Wein und Politik

Zu Tisch beim Schweizer Staat

Text: Alexandre Truffer

Queen Elizabeth II., Fidel Castro, François Mitterrand oder Dmitri Medwedew – sie alle waren bereits Gäste der Schweizerischen Eidgenossenschaft. Und sie alle haben bei ihrem Staatsbesuch mindestens ein Galadinner genossen. Und was gab es dort zu trinken? Ein exklusiver Blick in die diskrete Welt des eidgenössischen Weingeschmacks.

 

Philippe Flück hat einen verantwortungsvollen Beruf. Er ist Chef der Sektion Zeremoniell und Besuche innerhalb des Protokolls des Eidgenössischen Departements für auswärtige Angelegenheiten (EDA) und organisiert in dieser Funktion die offiziellen Empfänge der Schweizer Eidgenossenschaft. «Der Staatsbesuch ist das höchste Besuchsniveau, das es in der Schweiz gibt», erklärt der leitende EDA-Mitarbeiter. «Dieser beinhaltet ein strenges Zeremoniell, unter anderem mit militärischen Ehren auf dem Bundesplatz und einem Galadinner.» Philippe Flück ist zusammen mit seinem Team mit der Vorbereitung der Staatsbesuche betraut. Er überwacht das Programm und kontrolliert die gesamte Logistik: Hotels, Transport, Mahlzeiten und Menüs. «Mit unserer Arbeit wollen wir einer ausländischen Delegation den Besuch so angenehm wie möglich machen, ihr zeigen, dass sie in der Schweiz willkommen ist, um so die manchmal schwierigen Verhandlungen, wenn nicht zu erleichtern, wenigstens nicht zu komplizieren», erklärt Flück. «Die Organisation der Mahlzeiten ist dabei natürlich ein wichtiges Element.»

Das Land in ein gutes Licht rücken

Als erster Schritt bei der Organisation eines eidgenössischen Dinners wird ein Menü zusammengestellt, das der geladenen Delegation entspricht und auf eventuelle Tabus bei der Ernährung eingeht. Beim Besuch eines muslimischen Staatschefs werden beispielsweise parallel zum Wein auch Fruchtsäfte serviert. «Alles wird vorab mit der Protokollabteilung des eingeladenen Landes besprochen. Wir wollen jedes unvorhergesehene Ereignis vermeiden. Die Eidgenossenschaft wählt im Hinblick auf die diplomatischen Beziehungen einen pragmatischen Ansatz. Wir wollen unsere Gesprächspartner nicht durch unsere Macht und unseren Reichtum beeindrucken, sondern erwirken, dass sie sich wohlfühlen und den bestmöglichen Eindruck von der Schweiz gewinnen. Aus diesem Grund servieren wir ausschliesslich Schweizer Weine aus dem Staatskeller – dem Weinkeller des Bundesrats», erklärt Flück. Er hält die Weinliebhaber aber an, realistisch zu bleiben: «Hier dient der Wein dazu, eine Mahlzeit zu begleiten. Die meisten unserer Gäste sind keine Spezialisten, sie geniessen einen guten Tropfen, allerdings gibt es nur sehr selten Rückmeldungen zu den Weinen. Das hindert uns aber nicht daran, die angebotenen Crus mit grösster Sorgfalt auszuwählen, die Qualität der Schweizer Weine heute macht es uns schliesslich möglich, Gewächse von hohem Niveau anzubieten.» Philippe Flück erklärt weiter, dass die Weine passend zu den Menüs ausgewählt werden, wobei es Tradition ist, Weine aus dem Kanton des anwesenden Präsidenten oder Bundesrates auszuwählen. Sogar bei der Weinauswahl bei Staatsbesuchen bleibt der Föderalismus ein grundlegender Wert der Schweizer Eidgenossenschaft. «Die Ausflüge führen ebenfalls häufig in den Kanton des Präsidenten, auch wenn das nicht vorgeschrieben ist», erklärt Flück.

Das Luxushotel des Bundes

Ebenso wie das Béatrice-von-Wattenwyl-Haus, in dem die circa 1500 Flaschen des Staatskellers aufbewahrt werden, gehört auch das Hotel «Bellevue Palace» dem Bund. Das 1865 errichtete Gebäude wurde 1913 im Jugendstil umgebaut. Es wurde während der Weltkriege vom Militär genutzt, dann zunächst 1974 von der Schweizer Nationalbank und schliesslich 1996 vom Bund gekauft. Komfortable Suiten mit schusssicherem Fensterglas stehen den in Bern gastierenden Staatsoberhäuptern zur Verfügung. Das Küchenteam unter Leitung von Gregor Zimmermann bereitet einen Grossteil der Mahlzeiten zu, die der Bund seinen ausländischen Gästen anbietet. Es erstaunt deshalb nicht, dass in den Archiven des Hauses die Menüs Dutzender offizieller Empfänge aufbewahrt werden.

«Bei einem Galadinner wird alles nach einem strengen Protokoll organisiert. Alles, was spritzt, zerläuft oder kracht, wird vermieden.»

