Fröhliche Rote Bordeaux für jedes Budget – und jeden Tag

Wineguide: Basis-Bordeaux

Degustation und Text: Barbara Schroeder und Rolf Bichsel

«Wenn Bordeaux seine Absatzkrise lösen will, muss die Region umdenken und statt missverständlicher Pseudo-Grands-Crus, die echten nie das Wasser reichen können, richtige Spassweine für jeden Tag produzieren, so wie das etwa die Toskana tut», sagte vor gut zehn Jahren ein bekannter Produzent solcher «kleiner» Bordeaux etwas verbittert. Er ist leider nicht mehr von dieser Welt, sonst könnte er erleichtert feststellen, dass sein Stossgebet erhört wurde. Ganz ehrlich: Zu Grilladen, Pizza, Pasta und anderen schmackhaften Speisen für jeden Tag (selbst am Sonntag) ist Bordeaux heute die erste Wahl! Das einstige Aschenputtel mit seinen oft knochigen, herben oder sogar harten Rotweinen hat ein geradezu verblüffendes Lifting erfahren. Ganz ungeschminkt buhlt es mit knackiger Fruchtigkeit, Saft, Volumen und Pepp um die Gunst des Konsumenten. Die Tatsache, dass von 90 verkosteten «Basisbordeaux» der aktuell vertriebenen Jahre 2019 und 2020 über 70 das Prädikat «gut bis sehr gut» verdienten (Es handelt sich hier um Weine, vergessen wir das nicht, die schon ab rund sechs Euro zu haben sind und selten mehr als 15 kosten) spricht Bände.

Besonders erfreulich: So einheitlich das technische Niveau (Präzision, Reintönigkeit, Balance, Reife, Tanninqualität), so breit ist die Palette der Stile! Ob saftig, ob elegant, ob unkonventionell, was Sortenwahl anbelangt, ob traditionsbewusst oder postmodern – jeder Gaumen findet da etwas für sein Gusto. Ein weiterer Pluspunkt: Bordeaux und Bordeaux Supérieur (der strengeren Regeln unterworfen ist, was Mindestalkoholgehalt, Erntemenge und Flaschenreife anbelangt) sind Rotweine, die vom Einkaufswagen auf den Tisch gelangen dürfen. Sie können drei, vier Jahre lagern, doch sie müssen nicht. Wer es ganz genau wissen will, mag die fröhlich-fruchtigen Weine des Jahrgangs 2020 vor den im Schnitt etwas eleganteren, «klassischeren» 2019ern geniessen – doch Pflicht ist das nicht. Die einzige Regel, an die man sich halten mag, ist, die Weine generell lieber zu kühl, denn zu warm aufzutragen. Die ideale Trinktemperatur liegt bei 16 Grad.



Resultate, Analysen, Statements

«Die Individualität geht im Meer der Marken verloren. Selbst Profis finden sich in dieser Fülle nicht zurecht.»

Barbara Schroeder VINUM-Autorin

Dass Bordeaux nicht gleich Bordeaux ist, weiss jedes Kind. Zieht man alle bekannten Appellationen und selbst weniger bekannte, wie die so genannten Côtes, von der gesamten Zone ab, bleibt immer noch mehr als die Hälfte der Anbaufläche übrig. Sie produziert Bordeaux und Bordeaux Supérieur, Weine, die man mangels eines besseren Begriffs «einfache», «kleine», oder «Basis»-Bordeaux nennt, auf Französisch auch etwa «Bordeaux Génériques». Früher mag es diesen Weinen an fast an allem gefehlt haben, ausser an einem grossen Namen. Heute sind sie qualitativ untadelig und stilmässig vielfältiger denn je zuvor. Doch mit dem Absatz der Rotweine hapert es weiter. Nur gerade die trockenen Weissen, heute in der Minderzahl, verkaufen sich wie warme Semmeln. «Die Welt dreht sich immer schneller, auch hier in Bordeaux», fasst ein betroffener Winzer zusammen. «Wir setzen alles daran, reaktiv zu sein, passen uns an, produzieren besser, fruchtiger, denken ökologischer, füllen Sortenweine ab, experimentieren. Doch mit welchem Resultat?»

