Villa Maria, Escarpment und Felton Road, Neuseeland

Kirschrot ist die Zukunft

Text und Fotos: Thomas Vaterlaus

  • In Central Otago, am südlichen 45. Breitengrad, ist der Pinot-Lifestyle cool: Pick-up und Winery-Hund gehören zur Grundausstattung des Winzerlebens...

Sauvignon Blanc mit Stachelbeeraroma hat Neuseeland spektakuläre Exporterfolge, aber auch hartnäckige Vorurteile eingebracht. Dabei haben die Kiwi-Winzer längst viel Interessanteres zu bieten: zum Beispiel Pinot-Noir-Selektionen mit Terroir-Charakter in verschiedensten Facetten.

 

Wir sitzen im «Weissen Haus»von Marlborough, wie man das Hotel d’Urville in Blenheim wegen seiner wuchtigen Architektur aus weissem Stein gerne nennt. Vor uns ein zartes «crispy pork belly» und im Glas der 2012er Cellar Selection von Villa Maria, dem sympathischen Big Player. Nicht weniger als sieben Gewächse umfasst allein die Pinot-Palette dieses Hauses. Die Cellar Selection ist eine vermeintlich unkomplizierte Pinot-Version, verschafft uns aber 18 000 Kilometer von zu Hause entfernt ein unvergessliches Heimaterlebnis. Mit seiner verführerischen, ja fast schon extravertierten Himbeeraromatik in der Nase und seiner perfekten Mischung aus samtiger Fülle und erfrischender Säure im Gaumen haben wir einen Pinot im Glas, der uns von seiner Anlage her an den guten alten Landwein aus einem warmen Jahr in der Schweiz erinnert, aber dieser hier ist eben einer mit neuseeländischer Power und Charme. Und dieser «Pinot unplugged» fliesst schon fast gefährlich leicht die Kehle herunter.

Angesichts der Tatsache, dass Marlborough eine perfekt geschmierte Sauvignon-Blanc-Maschine ist, wo die semiindustriell produzierten Weine acht Monate nach der Ernte bereits verkauft sind, wird gerne vergessen, dass hier auch der Grossteil der neuseeländischen Pinots angebaut wird. «Der Sauvignon ist für die Marlborough-Winzer das Pflichtprogramm, der Pinot hingegen die Kür», meint der Sommelier. Und diese Kür macht eben mehr Spass als die Pflicht. Denn während man bei einem Sauvignon-Tasting in der Regel schon beim dritten Wein nicht mehr artikulieren kann, was diesen nun von seinen Vorgängern unterscheiden soll, zeigt der Marlborough-Pinot einen viel grösseren Facettenreichtum. Was die Weine verbindet, ist ihre klare Himbeeraromatik und die samtige Fülle im Gaumen.

Rockmusik im Keller

Eigentlich ist es ja nur logisch. Das «goldene Pinot-Dreieck» in Europa liegt irgendwo zwischen Deutschland im Norden, dem Burgund im Westen und Südtirol im Süden. Und weil auf der anderen Seite der Welt, also dort, wo man hinkommen würde, wenn man durch den Erdball ein kerzengerades Loch graben könnte, alles ganz ähnlich ist wie bei uns (wenn auch vom Verlauf der Jahreszeiten her verkehrt herum), muss auch Neuseeland ein gesegnetes Pinot-Terroir sein. Und so ist es auch. Sehr unterschiedlich ist dagegen das Ambiente, in dem einem die Spitzen-Pinots begegnen. Wer im deutschen Sprachraum zu den Pinot-Winzern unterwegs ist, bewegt sich zumeist in einem bodenständigen Umfeld. Im Burgund dagegen wird noch immer Ehrfurcht erwartet, sobald so etwas wie Premier Cru auf einem Etikett steht. In Neuseeland dagegen begegnet uns der Pinot in einer geradezu verblüffend entspannten Szenerie. Spätestens nach einer Stunde im Keller wird der Besucher zum Kumpel. Und selbst wenn dann die exklusiven «Single Vineyard Selections» ins Glas kommen, wird die Rockmusik nicht leiser gestellt…

Gestern Lamm, heute Pinot

Das Terroir von Marlborough wird bestimmt durch Ton- und Schluffböden mit unterschiedlichen Anteilen von angeschwemmtem Kies und einem Klima aus langen, sonnenreichen Tagen und kühlen Nächten. Auf der anderen Seite der «Cook Strait», jener Meerenge, welche die beiden neuseeländischen Hauptinseln voneinander trennt, liegt Martinborough, das, dem Pinot Noir sei Dank, heute nicht mehr ganz so verschlafen ist wie noch vor 25 Jahren. Hier reifen die Weine zwar unter ähnlichen Bedingungen wie in Marlborough, wobei die sogenannte «Martinborough Terrace», eine dicke Kiesschicht, rund fünf Kilometer lang und einen Kilometer breit, vielleicht homogenere Bodenverhältnisse aufweist.

