Weinbauregionen der Schweiz

Kaum bekannt und unterschätzt – Crus aus St. Gallen

Text: Eva Zwahlen

Ein kleiner, feiner Weinkanton mit beeindruckenden Steillagen, finessenreichen, saftigen Weissweinen und schönen, eleganten Roten: Die Produzenten und Winzer aus dem Kanton St. Gallen überzeugen zunehmend mit Spitzen-Crus.

St. Gallen? Da kommt einem das Kloster mit der prachtvollen Stiftsbibliothek in den Sinn, die St. Galler Textil- und Stickereiindustrie und die Olma mit ihrer Bratwurst. «Nur an Wein denkt kaum jemand», bedauert Stefan Hörner, seit April 2016 Ad-interim-Präsident des Branchenverbands St. Galler Wein. Das zu ändern, ist seine Aufgabe. «Wir sind dabei, neue Strukturen aufzubauen. Vor allem müssen wir uns überlegen, wie wir ausserhalb des Kantons wahrgenommen werden wollen.»

Keine Frage: als interessanter Weinproduzent! St. Gallen liegt mit 211 Hektar Reben an sechster Stelle der Deutschschweizer Weinkantone und ist damit eher klein, aber es treffe immerhin drei Rebstöcke pro Einwohner, wie Markus Hardegger von der Fachstelle Weinbau in Salez schreibt. St. Gallen hat auch verwöhnten Önophilen einiges zu bieten, angefangen bei landschaftlich berückend schönen Weinregionen. Die Rebgebiete sind recht heterogen und liegen verstreut zwischen Zürich-, Walen- und Bodensee sowie zwischen Rhein, Seez und Thur. Oft wachsen die Reben wie im St. Galler Rheintal oder am famosen Höcklistein in Rapperswil-Jona auf sehr steilen, sonnenverwöhnten Hängen, die viel Handarbeit erfordern, diese Mühe aber mit Spitzenqualitäten und ausgesprochen ausgewogenen Weinen belohnen.

Die benachbarten Bündner «haben es verstanden, sich als kompakte, greifbare Region zu präsentieren und sich mit Pinot Noir sowie zwei, drei weissen Sorten einen hervorragenden Namen zu machen». Das strebt Stefan Hörner auch für St. Gallen an. Doch bis dahin ist es noch ein langer Weg. Wenn man versuche, in Zürich einen Fachhändler für St. Galler Weine zu begeistern, sei die Reaktion immer dieselbe: Die Qualität der Weine werde als absolut überzeugend gelobt, doch dann komme die Frage: «Wo, bitte schön, liegt Sargans…?»
«Es bringt überhaupt nichts, wenn wir uns damit brüsten, 40 verschiedene Traubensorten anzubauen, die aber fast keiner kennt», meint Hörner selbstkritisch. Auch wenn er Verständnis dafür hat, dass innovative und experimentierfreudige Winzer (wie er selber) leidenschaftlich gerne mit Neuheiten in Rebberg und Keller pröbeln, was von eingefleischten Weinfreaks auch geschätzt werde. «Aber das breite Publikum ist mit dieser Vielfalt heillos überfordert.» Deshalb ist für ihn klar: «Wir müssen uns auf unsere Kernkompetenzen besinnen und diese selbstbewusst hervorheben.»

Diese Kernkompetenzen sind Blauburgunder und «immer mehr auch weisse Sorten, allen voran Müller-Thurgau, Chardonnay und Sauvignon Blanc. St. Gallen steht für frische, aromatische, nicht allzu opulente Weissweine.» Der Anteil an weissen Sorten ist in den letzten Jahren gestiegen, von 22 Prozent im Jahr 2000 auf 26 Prozent im Jahr 2015. Bei den Weissweinen könne St. Gallen problemlos in der ersten Liga mitspielen, findet Hörner, der selber auf dem Weingut Gonzen sehr filigrane, bestechend saftige Weisse keltert. «Bei den Rotweinen müssen wir noch kompromissloser arbeiten.» Denn nur mit absoluten Spitzenweinen könne man beim kundigen Publikum «einen Wow-Effekt auslösen» – und dann spiele es keine Rolle mehr, wo Mels, Balgach oder Wil liegen.

3 Fragen an…

Welches sind die Stärken des Weinkantons St. Gallen?
St. Gallen ist ein Kanton mit hervorragenden Weissweinen in sehr aromatischer Weinstilistik, der aber auch in der Lage ist, gute Rotweine herzustellen. Die Reblagen, das Klima und die gleichmässige Reifephase ermöglichen es den Produzenten, qualitativ hochstehende Weine zu keltern.

