WEINBAUREGIONEN DER SCHWEIZ

Mehr als Most –Weinwunder im Kanton Thurgau

Text: Eva Zwahlen

 

Der Thurgau trumpft mit sanften, fast bukolisch anmutenden Hügellandschaften, kulturellen Sehenswürdigkeiten und zunehmend auch mit exzellenten Weinen auf, die national für Furore sorgen. Höchste Zeit also, den fünftgrössten Deutschschweizer Weinkanton kennenzulernen.

Der Thurgau, schweizweit die Nummer eins im Obstbau und deshalb gerne als «Mostindien» tituliert, glänzt nicht nur mit Äpfeln, Birnen, Pflaumen und köstlichen Beeren, sondern zunehmend auch mit Trauben. In flüssiger Form, versteht sich.

Noch in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts schmiegte sich ein sattes Rebenband an die Ufer von Untersee, Rhein und Thur, insgesamt über 2100 Hektar. Davon ist nur noch ein Bruchteil erhalten geblieben, nämlich rund 260 Hektar. «Ja, wir sind kein grosser Weinkanton», meint Othmar Lampert fast entschuldigend. Zumindest flächenmässig, könnte er anfügen. Denn qualitätsmässig brauchen sich die Thurgauer Winzer nicht zu verstecken. Othmar Lampert, der im lauschigen Städtchen Steckbornam Südufer des Untersees sechs Hektar Reben als Selbstkelterer bewirtschaftet, präsidiert den Branchenverband Thurgau Weine seit 1997. Der grösste Teil des produzierten Weins werde im nach wie vor landwirtschaftlich geprägten Kanton selbst konsumiert, die Städte Zürich und Winterthur seien allerdings ebenfalls gute Abnehmer, erzählt er.

Lange Zeit war der Thurgau vor allem für elegante, finessenreiche, aber auch kraftvolle und tiefgründige Blauburgunder bekannt. «In den letzten Jahren stellen wir nun aber eine regelrechte Renaissance des Müller-Thurgaufest.» Die Sorte, 1882 vom Thurgauer Agrarwissenschaftler Dr. Hermann Müller (genannt Müller-Thurgau) im deutschen Geisenheim gekreuzt (aus Riesling und Madeleine Royale und nicht, wie lange angenommen, aus Riesling und Sylvaner), wurde um die Jahrtausendwende zunehmend ausgerissen. «Seit junge, innovative Winzer und Kellermeister die Sorteanders vinifizieren, findet sie plötzlich wieder Anklang beim Publikum.» Kein Wunder, denn die oft ohne biologischen Säureabbau, dafür mit einer dezenten kleinen Restsüsse gekelterten Weine bezaubern mit unwiderstehlichem Charme und einnehmendem Bouquet – sind also ideale Apéro- und Terrassenweine. Selbstverständlich nennt der Thurgau als einziger Deutschschweizer Kanton «seine» ureigene weisse Hauptsorte beim Namen: Müller-Thurgau! Und nicht etwa Riesling-Sylvaner oder gar Rivaner.

Heute geben Blauburgunder und Müller-Thurgauim Thurgau mit seinem milden Klima und bloss 800 Millimetern jährlichem Niederschlag den Ton an. Bis 1992, bevor «die staatlich vorgeschriebene Planwirtschaft à la DDR» abgeschafft wurde, waren im Thurgau nur drei Sorten erlaubt: Blauburgunder, Müller-Thurgau und Pinot Gris. Mittlerweile werden 45 Varietäten angebaut, einige davon erst im Versuchsstadium und in Kleinstmengen. Ein Blick auf die Sortenliste des Thurgaus bringt Erstaunliches zutage: Neben den üblichen Verdächtigen wie Sauvignon Blancoder Chardonnay finden sich unter den Spezialitäten auffallend viele pilzresistente Varietäten, die vornehmlich im Bioweinbau eingesetzt werden. Die Erklärung liegt auf der Hand, denn das grösste Bioweingut der Schweiz, «erfolgreicher Pionierbetrieb und Aushängeschild in einem», liegt ebenfalls im Thurgau, genauer in Iselisberg bei Uesslingen.

