CHAD-Guide Merlot

Heiter bis wolkig im Norden wie im Süden

Degustation: Ursula Geiger, Sigi Hiss, Paul Liversedge, Alexandre Truffer, Text: Ursula Geiger

Merlot ist rund um den Globus beliebt. Zunehmend auch in nördlicheren Breiten. In den CHAD-Ländern Schweiz, Deutschland, Österreich und Südtirol hat die Traube ganz unterschiedliche Bedeutungen. Im Tessin ist sie die wichtigste Rebsorte und dort seit über hundert Jahren heimisch, in Deutschland hingegen ist Merlot erst seit ein paar Jahren ein Thema.

Im Jahr 2017 standen auf dem Globus auf 7,534 Millionen Hektar Rebstöcke. So hat es die OIV, die internationale Organisation für Rebe und Wein, ausgezählt. Zu den grossen Gewinnern im Rebenreigen gehören zwei Sorten: Cabernet Sauvignon, mit rund 288 000 Hektar der Spitzenreiter, und knapp dahinter Merlot mit 267 170 Hektar. Die grösste Merlot-Konzentration mit 115 746 Hektar liegt im französischen Aquitanien. Dagegen sind die 450 Hektar in Deutschland Peanuts.

Ihren Namen hat die Traube wahrscheinlich von der Amsel. Der blauschwarze Vogel heisst auf Französisch «Merle» und nascht sehr gern von den süssen Beeren. Im 14. Jahrhundert hiess die Süsse allerdings noch Crabutet Noir, erst im Jahr 1784 wurde der weichere, charmantere Namen Merlot in Libourne erwähnt. In Venetien war sie dann als Bordò bekannt, was deutliche Schlüsse auf ihre Herkunft zulässt. In den letzten 25 Jahren hat sich die Merlot-Rebfläche nahezu verdoppelt. Die fruchtigen Weine mit den weichen Tanninen sind beliebt, sogar in Peru und Bolivien gibt es Merlotflächen.

Die Traube profitiert also von der Globalisierung, von der Lust der Winzer, Neues zu probieren oder den Kunden in deutschen Landen mit einer international renommierten Sorte aufwarten zu können. Das ist nett gedacht, doch nicht immer gelingt es. Oft fehlt es an Erfahrung mit der Sorte oder man möchte auf Teufel komm raus Weine produzieren, die den grossen Vorbildern aus dem Libournais oder auch aus Übersee das Wasser reichen. Das muss nicht sein. Es geht auch mit weniger Holz, mit weniger Alkoholfülle und dafür mit einer knackigeren Säure. Diesen Merlot-Stil zu finden und im Laufe der Jahre zu verfeinern ist die wichtigste Aufgabe für die Zukunft.

Merlot im CHAD-Land

In der Schweiz ist der Merlot-Anteil mit über 1000 Hektar am höchsten. Davon wachsen rund 900 Hektar im Tessin. In Österreich stehen 724 Hektar der Sorte, wobei sich die Merlotfläche zwischen 1999 und 2015 mehr als versechsfacht hat. In Südtirol wächst Merlot auf 187 Hektar auf den tiefgründigen, lehmhaltigen Böden im Überetsch und im Etschtal. In Deutschland machen sich 670 Hektar Merlot breit, das Meiste in der Pfalz und in Rheinhessen.

Ursprung

Spannend ist es, wenn die Rebenforscher die DNA der Sorten auseinandernehmen und ganze Genealogien aus den Erkenntnissen entwerfen. In den 1990ern war schon klar, dass Merlot ein Nachfahre von Cabernet Franc ist. Doch erst vor zehn Jahren entdeckte man die Mutter: eine Rebe bei Saint-Malo in der Bretagne, die genetische Übereinstimmungen mit Merlot zeigte. Die gleiche Rebe fand sich auch in der Charente und wurde just Magdeleine Noire des Charentes getauft.

