenn die Leute aus Bilbao herkommen, um gut zu trinken, gut zu essen und etwas Party zu machen. Ein anderes Muss ist der Spaziergang durch das Bahnhofsviertel von Haro, wo die moderne Rioja-Geschichte begann. Die mächtigen Bodegas (La Rioja Alta, López de Heredia, Muga, Cune, Bilbaínas etc.) scharen sich um den kleinen Bahnhof und künden vom Reichtum, der hier entstand, als nach 1860 die Weinhändler aus Bordeaux eintrafen, um Ersatzwein für ihre von der Reblaus zerstörten Weingärten zu kaufen.

Die urtraditionelle Bodega López de Heredia verblüfft die Besucher mit ihrem kühnen, von der irakischen Stararchitektin Zaha Hadid erbauten Besucherzentrum. Noch spektakulärer ist der Besuch von Herederos del Marqués de Riscal. Der Kontrast zwischen der Botellería, wo 140 000 Flaschen zwischen Spinnweben schlummern, und dem UFO-artigen Spektakel-Bau von Frank O. Gehry ist nicht zu überbieten. Um das Gehry-Gebäude zu erleben, muss man nicht zwangsläufig in einem der luxuriösen und teuren Zimmer nächtigen, ein Besuch des vorzüglichen Gourmet-Restaurants tut’s auch.

Ein Kontrastprogramm zum Wein bietet das Städtchen Santo Domingo de la Calzada, das ein paar Kilometer südlich der Weinberge am Pilgerweg nach Santiago de Compostela liegt. Im altehrwürdigen Hotel «Parador» im Zentrum des Städtchens wird man Ihnen gerne die Geschichte erzählen, warum in der Kathedrale in einem altarähnlichen Käfigaufbau ein Hahn und eine Henne leben…

ÜBERNACHTEN

Herederos del Marqués de Riscal

Calle Torrea 1 | E-01340 Elciego | Tel. +34 945 18 08 80 | www.hotel-marquesderiscal.com

Altehrwürdiges Gran-Reserva-Feeling in den Kellern – gastronomisches Feuerwerk im UFO-Bau von Frank O. Gehry. Nirgends in der Rioja gibt’s so spektakuläre Gegensätze auf kleinstem Raum.

Hotel Viura

Calle Mayor | E-01307 Villabuena de Alava | Tel. +34 945 60 90 00 | www.hotelviura.com

Wie ein schräger Stapel aus Schuhschachteln thront dieser Neubau im Zentrum des altehrwürdigen Winzerdorfes. Holzskulpturen und warme Farben prägen das Ambiente. Im guten Restaurant hängen Barriques unter der Decke.

Parador

Plaza del Santo 3 | E-26250 Santo Domingo de la Calzada | Tel. +34 941 34 03 00 | www.paradores-spain.com

Das einstige Pilgerhospital aus dem 11. Jahrhundert liegt auf dem Weg nach Santiago im Zentrum der Altstadt. Wenn abends die Pilger eintreffen, füllt sich das Städtchen. Morgens nach 7 Uhr, nach dem Abmarsch, wird’s wieder ruhig. Perfekt für alle, die gleichermassen spanisches Herrenhaus-Ambiente und Pilgermystik schätzen.

ESSEN

Restaurant Alameda

Plaza Félix Azpilicueta 1 | E-26360 Fuenmayor | Tel. +34 941 45 00 44 | www.restaurantealameda.com

Der Inbegriff eines gutbürgerlichen Restaurants, wenige Kilometer westlich von Logroño gelegen. Sehr gute Croquetas de Jamón Ibérico und das Chuleta de Buey (Rindskotelett) munden perfekt zu einer ehrwürdigen Gran Reserva.

Restaurant Echaurren Tradición

Calle del Padre José Garcia 19 | E-26280 Ezcaray | Tel. +34 941 35 40 47  www.echaurren.com

Das Restaurant ist rund 30 Kilometer südlich von Haro gelegen, doch die längere Anfahrt lohnt sich, denn das «Echaurren» ist mit Abstand das beste Restaurant in der Rioja. Das Haus hat auch gemütliche Zimmer.

Casa Toni

Calle de Zumalacárregui | E-26338 San Vicente de la Sonsierra | Tel. +34 941 33 40 01 | www.casatoni.es

San Vicente de la Sonsierra ist berühmt-berüchtigt für seine Osterprozessionen, bei denen sich Ordensmänner in Kapuzengewändern selbst kasteien. Bei Toni dagegen geniesst man die Annehmlichkeiten des Lebens auf sehr hohem Niveau. Moderne, aber sehr präzise Küche, tolle Weinauswahl.

Restaurant Atamauri

Plaza de Juan García Gato | E-26200 Haro | Tel. +34 941 30 32 20 | www.atamauri.com

Wer das Winzerkleinstadtleben in Haro aus nächster Nähe kennenlernen will, ist hier genau richtig. An der Bar, wo gute Tapas serviert werden, hat’s immer jemanden, der in einer Bodega arbeitet. An den Tischen im altehrwürdigen Kellergewölbe wird gutbürgerliche Küche aufgetragen.

BESUCHEN

Museo Dinastía Vivanco

Carretera Nacional 232 | E-26330 Briones | Tel. +34 941 32 23 23 | www.vivancoculturadevino.es

Eindrücklicher Kellerneubau mit einem Weinmuseum, das die grösste Korkenziehersammlung der Welt beherbergt. Absolut sehenswert! Zum Museum gehört auch ein Restaurant.

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