Agenda

Kulinarik

Jeweils im Juni findet die bei Jung und Alt beliebte Wein und Gourmetwanderung durch eine der landschaftlich reizvollen Thurgauer Weinregionen statt. Anmeldungen ab März unter: www.weingourmet-wanderung.ch

Weinweg

Auf neun Kilometern führt der Weinweg Weinfelden vom Bahnhof Weinfelden via Ottenberg und Bolthausen zurück an den Ausgangsort. Informationstafeln und Winzer mit ihren Weinen warten auf die Genusswanderer. www.weinweg-weinfelden.ch

Museum Vinorama

Die Villa Phönix in Ermatingen qist heute ein sehenswertes Weinmuseum, das die Geschichte des Weinbausam Untersee nachzeichnet. www.vinorama-ermatingen.ch

Die Thurgauer Weinregionen

Oberes Thurtal:

Im Oberen Thurtal liegen die wichtigen Anbaugebiete von Weinfelden (sehenswertes Städtchen mit Fachwerkhäusern) und dem berühmten Ottenberg mit seinen sandigen Lehmböden auf Molasse-und Moränenuntergrund, die punkto Kalkgehalt und Skelettanteil den Terroirsdes Burgund ähneln. Kein Wunder, wachsen hier grossartige Blauburgunder!

Unteres Thurtal:

Im Unteren Thurtal finden sich die ausgedehntesten Rebflächen des Kantons. Ein Muss unter den Sehenswürdigkeiten des unteren Thurtals ist die im Jahr 1150 gegründete Kartause Ittingen mitbarocker Klosterkirche, Gutshof, Seminarhotel, Rosengarten und Restaurant. Westlich von ihr liegt mit dem Iselisberg (der zu Uesslingen, der grössten Weinbaugemeinde des Thurgau, gehört) der bedeutendste zusammenhängende Rebberg des Kantons. Der imposante Rebhang bietet tiefgründige Moränenböden aus sandigem Lehm in idealer Südlage.

Untersee:

Die schmucken Weinbaudörfer Eschenz, Mammern, Steckborn, Berlingen, Salenstein (Arenenberg), Ermatingen und Tägerwilen am Ufer des Untersees profitieren vom milden, ausgleichenden Seeklima und sind vor allem für ihre aromatischen Weissweine, aber auch für schöne, fruchtige Rotweine bekannt.

Seebachtal:

Die melancholisch verträumte Landschaft um die drei Seen des Seebachtals (Nussbaumersee, Hüttwilersee und Hasensee) ist nicht nur ein grossartiges Naturschutz- und Wandergebiet, sondern bietet auch ein sehr mildes Klima, das den Rebbau begünstigt. Die Weine aus Nussbaumen, Hüttwilen, Herdern und Dettighofen sind deshalb sehr beliebt.

Rhein:

Im nordwestlichen Zipfel des Kantons, am Ufer des Rheins, wachsen Reben in Diessenhofen, Basadingen und Schlattingen.

Lauchetal:

Das kleinste Anbaugebiet rundum Frauenfeld liegt am Südhang des Immenbergs zwischen Märwil und Matzingen.

Der Weinkanton Thurgau in Zahlen

Rebfläche:

257 ha (davon 67% mit roten und 33% mit weissen Sorten bestockt)

Produktion (2015, ohne Traubensaft):

1,34 Mio. Liter

Hauptrebsorten:

Blauburgunder/Pinot Noir (139 ha = 54%), Müller-Thurgau (59 ha = 23%)

Weisse Spezialitäten:

Sauvignon Blanc (4,9 ha), Pinot Gris (4,6 ha), Chardonnay (2,5 ha), Solaris (2,3 ha)

Rote Spezialitäten:

Garanoir (4,9 ha), Regent (4,3 ha), Cabernet Jura (3,7 ha), Dakapo (2,5 ha), Léon Millot (2,3 ha), Maréchal Foch (2,1 ha)

Struktur des Thurgauer Weinbaus:

• 178 Winzer, davon sind rund 60 Selbstvermarkter (d.h., sie lassen ihre Trauben im Lohn keltern und verkaufen ihren Wein unter eigener Etikette) und 25 Selbstkelterer

• Eine grosse Kellerei und eine grosse Genossenschaft, rund die Hälfte der Thurgauer Weinproduktion wird von den beiden grossen Produzentenabgedeckt, die andere Hälfte von den Selbstkelterern und Selbstvermarktern

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