Urs Bührer Direktor des «Bellevue Palace»

«Ein Galadinner ist ein faszinierendes Erlebnis», erklärt Hoteldirektor Urs Bührer, «alles ist auf die Minute geplant, vorbereitet und organisiert. So werden bei einem Menü alle Zutaten, die spritzen, zerlaufen, knacken, in das Dekolleté fallen oder zwischen den Zähnen steckenbleiben könnten, von vornherein vermieden.» Bührer bestätigt, dass die Köche bei der Zusammenstellung eines bei einem Staatsbesuch servierten Menüs immer ein Produkt aus der Region des Präsidenten integrieren, das dann auch als Gesprächsthema dienen kann. Während die Auswahl der internationalen oder eher regionalen Speisen in erster Linie vom persönlichen Geschmack der Bundesräte abhängt, so ist die Anzahl der Gänge immer gleich geblieben: kein prunkvolles Abendessen, sondern eine Mahlzeit mit zwei Vorspeisen, einem Hauptgang und einer Nachspeise. «Wenn wir die Menüs aus früheren Tagen betrachten, dann sage ich meinem Küchenchef gelegentlich, dass ich ihn sofort vor die Tür setze, wenn er mir derart einfache Speisen vorschlägt», lacht Urs Bührer, wenn er an die Melone mit Parmaschinken denkt, die dem argentinischen Wirtschaftsminister José Alfredo de Hoz im Jahr 1980 serviert wurde, oder an den Pilaw für den deutschen Bundespräsidenten Karl Carstens im Jahr 1982.

Schweiz, Frankreich, Champagner

Parallel zur Gastronomie entwickelte sich auch die Weinauswahl. Zum ältesten Menü, das wir finden konnten, wurde General Guisan am 18. August 1945, also drei Tage nach der Kapitulation der Japaner, von seinen Stabsoffizieren eingeladen. Um den Vol-au-Vent mit Spargel und das Hirschmedaillon zu begleiten, gab es einen Aigle Grand Vin 1943 (zweifellos aus den Weinbergen, die der Armeechef in Aigle besass) und einen Dôle aus dem gleichen Jahr. Schon bald setzt sich in den Menüs eine Systematik durch, und eine Trilogie aus Schweizer Weisswein, französischem Rotwein und Champagner begleitet die Mahlzeiten. Bei den Schweizer Weinen haben die Weine aus dem Waadtland die Nase vorn, denn fast zwei von drei Menüs beginnen mit einem Chasselas aus der Genferseeregion. Die Dézaleys stellen fast die Hälfte der Weine bei den Menüs der 1950er bis 1980er Jahre, man findet aber auch Ovailles oder Chasselas von La Côte, wie dieser Chasselas de Luins 1945, der anlässlich des Aufenthalts des iranischen Schahs im Jahr 1948 serviert wurde. Der Rest besteht aus Weissweinen aus dem Wallis, Fendant oder Arvine, die meistens durch die Kooperative Provins vinifiziert wurden. Bei den Rotweinen belegen die grossen Crus aus Bordeaux oder dem Burgund bis Anfang der 1980er Jahre die ersten Plätze, später finden auch die Rotweine aus dem Wallis (Dôle und Pinot Noir) und dem Tessin (wieder) ihren Platz. Die Champagner verschwinden Anfang der 1990er Jahre.

Diese Menüs sind ein guter Indikator für die allgemeine Wahrnehmung der Schweizer Weine. Während Waadt und Wallis und einige Häuser aus anderen Kantonen wie Mauler oder die Weingüter des Kantons Freiburg immer gut vertreten waren, gesellten sich die Tessiner Merlots erst Ende der 1970er Jahre dazu. Ein erster stiller Wein aus Neuenburg wird 1987 zu einem Abendessen zu Ehren des israelischen Präsidenten Chaim Herzog angeboten. Was Genf betrifft, so muss man den Besuch des tschechischen Präsidenten Václav Havel im Jahr 2001 abwarten, bevor es ein Chardonnay aus Dardigny auf den Tisch des Bundes schafft. Natürlich sind diese Recherchen nicht komplett, aber die circa hundert Menüs, die wir einsehen konnten, zeigen dennoch eine gewisse Kohärenz.

Ein weiteres interessantes Element: Die Namen der Erzeuger und der Weingüter werden bis in die Mitte der 2000er Jahre nicht genannt. Und es gibt auch nirgends einen «Bundeswein», obwohl der Bund Eigentümer mehrerer Rebstationen ist.«Es handelt sich nicht um eine Frage der Qualität», erklärt Frédéric Rothen, Leiter der Sektion Weinbau beim Bundesamt für Landwirtschaft. «Wir wollen privaten Erzeugern den Vorzug geben. Die Frage eines Bundesweinguts im Stil der kantonalen Weingüter im Wallis oder in Genf hat sich nie gestellt. Bereits die Auswahl eines Standorts würde sich als schwierig erweisen und wie sollte man dieses Weingut organisieren? Hundert Chasselas-Reben, um dem Kanton Waadt eine Freude zu machen, hundert Stöcke Pinot Noir für die Bündner, ein bisschen Arvine, ein bisschen Merlot? Nein, ich glaube, es ist besser, wir zeigen unseren Gästen weiterhin die Qualität und die Vielfalt der Schweizer Weine.»

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