WEINBAUREGIONEN DER SCHWEIZ

Faszinierendes Terroir-Spektrum im Kanton Aargau

Text: Eva Zwahlen

Sie haben noch nie Aargauer Wein getrunken? Dann stammen Sie zweifellos aus Zürich, Bern, Basel oder dem Bündnerland. Denn die Aargauer, immerhin 650000 potenzielle Weinkonsumenten, trinken ihren Wein selber. Zumindest zu 90 Prozent. Die Aargauer wissen nämlich, was gut ist.

Kein Wunder also, dass das Gros der Schweizer Weinliebhaber den Weinkanton Aargau – hinter Zürich, Schaffhausen und Graubünden immerhin der viertgrösste der Deutschschweiz – wenig oder gar nicht kennt. Der Aargau, politisch ein eher junges Gebilde und erst 1803 mittels der Mediationsakte von Napoleon aus dem ehemals bernischen Unteraargau, den freien Ämtern, der Grafschaft Baden und dem Fricktal zusammengestückelt, ist bis heute geprägt von grossen landschaftlichen und kulturellen Unterschieden – und von einer Vielfalt höchst heterogener Weinregionen und Terroirs. Eine Vielfalt, die zwar fasziniert, aber nur sehr schwer auf einen Nenner zu bringen ist. Den Aargauer Wein sucht man also vergebens. «Und dass mittlerweile unzählige Spezialitäten angebaut werden, hilft auch nicht gerade», findet Peter Wehrli, Präsident des Branchenverbandes Aargau, der für eine Konzentration auf das Wesentliche plädiert. «Aber natürlich sucht jeder nach einer Nische…» Peter Wehrli selbst kultiviert lediglich sieben Sorten, «das reicht».

Dezent werden Auswärtige darauf hingewiesen, dass der Kanton auf demselben Breitengrad liegt wie das Burgund. Und weniger Niederschläge zu verzeichnen hat als die «Sonnenstube » Tessin. Ideal also für Weinbau! Und prädestiniert für die Hauptsorte, den Blauburgunder alias Pinot Noir, der mehr als die Hälfte der Fläche bedeckt. Gerade auf schweren, kalkreichen Böden, wie sie im Aargau oft vorkommen, ergibt er charaktervolle Weine, wie Peter Wehrli betont, komplexe, langlebige Gewächse. Auch der Klimawandel werde daran nichts ändern: «Der Blauburgunder bleibt, er wird höchstens noch tiefgründiger und kräftiger. Allerdings bekommt er zunehmend Konkurrenz von Merlot und Malbec.» Bei den Weissen steht der früher unangefochtene Riesling-Sylvaner allerdings zunehmend unter Druck; vor allem der knackige Sauvignon Blanc setzt ihm zu, aber auch Pinot Gris, Chardonnay und Kerner sind nicht zu unterschätzen. Dabei kommen aus dem Aargau teilweise wundervoll duftige, reintönige Weissweine aus Riesling-Sylvaner, Weine mit zart exotischer Frucht und leichtfüssigem Charme, die zum Besten gehören, was aus dieser Sorte gekeltert wird.

In nahezu 80 Gemeinden des Aargau, der schon zur Römerzeit Wein kelterte, wie archäologische Funde aus Vindonissa und Augusta Raurica beweisen, wird heute (wieder) Rebbau betrieben. Die Reben wachsen vor allem in den Haupt- und Seitentälern von Reuss, Limmat, Aare und Rhein, auf sonnigen Südhängen oder an den Ufern des Hallwilersees. Die 385 Hektar sind allerdings nur ein Abklatsch, verglichen mit 1860, als rund 2700 Hektar Reben im Aargau gepflegt wurden – so viel wie heute in der ganzen Deutschschweiz! Peter Wehrli nimmt mit grosser Befriedigung zur Kenntnis, dass die Aargauer hinter ihrem Weinbau stehen, nicht nur Politik und Wirtschaft – «wenn eine Bank einen Empfang veranstaltet, wird Aargauer Wein ausgeschenkt, das ist Ehrensache» –, auch das breite Publikum bekennt sich zu «seinem» Wein. «Und es ist ein zunehmend junges Publikum», freut sich Peter Wehrli. Um die Zukunft des Aargauer Weinbaus braucht einem also nicht bange zu sein.