Das grösste Problem der Basis-Bordeaux ist die unübersichtliche Fülle an Weinen und Gütern und damit tausenden von Marken. Deren Individualität geht im Meer der Marken verloren. Selbst Profis finden sich in dieser Fülle nicht zurecht. «Wir haben echt Mühe, abzuschätzen, wohin der Zug gehen soll. Qualitativ gibt es nichts auszusetzen. Doch mit der Kommunikation hapert es. Sollen wir um die Gunst des traditionellen Bordeaux-Geniessers buhlen oder ein jüngeres Publikum umwerben?» Vielleicht einfach auf den Konsumenten hören. Denn der weiss schon, was er will. Mit Mass und Vergnügen trinken, nicht denken. Merke: Bordeaux reimt sich mit Bauch.

 

«Kleine» Bordeaux sind ephemer – genau das ist ihr Pluspunkt, doch der zählt leider nicht in der Wertung!»

Rolf Bichsel VINUM-Autor

Eigentlich hatte ich nur ein Problem (ein altes, nur zu oft erlittenes) bei dieser ansonsten so erfreulichen Verkostung: Irgendwie ist die ganze verdammte Noten(an)geberei einfach nicht für diese Art von Weinen geschaffen. Kann man einen süffigen, fruchtigen Basis-Bordeaux, der für den raschen Konsum gemacht  und für weniger als zehn Euro zu haben ist, an einem – sagen wir – guten Crus Margaux Bourgeois messen, der zehn Jahre reifen muss und dreimal so teuer ist? Ich meine, ich vergleiche «Angie», die Herz und Bein brechende Rolling-Stones-Schnulze ja auch nicht gerade mit Thelonius Monks «Round Midnight» oder mit der Nr. 21 von Bachs Goldberg-Variationen. Doch im richtigen Moment genossen, dringen mir alle drei gleich knochentief in die Poren. «Kleine» Bordeaux sind ephemer – genau das ist ihr Pluspunkt, doch der zählt leider nicht in unserer Bewertung.

Ich kann daher nur hoffen, dass die Weinfreunde, die durch diese Seiten blättern, nicht einfach nach den höchsten Punktzahlen Ausschau halten, sondern auch unsere bewusst kurz gehaltenen Kommentare lesen. Zum sommerlichen Grillabend etwa ist der mit 15 Punkten bewertete Château Gaillot-Fournier zu sechs Euro vielleicht sogar besser geeignet als der gewiss ausgezeichnete, elegante Château Camarsac Vieilles Vignes zu knapp elf Euro, den ich eher zu einem Gericht der kreativen Küche wählen würde.

Oder nehmen wir einen unserer vielen Lieblinge, der gegenüber abgebildete Mauvaise Réputation (schlechter Ruf) aus der Sorte Malbec und auch aus der gleichnamigen Genossenschaft. Klassisch ist der nicht, sondern ganz schön Rock’n’Roll, so etwas wie der «Jumping Jack Flash» der Verkostung!

Die Verkostung

Die spannende Verkostung der rund 90 Bordeaux- und Bordeaux-Supérieur-Rotweine mit Affinität für den deutschsprachigen Markt wurde vom regionalen Winzerrat organisiert. Barbara Schroeder und Rolf Bichsel nahmen die Weine im Stützpunkt der Appellation, dem auch für Besucher geöffneten Planète Bordeaux in Beychac et Caillou unter die Lupe.

Top 5 der Verkostung

RangBeschreibung
1
16,5/ 20
Punkte
Région de Bordeaux, Bordeaux, Frankreich
Château de Camarsac
2
16,5/ 20
Punkte
Bordeaux, Frankreich
Château Peychaud
3
16,5/ 20
Punkte
Région de Bordeaux, Bordeaux, Frankreich
Château Fleur Haut Gaussens
4
16,5/ 20
Punkte
Bordeaux, Frankreich
Terre de Vignerons
5
16,5/ 20
Punkte
Bordeaux, Frankreich
Vignobles Fournier

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