48 Stunden in der Weinstadt Wien

Travel like a Pro

Text: Eva-Maria Dülligen, Fotos: Sabine Jackson

Durch die rosa Brille betrachten die Wiener gar nichts. Man könnte sie auch als melancholische Nörgler bezeichnen. «Net schlecht» ist das höchste Kompliment, das man von einem Einheimischen erwarten darf. Was wir auf unserem 48-Stunden-Trip durch die Millionenstadt an Genuss-Stationen aufgegabelt haben, war gar nicht mal so übel.

Wien ist Avantgarde. Wien geniesst das Leben. Ob Tramfahrer oder Klavierlehrerin, ob Youngster oder Pensionär: In der 1,8-Millionen-Einwohner-Metropole feiert man sich und den Rest der Welt, bis die Sanitäter kommen. Das sieht, riecht und hört man in jeder Gasse, vor allem in den Kernbezirken. Jedes Wohnviertel ist eine Welt für sich, ein Mikrokosmos in der Nussschale. Diese Nussschalen sind vollgestopft mit Sachertorte und gestrecktem Mokka mit Schlagobers. Mit Szene-Bars, Kunstmuseen und Modedesign. Mit Independent-Kinos, in denen man Grünen Veltliner vor der Leinwand nippen kann, Fiaker-Fahrten über den Zentral-Friedhof, auf dem der Kutscher nicht nur zu den Grabstätten von Beethoven oder Falco chauffiert, sondern auch gleich Anekdoten über sie daherwienert – und Bars in alten Gewölbekellern, an deren Eingang nicht mal ein Schild verrät, dass die Treppe runter in ein Cocktail-Paradies führt. Die österreichische Metropole ist die Antwort auf New Orleans, aber eben in Reichweite. Und der Wiener ist der personifizierte Genuss, der nicht nur Walzer tanzt, sondern an stinknormalen Werktagen im Tanzcafé «Jenseits» bis zum Sonnenaufgang zu Falco-Songs abrockt. Danach wird der Hangover erst mal weggefrühstückt: Seit 2011 darf sich die Wiener Kaffeehaus-Kultur zum immateriellen Kulturerbe der UNESCO zählen. Eine «Melange aus Mythos und Schmäh» nannte Wolfram Siebeck die zweiten Wohnzimmer, diese Lieblingsorte der Literaten alias Stefan Zweig, Elias Canetti oder Robert Musil und Maler wie Schiele und Klimt. Jedenfalls haben auch wir unseren Barfly-Kater unter anderem mit einem Kipferl im doppelten Mokka ertränkt und den Kalorienzähler zu Hause gelassen. 48 Stunden in Wien sind eigentlich ein kapitales Verbrechen angesichts tausender Verlockungen. Damit auch Sie sich stilvoll durch die schönsten Bezirke futtern, in den schrägsten Hotels absteigen und sich den feinsten El Bandito Wiens in einer unterirdischen Cocktailbar mixen lassen können, haben wir vorgekostet und Ihren Trip auf eine explosive Wochenend-Essenz eingedampft.

Tag 1

Wiener Wohnen

Kein Hotelzimmer gleicht dem anderen in dem Gründerzeit-Gebäude des 7. Bezirks, wo bis heute noch Wiener privat zur Miete wohnen. Kreativen Hirnen wie dem von Lena Hoschek, provozierende Modedesignerin mit eigenem Label – schliesslich hat sie bei Vivienne Westwood gelernt –, entspringen einige der 58 Zimmer und Suiten. 50er-Jahre-Akt-Fotografie und Egg-Chairs, barocke Tapeten und Wiener Zinshausböden sind nur ein Bruchteil des Outfits. Verliebt in diese architektonische Interpretation vom Wiener Lebensgefühl haben sich auch Promis wie Tobias Moretti oder Harald Krassnitzer, die hier regelmässig absteigen. Die Zimmerunikate greifen mal Bauhaus-Architektur, mal Freuds Tiefenpsychologie auf. Für Erst-Touris sei das hier per se nichts, bemerkt Hotel-Manager Philipp Patzel. Eher für geübte Reisende. Vor allem aber für Wien-Verliebte, die sich fühlen wollen, als würden sie hier leben.

