«Fair’n Green»

Wenn Öko, dann richtig

Text: Jens Tartler

Soziale und wirtschaftliche Nachhaltigkeit sollen im Weinbau stärker berücksichtigt werden. Dafür setzt sich die Initiative «Fair’n Green» ein, die jüngst in Berlin tagte.

 

Als Clemens Busch von der Initiative «Fair’n Green» hörte, dachte er: «Du brauchst nicht noch eine Kontrolle.» Aber dann las sich der renommierte Winzer von der Mosel die 150 Kriterien durch, die der Nachhaltigkeitsexperte Keith Ulrich mit seinem Beratungsunternehmen Athenga zusammengestellt hatte – und revidierte sein Urteil: «Ich bin ja schon seit mehr als 30 Jahren praktizierender Ökowinzer. Und trotzdem habe ich festgestellt, dass ich noch Defizite habe, die ich abstellen muss, wenn ich reellen Ökoanbau betreiben will.»

Ulrich, der schon Nachhaltigkeitsbeauftragter bei der Deutschen Post war, hat es geschafft, einige der angesehensten deutschen Winzer für einen Verein zu gewinnen, der das so häufig strapazierte N-Wort umfassender versteht als die gängigen Ökolabels wie Demeter oder ECOVIN. So sagte im November letzten Jahres der damals noch geschäftsführende Bundesumweltminister Peter Altmaier auf einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Branchengrössen wie Reinhard Löwenstein, Philipp Kuhn oder Meike Näkel: «Ich finde ‹Fair‘n Green› sehr beachtlich, weil die Initiative nicht nur beim Anbau auf Nachhaltigkeit setzt, sondern auch bei der Organisation des Unternehmens. Damit zeigt der Wein, wie reformfähig er ist.» Mit Verweis auf die Prüfkriterien lobte Altmaier, dass nicht nur Energieverbrauch und Recycling untersucht würden, sondern auch die Löhne für die Erntehelfer und die Tragfähigkeit der Finanzierung. «Ich hoffe, das hat Signalwirkung auch für andere Branchen», sagte der heutige Chef des Bundeskanzleramtes und Bundesminister für besondere Aufgaben damals.

Nicht weniger als einen «neuen Branchenstandard» wollen Keith Ulrich und seine verbündeten Winzer schaffen. «Fair‘n Green» soll zwar völlig unabhängig vom Verband der Prädikatsweingüter sein, aber der VDP soll der Initiative wohlgesonnen sein, ist zu hören. Bisher sind sieben Weingüter nach dem neuen Label zertifiziert, so auch Georg Breuer, Neiss und St.Urbans-Hof. Weitere zehn haben konkretes Interesse, für 2014 rechnet Ulrich mit rund 30 Vereinsmitgliedern.

Soziale Aspekte von «Öko»

Begonnen hat alles damit, dass der Weinliebhaber und verhinderte Hobbywinzer Ulrich seinen Vorbildern Busch und Löwenstein ein Angebot machte, das diese nicht ablehnen konnten. Busch wollte mehr als nur Öko, und Löwenstein ärgerte sich schon lange über das Schwarz-Weiss-Denken: «Oft geht es nur um toxisch oder synthetisch, aber die sozialen Aspekte fehlen völlig. Eine Fortentwicklung des ökologischen Weinbaus ist dringend geboten.»

Nun finden sich bei «Fair‘n Green» Ökopioniere wie Busch, aber auch ein Philipp Kuhn. Der hochdekorierte Weinmacher aus der Pfalz ist bewusst bei keinem Ökolabel, was bei «Fair‘n Green» auch nicht Pflicht ist. Kuhn verwendet zwar weder synthetischen Dünger noch Herbizide oder Insektizide. Doch bei der Pilzbehandlung möchte er auf die Chemie als «Rückversicherung» nicht ganz verzichten. Wer dem neuen Verein beitreten will, muss das für mindestens fünf Jahre tun – weniger ist für Ulrich nicht nachhaltig. Der Manager geht mit dem Winzer die 150 Kriterien durch, bei denen maximal 100 Punkte zu erreichen sind. Auf Anhieb muss der Kandidat mindestens 50 Prozent der Gesamtpunktzahl erreichen und in jedem Einzelbereich mindestens 40 Prozent. Jedes Jahr muss er sich um mindestens drei Prozentpunkte verbessern. Im Einzelbereich Unternehmensbilanz wird zum Beispiel gefragt, in welchen Bereichen der Winzer in den kommenden fünf Jahren Investitionen plant, die die gesamten Abschreibungen auf Sachanlagen übersteigen. Damit soll sichergestellt werden, dass der Betrieb nicht von der Substanz lebt. Im Bereich Umweltbilanz wird nach dem CO2-Fussabdruck für den Betrieb und die einzelnen Produkte gefragt. Beim Punkt Sozialbilanz geht es um flexible Arbeitszeit, wenn zum Beispiel ein Pflegefall in der Familie auftritt. Nicht ganz eindeutig ist der Punkt faire Löhne geregelt. Hier ist vom tariflichen Mindestlohn oder Branchenstandard die Rede. Für polnische Erntehelfer aber gibt es keinen tariflichen Mindestlohn, und der Branchenstandard liegt oft bei 5 oder 6 Euro pro Stunde. Doch Philipp Kuhn macht im Gespräch mit VINUM eine klare Ansage: «Die von der Politik geplanten 8,50 Euro sind für uns die Untergrenze.» Auch gute Unterkünfte mit modernen sanitären Anlagen seien bei «Fair‘n Green» Pflicht. Er selbst habe viele polnische Helfer schon seit 20 Jahren. «Wenn wir soziale Wildsäue wären, kämen die sicher nicht immer wieder.»

Kuhn will «Fair‘n Green» im Marketing dezent einsetzen, zum Beispiel durch ein kleines Zeichen auf dem Etikett der Flasche. Er sieht es «nicht als Konkurrenzding» zu den Ökolabels, aber er verweist darauf, dass die Kosten für die Winzer niedriger seien als bei Demeter und ECOVIN. Athenga-Geschäftsführer Ulrich rechnet vor: Ein Winzer mit bis zu 20 Hektar Anbaufläche zahlt einen Jahresbeitrag von 750 Euro, der allein für Marketingmassnahmen ausgegeben wird. Für Beratung und Zertifizierung zahlt er weniger als 3 Cent pro Liter Wein. Und für die Prüfung durch das unabhängige IMO Institut fallen zwischen 300 und 500 Euro an.

«Fair‘n Green» hat durchaus Vorbilder im Ausland, kopiert sie aber nicht. «Wir müssen uns nicht verstecken», sagt Ulrich.

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