Der Weinkanton Aargau in Zahlen

Rebfläche: 385 Hektar, davon 70% mit roten und 30% mit weissen Sorten bestockt

Produktion 2015 (ohne Traubensaft): 1,89 Millionen Liter

Hauptrebsorten:
Blauburgunder/Pinot Noir (213 ha = 54%)
Riesling-Sylvaner/Müller-Thurgau (72 ha = 18%)

Weisse Spezialitäten: Sauvignon Blanc (13,7 ha), Pinot Gris (7,3 ha), Chardonnay (7 ha),
Kerner (3,9 ha), Gewürztraminer (2 ha)

Rote Spezialitäten: Garanoir (5,8 ha), Cabernet Dorsa (4,7 ha), Dornfelder (4 ha),
Regent (4 ha), Zweigelt (3,6 ha), Merlot (3,2 ha), Malbec (3,2 ha)

Struktur des Aargauer Weinbaus:
• 650 Traubenproduzenten
• 100 Selbstkelterer bzw. Selbstvermarkter
• 9 Genossenschaften
• 10 Weinhandelsbetriebe

Die Aargauer Weinregionen

Rund um Aarau/Schenkenbergertal:

Das landschaftlich reizvolle Schenkenbergertal wird dominiert von den stattlichen Ruinen der Burg Schenkenberg und vom malerischen Schloss Kastelen. An jedem Ende des Tals thront ein weiteres Schloss, im Osten die Stammburg der Habsburger, im Westen das Schloss Wildegg. Auf den kieshaltigen, nicht allzu tiefgründigen Jurakalkböden wachsen rassige, ausdrucksvolle Weissweine, aber auch rote Spezialitäten. Seit kurzem ist Schinznach die grösste Weinbaugemeinde des Aargau.

Fricktal:

Schwere, tonhaltige Jurakalkböden prägen das verträumte Fricktal zwischen Jura, Schwarzwald und Rhein. Zur Zeit der Kirschenblüte bietet es ein hinreissendes Spektakel.

Geissberg:

Am Südfuss des gleichnamigen Geissbergs gelegen, nordwestlich des sogenannten Wasserschlosses, wie der Zusammenfluss von Aare, Reuss und Limmat bei Brugg genannt wird, bietet die Region ebenfalls schwere, tonhaltige Jurakalkböden.

Limmattal:

Hier dominieren Jurakalk, Mergel und Moränenböden sowie Schuttablagerungen von Gletschern und Flüssen. Die berühmteste Lage im Limmattal ist zweifellos die spektakuläre Goldwand in Ennetbaden, ein schwindelerregend steiler, terrassierter Hang, der einen herrlichen Blick auf die Bäderstadt Baden bietet.

Reusstal:

Auch das Reusstal verfügt über einige stattliche Rebberge, die vor allem für ihre kraftvollen Blauburgunder bekannt sind. Die Böden bestehen mehrheitlich aus Jurakalk, Löss und Moränen.

Unteres Aaretal:

Im «Zurzibiet» (rund um die Bäderstadt Zurzach) liegt die mit fast 40 Hektar Reben bis vor kurzem grösste Weinbaugemeinde des Aargau, Tegerfelden. Das untere Aaretal ist geprägt von tiefgründigen schweren Tonböden mit hohem Kalkanteil, teilweise auch von Lössböden auf Nagelfluh.


Seetal/Wildegg:

Das idyllische Seetal am Hallwilersee mit seinen sanften Hügelzügen bietet Anziehungspunkte für Wein- und Schlossfreunde: Die Schlösser Wildegg, Hallwil und Lenzburg lohnen einen Besuch, und auf dem Brestenberg in Seengen, einer sandhaltigen Moräne am Hallwilersee, wachsen finessenreiche Weine.

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