Boutique-Hotel Altstadt Vienna
Kirchengasse 41
www.altstadt.at

9.30 h

Schoko-Torte zum Frühstück

Henry, der Norfolk Terrier, liegt unter seinem Lieblingssofa im grünen Salon. Hier, so sein zeitungslesendes Herrchen, findet er immer ein paar Krümel. Etwa von der saftigen Karotten-Tarte oder dem Sacherwürstel. Seit den Goldenen Zwanzigern ist das «Jelinek» ästhetische Kulisse für Frühstücker: in drei Salons, bis in den Abend. Die 15 verschiedenen Kaffees aus reinsortigen Bohnen einer Privatrösterei sind zum Niederknien, Gugelhupf und Schokoladen-Torte nichts für die Taille – gemma’s an! 

Café Jelinek
Otto-Bauer-Gasse 5
cafejelinek.steman.at

11 h

Ab zum Weinfrisör

Nur waschen, schneiden, legen – von wegen. Bei Christian Pulker gibt’s zur Trendfrisur gratis ein Glaserl Wein. Deshalb zählen nicht wenige Wiener Winzer zum Stammpublikum des tätowierten Gourmets, der seinen Salon nach Feierabend immer mal wieder für Whisky-, Wein- oder Leberwurstdegustationen nutzt. Das Design des Friseurladens ist so fesch wie der 54-jährige Coiffeur cool ist. Im oberen Bereich wartet eine Lounge zum Chillen und aus den Boxen pulsten bei unserem Termin Tracks von Bowies Album «Next Day».

Haircraft 
Zollergasse 7
Tel: +43 (0)1 524 81 55

13 h

Mit 2 PS zu den Toten

Friedhöfe gehören zu den beliebtesten Ausflugzielen der Wiener, wird gern behauptet. Auch für uns ist die Fiakerfahrt über den riesigen Zentralfriedhof zu Ehrengräbern von Beethoven, Mozart oder Udo Jürgens eine Odyssee. An Falcos Ruhestätte bittet Kutscher Christian, nichts mit Lippenstift auf dessen Grabmal zu schmieren. Das täten weibliche Fans nämlich oft mit: «Ich war hier!»

Fiaker-Unternehmen Wulf
Simminger Hauptstr. 230 
www.fiaker-wulf.at

15 h

Check-in im vorletzten Jahrhundert 

Ein fettes Stück Landromantik mitten im Trend-Viertel «Neubau» bekommt der Gast bei Thomas und Angela Schreiner. Feigen- und Quittenbaum, Kräuterbeet und eine Minisauna im Garten umgeben die Atrium-Terrasse. Statt wie einst «k.u.k.»-Offiziere checkt hier heute internationales Publikum in Vollholz-Zimmern ein. Bio-Schaumwein von Jurtschitsch bis hin zum Riesling-Federspiel kommen auf zehn Tische der urgemütlichen Gaststube – zu verfeinerter traditioneller Küche. Das junge Gastro-Paar verströmt Wärme in historischen Gemäuern mit trendig-coolem Anstrich. 

Schreiners – Essen & Wohnen
Westbahnstr. 42
www.schreiners.cc

19 h

Kulinarische Flashs im Edel-Beisl 

Das «Ludwig Van» könnte auch «Ludwig Fun» heissen. Denn im Erdgeschoss des Biedermeierhauses, wo der Komponist ein paar Monate gewohnt hat, läuft alles rund. Neu-Interpretationen österreichischer Küche finden etwa in Form à point gegarter Reinanke aus dem Hallstätter See mit Eierschwammerl auf Oma’s Goldrandteller. Wein-Angebot und Sommelier Robert Stark sind vorbildlich. Schrecken Sie nicht davor zurück, «Alte Kuh» zu bestellen. Dahinter verbirgt sich «XO»-gereiftes Beef, zu dem zerrissene Knödel und Nussschaum gereicht werden. Innenarchitektonisch wurde übrigens kein Versuch gemacht, das Beisl gewaltsam in die Jetztzeit zu holen. Die Patina ist geblieben.

Restaurant «Ludwig Van»
Laimgrubengasse 22
www.ludwigvan.wien

22 h

Drinks unter der Erde

28 Stufen hinter einer schmucklosen Eingangstür führen runter in den Cocktail-Untergrund. Einst halblegales Jazzlokal, hat sich das Kellergewölbe in ein von Marmor, Gold und Nussholz dominiertes Kleinod der Wiener Bar-Community verwandelt. Dresscode und Gästeliste gibt es nicht im Krypt, dafür aktuell zwölf Drinks, die das Faible von Bar-Chef Daniel Schober für Rye, Mezcal und Gin durchblitzen lassen. Dem Tequila-Cocktail El Bandito wird zentrifugierte rote Paprika untergemischt. Der schärft die Sinne, um sich auf weitere kantige Mixwunder vorzubereiten. Übrigens, Jude Law war auch schon hier.