Zu den besten Kennern dieses Terroirs gehört Escarpment-Winemaker Larry McKenna. Im australischen Adelaide aufgewachsen und dort auch zum Winemaker ausgebildet, kam er schon 1986 nach Martinborough, als hier noch eindeutig die Schafzüchter das Sagen hatten. Das hat sich geändert. Ländlich ist die Szenerie zwar immer noch, doch nirgends wird das Pinot-Country-Living so «casual» zelebriert wie hier. Viel wichtiger ist aber, dass der Martinborough-Pinot eineigenständiges Profil zeigt. Wir finden hier meist weniger verführerische Beerenfrucht als in Marlborough, dafür eine komplexere Aromatik mit ausgeprägt kräuterwürzigen Noten und deutlich mehr Kraft und Gerbstoff im Gaumen. Die Escarpment-Pinots sind typische Vertreter dieses Stils. In Central Otago haben die Winzer gleich in Stein gemeisselt, was ihr Terroir einzigartig macht. «45th Parallel» steht auf den Blöcken, das heisst zu Deutsch: «Willkommen im südlichsten Pinot-Terroir der Welt.» Es waren Goldgräber aus Schottland, die sich vor 160 Jahren hier niederliessen und die Siedlung Arrowtown gründeten. Als der Goldfluss kurz darauf versiegte, wurden die Glücksritter zu Farmern. Und deren Nachkommen sind heute Winzer. Das restaurierte und mächtig herausgeputzte Städtchen sieht heute aus wie die Kulisse für einen Western-Film.

Der typische Otago-Winzer hat einen Pick-up, Leder-Boots und einen Hund. Pinot Noir mit Goldgräber-Flair, das gibt’s nur hier. Die schottischen Siedler haben das Gelände gerne nach Schlachten aus dem Unabhängigkeitskrieg benannt. So kommt es, dass die heute berühmteste Pinot-Lage in Neuseeland, die Bannockburn-Range, nach einem Dorf in Schottland benannt ist, wo die Engländer im 14. Jahrhundert eine bittere Niederlage einstecken mussten. Der Hang selber sieht aus wie eine Miniaturausgabe der Côte d’Or im Burgund. Wie dort finden wir einen Hügelzug mit Abbruchkante. Unterhalb dieser Kante schmiegen sich die Rebberge an den Hang. Die Stöcke wurzeln hier in einem lehmigen Schluffboden, durchsetzt mit verwittertem Schiefer.

Hier wurde 1991 das Projekt Felton Road gestartet, das heute als das Pinot-Vorzeigegut in Neuseeland schlechthin gilt. Eine konsequente Lagenphilosophie, biodynamischer Anbau, Gärung mit Naturhefen und eine ungeschönte und unfiltrierte Abfüllung sind Standard. Wer nun aber glaubt, dass hier, im südlichsten Pinot-«Grand Cru» der Welt, die Weine eine ausgesprochene Cool-Climate-Stilistik zeigen, der irrt sich. Die Felton-Road-Crus zeigen neben Aromen von Waldbeeren und dunklen Kirschen auch Noten von Anis, getrockneten Blumen und Gewürz. Im Gaumen wirken sie füllig und voll. In den südlichsten und deshalb vermeintlich kühlsten Pinot-Rebbergen der Welt, in einem fast schon kontinentalen Klima, reifen erstaunlich opulente, ja fast ein wenig südlich anmutende Gewächse.

Villa Maria, Escarpment, Felton Road: Alle drei hier vorgestellten Weine sind beste Beweise für das dynamische neuseeländische Pinot-Wunder. Und zwar gerade weil sie in ihrem jeweiligen Ausdruck so unterschiedlich sind. Denn eigentlich haben diese drei Kiwi-Spitzen-Pinots nur eines gemeinsam: den Schraubverschluss!

Weine des Winzers

 

Villa Maria Cellar Selection Pinot Noir 2012, Marlborough

Pinot Noir | 2014 bis 2017

Ein sehr feinfruchtiger, weicher Pinot mit viel Charme und Finesse. Der Wein reifte in den südlichen Ausläufern von Marlborough. Nach einer kalten Maischestandzeit von zehn Tagen Vergärung sowohl mit Natur- als auch mit Reinzuchthefen. Ausbau in französischer Eiche.

Mariage: Huhn, kalte Vorspeisen

 

Escarpment Pinot Noir 2011, Martinborough

Pinot Noir | 2014 bis 2020

Komplex mit typischer Beerenfrucht, aber auch herbalen Noten. Im Gaumen kräftig, mit präsentem, feinkörnigem Gerbstoff . Im kieshaltigen Martinborough gereift, durchlief der Wein eine 16-tägige Maischegärung und reifte elf Monate in französischer Eiche.

Mariage: Ente, Pilzragout

 

Felton Road Bannockburn Pinot Noir 2011, Central Otago

Pinot Noir | 2014 bis 2022

Aromen von roten und dunklen Beeren, dazu Kräuter und Gewürz. Im Gaumen voll, vielschichtig, würzig und dicht strukturiert. Dieser Wein wurde biodynamisch auf einem schieferhaltigen Terroir angebaut und mit Naturhefen vergoren.

Mariage: Rindfleisch, Hartkäse