Resultate, Analysen, Statements

Es ist noch kein Meister vom Himmel gefallen. Das gilt auch im Umgang mit internationalen Top-Sorten wie Merlot, die erst seit einigen Jahren Einzug in die deutsche Reblandschaft gehalten haben. Das mag folgende Gründe haben: Zwar werden die Sommer immer heisser und trockener, doch für eine perfekte Traubenreife braucht es nicht nur Hitze und Sonne, sondern auch an den Boden angepasste Unterlagsreben, tiefwurzelnde, schon ältere Rebstöcke und Erfahrungswerte. Besonders Letzteres ist im Tessin schon seit über hundert Jahren vorhanden. In Niederösterreich und Südtirol zumindest schon seit vier Jahrzehnten.

«Am besten versucht man nicht, den Vorbildern im Libournais und im Süden nachzueifern.» 

Ursula Geiger VINUM-Redakteurin

Der extrem heisse Jahrgang 2015 wurde zwar, kaum waren die Trauben in der Kelter, als Spitzenjahrgang deklariert, doch hohe Mostgewichte machen den Spitzenjahrgang nicht allein. Die Faktoren Säure und Gerbstoffreife gehen dabei im ersten Jubel zumindest bei Influencern und Konsumenten oft vergessen. Allein der Winzer müht sich im Keller damit ab, hohe Mostgewichte und nicht ganz reifes Tannin in Balance zu bringen. Sei es über die Verweildauer auf der Maische oder mit dem behutsamen Holzeinsatz. Oder man beschreitet ganz andere Wege, macht einen klaren Schnitt und versucht nicht, den Vorbildern im Süden oder dem Libournais nachzueifern. Dass Merlot aus dem hohen Norden zur eleganten Köstlichkeit werden kann, beweist zum Beispiel der Ahr-Winzer Peter Kriechel mit seinem Merlot «B». Leichte 13,5 Vol.-%, eine satte Säure von 5 g/l und diskrete 0,9 Gramm Restsüsse zeigt die Analyse. Dass der Tropfen zwölf Monate in Barriques (Erst- und Zweitbelegung) reifte, spürt man kaum.

Diese eingehende sensorische Prüfung der Merlots aus der Schweiz, aus Deutschland, Österreich und Südtirol war extrem interessant, hat sie mir doch gezeigt, dass diese Traube zweifellos besser für Anbaugebiete südlich der Alpen geeignet ist als für den Norden. Meine persönlichen Favoriten stammen daher aus Südtirol und dem Tessin. Innerhalb meines Panels degustierte ich sechs Merlots aus dem Etschtal und bewertete drei von ihnen mit 17 oder mehr Punkten. Für mich das Highlight der Verkostung.

«Die besten Merlots aus Südtirol und dem Tessin begeistern mit samtig-weichen Tanninen.»

Paul Liversedge VINUM-Verkosterteam

Die Weine aus dem Tessin überraschten mit den unterschiedlichen Prägungen der Jahrgänge. Die Qualitäten aus 2016 punkteten höher als jene aus 2017 – den Weinen fehlte es ein wenig an Körper und Komplexität. Auch der vielgepriesene Jahrgang 2015 überzeugte nicht voll und ganz: Mehrere Muster waren von gebackener rotbeeriger Frucht geprägt, in Kombination mit süssen, karamelligen Eichenaromen. Die besten Weine aus beiden Regionen hatten Dichte und Länge. Sie begeisterten mit dunkler Frucht wie Zwetschge, Maulbeere und Damaszenerpflaume, kombiniert mit Frische und weichen, samtigen Tanninen, und zeigten jene Balance und Komplexität, die ich von einem Merlot erwarte. Zu meinen Favoriten aus Südtirol zählen der Merlot MMXV von Alois Lageder, der Lentsch Merlot Riserva 2016 und der DJJ Merlot Riserva vom Weingut Niklas. Aus dem hat mich der Castello di Cantone Merlot Riserva 2016 begeistert mit seinen seidig-weichen Tanninen und den Noten von getrockneten Orangen im Finale sowie der pure, frische, fast an Pinot erinnernde Rubro Merlot Riserva 2015 der F.lli Valsangiacomo.

Die Verkostung

Die Musterflaschen forderten wir direkt bei den Winzern an. Verkostet wurde in der Redaktion in Zürich mit Ausnahme der Qualitäten aus der Westschweiz, die Alexandre Truffer in Lausanne verkostete und die Teil eines Guides sind, der in der französischsprachigen VINUM-Ausgabe Ende Februar erschienen ist. Alle Resultate der verkosteten Weine finden Sie hier:

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