Sideways nach vorn

Guide Pinot Noir Kalifornien

Degustation: Harald Scholl, Text: Harald Scholl

Es gibt wohl wenige Rebsorten, die so klar und eindeutig mit einer Region verbunden werden, wie Pinot Noir. Die echten, stilbildenden, gesuchten, einzig wahren Weine aus dieser Rebsorte kommen aus dem Burgund, genauer gesagt von der Côte d’Or. So weit die landläufige Meinung. Und daran ist auch nicht wirklich zu rütteln, ganz gleich, was sich verändernde Rahmenbedingungen für den Weinbau auch sagen mögen.

Was für eine Fehleinschätzung! Denn vor allem in den Cool-Climate-Regionen Kaliforniens hat die Rebsorte definitiv eine zweite Heimat gefunden. Eine Heimat, die sich von allen anderen unterscheidet, die vor allem durch die klimatisch einmalige Lage am Pazifischen Ozean geprägt ist. Ständige kühle Brisen vom Meer, dazu die rapide abkühlenden Nächte sorgen für eine fast perfekte Reifeentwicklung der Trauben. Langsame und gleichmässige Reifung ist keine Besonderheit, sondern Normalität. Wenngleich natürlich auch diese Region nicht von der Veränderung des Klimas verschont bleibt.

Die (noch) guten Klimabedingungen in Verbindung mit der immer besseren Ausbildung und Kenntnis der Winzer sorgen für beständige Qualitätssteigerungen. Und auch der US-typische Experimentiergeist dürfte eine Rolle spielen. Ein Beispiel dafür ist Ted Lemon, der Gründer und Winemaker von Littorai. Gerade 25 Jahre alt war er, als er Chef de Cave bei der legendären Domaine Roulot in Meursault wurde. Sein Wissen, seine Erfahrung sind heute für viele Winzer in Kalifornien ein Massstab. Wie sich in unserem Tasting zeigte, ist vor allem der Einsatz der Holzfässer mittlerweile kein Geheimnis mehr. Nur wenige der 42 angestellten Weine zeigten jene aufdringliche, vanillige Süsse, die viele US-Weine lange Jahre kennzeichnete. Schlank, straff, mit feiner Säure, dennoch mit klarer Beerenfrucht in der Mitte, so kann heute ein Pinot aus Kalifornien schmecken. Er zeigt dabei eine Zugänglichkeit und direkte Ansprache, die vielen Weinen der Côte d’Or abgeht. Ein unverkennbarer eigener Stil, der Verfechtern der reinen Pinot-Lehre nicht kantig genug sein mag. Der aber für wunderbares Trinkvergnügen sorgt. Und noch etwas macht die Weine aus Kalifornien interessant. Im Vergleich mit den «Originalen» aus Burgund sind sie preislich deutlich bodenständiger. Im Bereich zwischen 40 bis 75 Euro ist Kalifornien definitiv konkurrenzfähig. Auch das kann ein Grund sein, sich mit diesen Pinot Noir etwas näher zu beschäftigen.

Das persönliche Statement des Verkosters

«Wer sich von den eigenen Vorurteilen löst, findet in Kalifornien spannende und eigenständige Pinots Noir.»

Harald Scholl stv. VINUM-Chefredakteur Deutschland

Die «Ups and Downs» des kalifornischen Weins folgen denen der New Yorker Börse. Nach dem 24. Mai 1976 («Judgment of Paris») standen Chardonnay und Cabernet Sauvignon aus dem Golden State plötzlich ganz oben auf der Wantlist aller Weinfreunde weltweit, die Preise für Rebflächen in Kalifornien explodierten förmlich. Die Region hatte viel zu bieten, vor allem die Topweine zählten mehr oder weniger über Nacht auch zur internationalen Spitze. Es waren klassische Familiengüter wie Ridge, Heitz, Stag’s Leap und natürlich der Judgment-Sieger in der Kategorie Chardonnay Montelena, die den Grundstein für den Ruf Kaliforniens als Anbauregion legten. Bedingt durch den Einstieg grosser Konzerne, durch eine Mutation der Reblaus, die in den 90er Jahren viele junge Weinberge zerstörte, die Konkurrenz aus Ozeanien, die schnell lernte, geschmacklich ähnliche Weine zu erzeugen, und schlussendlich auch durch die sich verändernden Geschmacksvorlieben war die Wertschätzung der Weine von Volatilität gekennzeichnet. Vor allem die noch vor 30 Jahren populäre, leicht marmeladige Frucht wird heute als billig gebrandmarkt und steht als Vorurteil für fast alle kalifornischen Weine im Raum. Zu Unrecht, die Qualitätsentwicklung vieler, gerade kleinerer Betriebe wird übersehen. Höchste Zeit, sich von diesen Vorurteilen zu lösen und die Weine aus Sonoma & Co. ernsthaft in Betracht zu ziehen. Gerade bei Pinot machen viele der Weine nicht nur Spass, sie können auch international ganz vorne mitspielen. Vielleicht braucht es ein neues Judgment of Paris, diesmal mit der französischen Rebsorte schlechthin. Wäre das spannend.

Die Verkostung

Die Muster wurden alle vom California Wine Institute angefordert. Der Fokus lag auf kleine Weinproduzenten, von den 25 grössten Weinkellereien Kaliforniens wurden nur drei berücksichtigt. Die Weine wurden in den VINUM-Redaktionsräumen in München unter optimalen Bedingungen verkostet.

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