Krypt
Wasagasse 17
mixology.eu/bars/krypt-bar-in-wien

Tag 2

10 h

Kater-Frühstück mit Bio-Bier

Mit einem Bio-Edelguss der Brauerei Gusswerk holt man sich die erschöpften Lebensgeister der durchzechten Nacht zurück. Freilich kann man seinen Hangover im «Kaas» auf dem Karmeliter-Markt auch mit hausgemachter Ingwer-Limonade, heissem Gewürzkakao oder Chai-Latte vertreiben. Feste Nahrung von steirischer Eierspeis bis zum mit Löwenzahn-Sirup getuntem Knusper-Müsli wartet in dem lichtdurchfluteten Café. Backwaren wie Mohnzelt oder Zwetschgenfleck gibt’s auch zum Mitnehmen im integrierten Shop.

«Kaas» am Markt
Karmelitermarkt 33–36
www.karmeliter.at

12.30 h

Geigenkonzert zwischen Rebstöcken

Ausnahmsweise geigt Peter Uhler nur für uns mitten im Reisenberg. Bevor er 2,5 Hektar in verschiedenen Weingärten kaufte, hat der vinologische Autodidakt Geige studiert und spielt noch heute im Sinfonie-Orchester Wien. Die musische Ader schmeckt man seinen biodynamischen Weinen an: vom im Akazienholz ausgebauten Grünen Veltliner bis zum Gemischten Satz in Rot. Violinen-Konzerte im Weinberg mit Heurigenbuffet und diversen Achteln sind auch für 2018 geplant. 

Weingärtnerei Uhler
Hackenberggasse 29/7/4
www.weinuhler.at

15 h

Mozart und Rohfisch
 

Sie lieben Mozart, Sashimi und durchdekliniertes Innen-Design? Hereinspaziert. «Shiki»-Besitzer Joji Hattari fährt alles gleichzeitig auf. Der Urgrossvater des Tokioter Dirigenten und Violinen-Spielers kochte für den Kaiser von Nippon. Joji selbst lässt drei japanische Meisterköche auf sein Szene-Publikum los. Geflämmte Makrele mit weissem Sesam, Nosu-Aubergine und Trüffel-Miso sowie Süsswasser-Aal waren eine Offenbarung. Grüner Veltliner aus dem Kamptal und Blaufränkisch aus dem Burgenland passten vorzüglich. Auf der edlen Shiki-Toilette gibt es Mozarts Violinenkonzerte auf die Ohren. Von der CD von Meister Hattari persönlich.

 

 

Shiki
Krugerstr. 3
Tel. +43 (0)1 512 73 97
www.shiki.at 

18.30 h

Veltliner im Kino-Sessel

Wer nichts von XXL-Popcorntüten und Mainstreamkinos hält, ist im «Top-Kino» so was von richtig. Über die Leinwände des nostalgischen Lichttheaters flimmern Independent-Streifen – wir haben uns die britische Tragik-Komödie «The Party» gegeben – während man sich seinen Veltliner schmecken lässt. Programm-Chef Joachim Wegenstein sorgt nicht nur mit Filmkunst in Originalsprache für Jubel unter Cineasten: Statt Fabrik-Nachos werden im Kino eigenen Restaurant inklusive Bar frische Salate und Currys serviert.

Top Kino
Rahlgasse 1
Tel. +43 (0)1 208 30 00
www.topkino.at

22 h

Tanz der Vampire

Bevor es zurück nach Hause geht, muss man einfach ins «Jenseits». Luft anhalten ist angesagt, wenn man durch den blauen Dunst des Bar-Bereichs schreitet. Im nikotinfreien Tanzraum hinter einer Glastür gibt DJ The Dude alles: «Out of the dark» oder «Rock me Amadeus!» kommen auf Wunsch auf den Platten-Teller. Er habe die gesamte Falco-Sammlung, lässt der DJ vom Pult aus wissen. Aber auch «Maschin» von Bilderbuch und «Bologna» von Wanda lassen die Beine in kafkaesker Atmo mit Gin Tonic in der Hand zucken.
Tanzcafé Jenseits

Nelkengasse 3
Tel. +43 (0)1 587 12 33 (ab 20 Uhr)
www.tanzcafe-jenseits.com

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