Und die Schwächen?
Ausserhalb des Kantons sind wir leider noch viel zu wenig bekannt. Zurzeit werden schätzungsweise 80 Prozent der Produktion in St. Gallen selber und im angrenzenden Appenzell konsumiert. Über die Menge können wir uns als kleiner Weinkanton nicht profilieren, nur über die Qualität. Und da ist total kompromissloses Arbeiten gefordert. Basisweine sind allgemein rückläufig. Und im Preissegment von etwa 15 Franken können es unsere Rotweine in Sachen Dichte nicht mit der Konkurrenz aus dem Süden aufnehmen. Nur mit Topweinen werden wir auf dem Markt bestehen.

Welches sind die wichtigsten Projekte des Branchenverbands?
Wir wollen unsere Kräfte bündeln, eine Einheit unter den Produzenten und Regionen schmieden, damit wir gegen aussen kompromissloser und selbstbewusster auftreten können. Wir müssen auch unsere touristischen Vorzüge besser nutzen; immer mehr werden Winzer ja auch zu Eventmanagern. Das alles braucht einen langen Schnauf. Neu ins Leben gerufen haben wir die St. Galler Weinspitzen, die im Januar 2017 zum zweiten Mal stattfinden: ein ungezwungener Anlass, der die Begegnung zwischen Besuchern und Winzern fördert. Die erste Ausgabe war ein voller Erfolg! Grundsätzlich müssen wir einfacher und greifbarer werden – St. Gallen ist also gefordert. Wir haben aber ein engagiertes, gutes Team im Vorstand. Deshalb schaue ich zuversichtlich in die Zukunft. www.stgaller-weine.ch 

Der Weinkanton St. Gallen in Zahlen

Rebfläche: 211 Hektar (davon 74% mit roten und 26% mit weissen Sorten bestockt)

Produktion 2015 (ohne Traubensaft): 0,85 Millionen Liter

Hauptrebsorten: Blauburgunder/Pinot Noir (126,5 ha = 60%) Müller-Thurgau (23,5 ha = 11%)

Weisse Spezialitäten: Chardonnay (8,8 ha), Sauvignon Blanc (7,7 ha), Johanniter (5,9 ha), Pinot Gris (3,9 ha), Räuschling (2,8 ha)

Rote Spezialitäten: Merlot (4 ha), Diolinoir (2,8 ha), Zweigelt (2,6 ha), Gamaret (2,1 ha) Merlot (4 ha), Diolinoir (2,8 ha), Zweigelt (2,6 ha), Gamaret (2,1 ha)

Struktur des St. Galler Weinbaus:

  • 400 Traubenproduzenten (sehr viele Freizeitwinzer)
  • 25 Selbstkelterungsbetriebe (inklusive Weinhandelsbetriebe, die Rebflächen in St. Gallen bewirtschaften)
  • 2 Weinbaugenossenschaften

Die Weinregionen

St. Galler Rheintal: Hier, zwischen Sevelen und dem Bodensee, profitieren die zumeist an sehr steilen Hängen auf Molasseböden wachsenden Reben vom «Traubenkocher» Föhn. Die wichtigsten Weinbaugemeinden sind Berneck (mit 40 ha die grösste des Kantons), Thal, Altstätten (ein sehenswertes Städtchen), Marbach und Balgach. Unbedingt einen Besuch wert ist das schmucke Örtchen Werdenberg mit seinem Schloss.

Sarganserland: Auch am Walensee mit den Weinbaugemeinden Weesen, Walenstadt und dem malerischen Dörfchen Quinten, das nur per Schiff oder zu Fuss zu erreichen ist, sowie in der Gegend von Mels und Sargans mit seiner trutzigen Festung ist der Föhn ein willkommener Helfer im Rebberg. Die Böden sind kalkhaltig und bringen sehr finessenreiche Weine hervor.

Zürichsee: Klein, aber spektakulär ist das Gebiet am Zürichsee mit dem famosen Höcklistein in Rapperswil-Jona (die Rosenstadt Rapperswil mit ihrem imposanten Schloss ist ein Muss). Es dominieren Nagelfluh- und Sandsteinböden.

Fürstenland: Diese winzige Weinregion mit den Weingemeinden Wil und Bronschhofen liegt an der Grenze zum Thurgau, in der nordwestlichen Ecke des Kantons.

Frümsen: Staatswingert mit Sortengarten
Im Rheintal, genauer in Frümsen, liegt auf einem terrassierten Rebhang ein Versuchs- und Demonstrationsrebberg des landwirtschaftlichen Zentrums St. Gallen, der der Weiterbildung von Winzern dient. Der grosse Anziehungspunkt für «berufsfremde» Weinliebhaber ist allerdings der imposante Sortengarten. Hier wächst eine Sammlung alter, vom Aussterben bedrohter Schweizer Rebsorten mit Raritäten wie dem Roten Heunisch oder dem Blauen Alexandriner. Mit dem Sortenschaugarten, einer Sammlung von Wildreben und seltenen europäischen wie auch pilzwiderstandsfähigen Sorten, umfasst der Garten nicht weniger als 400 Rebsorten. Unbedingt einen Besuch wert!

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