Winzerlegende: Alois Lageder

Der sanfte Visionär

Text: Thomas Vaterlaus, Fotos: Hans-Peter Siffert

  • Alois Lageder
    Alois Lageder mit Georg Meissner, der heute für den An- und Ausbau der Lageder-Weine verantwortlich ist.
  • Alois Lageder
    In Margreid hat Alois Lageder die säurereiche weisse Sorte Incrocio Manzoni angepflanzt.
  • Alois Lageder
    Die Weinschenke «Vineria Paradeis» soll das erste biodynamische Restaurant Italiens werden.
  • Alois Lageder
    Die Lageder-Weinschenke liegt direkt am alten Dorfplatz von Margreid.
  • Alois Lageder
    Im falschen Büro. Für Dreharbeiten zur Serie «Kripo Bozen» wurde Casòn Hirschprunn zum Polizeihauptquartier umfunktioniert.

Er hat das einstige Weingut und Handelshaus Lageder schrittweise in einen Spitzenbetrieb verwandelt und auf biodynamischen Anbau umgestellt. Vor allem aber betreibt er den Weinbau in einem kulturell erweiterten Kontext. Dies macht den 65-jährigen Alois Lageder zum ersten Botschafter des Weinlandes Südtirol.

Es war unser Fotograf, der ihn nach der braunen Wildlederjacke fragte. Tatsächlich gibt es seit Jahrzehnten immer wieder Bilder, auf denen er diese Jacke trägt, die sich vom Stil her zwischen British Racing und moderatem Südtiroler Heimatlook ansiedeln lässt. «Sie hängt im Büro», sagt Alois Lageder, verschwindet für einen Moment und kommt prompt mit seinem Lieblingsstück, locker über der Schulter hängend, zurück. Gefertigt wurde die Wildlederjacke in den 50er Jahren vom heute nicht mehr existierenden Meraner Herrenausstatter Merlet.

«Klar träumte ich ab und zu von Projekten in der Ferne. Ein nachhaltiges Weinbauprojekt in Kaschmir oder Bangladesch hätte mich interessiert. Oder ein Lageder-Ableger in den magisch weissen Hügeln des Val d’Orcia. Rückblickend bin ich froh, dass ich die Finger davon gelassen habe. Es gibt hier genug zu tun.»

Alois Lageder hat diese Jacke geerbt, von seinem Vater, der 1963 im Alter von nur 61 Jahren starb. Dass er dieses Unikat heute noch trägt, sagt einiges über den Menschen Alois Lageder aus. Es ist nicht nur ein Statement für ausgeprägtes Qualitätsbewusstsein fern aller Trends und Moden, sondern auch ein Bekenntnis zur eigenen Herkunft. Die langfristige Optik, das Agieren in stabilen Strukturen, das ist die eine Seite von Alois Lageder. Gestaltungswille und Innovationskraft die andere.

Dank dieser auf den ersten Blick konträr erscheinenden Eigenschaften gelang es Lageder, das von ihm geerbte Weinhandelshaus, das Anfang der 70er Jahre noch vom Offenweinverkauf lebte, zu dem führenden Spitzenweingut in Südtirol umzubauen. Dass Reibungsenergie zuweilen die besten Resultate hervorbringt, zeigt sich dabei beispielhaft in der Zusammenarbeit mit seinem Schwager Luis von Dellemann, der ab Ende der 60er Jahre für rund 45 Jahre als Kellermeister agiert hat. Lageder, der in der Vinifikation durchaus bereit war, neue Wege einzuschlagen, fand in ihm jenen Gegenpol, welcher der Kontinuität im Zweifelsfall näher stand als dem Experiment. Daraus resultierte jene klassische Linie, für die Lageder heute steht.

Während andere Südtiroler Weingüter in den Zeiten von Klimaerwärmung und vieles möglich machender Kellertechnik in Gefahr gerieten, ihre Linie zu verlieren, und nicht selten allzu stark zur mediterranen Üppigkeit tendierten, blieb Lageder stets ein Garant für gut strukturierte, ausgewogene und bekömmlich trockene Charakterweine. Vor allem der Chardonnay Löwengang, seit nun genau 30 Jahren vielleicht der beeindruckendste Südtiroler Cru überhaupt, steht wie ein Fels in der Brandung und entzieht sich dank seiner individuellen Klasse je der vereinfachenden Schubladisierung zwischen Burgund und Neuer Welt. Ab den 90er Jahren zeigt das Projekt Lageder immer stärker die Handschrift seines Patrons. Auch weil er es wagte, starke Zeichen gegen den Mainstream zu setzen.

Die Vinitaly mit ihrem selbst inszenierenden Rummel war noch nie das Ding von Alois Lageder gewesen. 1996 nahm er letztmals an dieser Messe teil und rief als Alternative die «Summa» ins Leben, die dieses Jahr bereits zum 17. Mal stattgefunden hat und auf der Weingüter aus aller Welt im zeitlosen Ambiente von Casòn Hirschprunn ihre Weine präsentieren. Ebenfalls ab 1996 kooperierte Lageder für viele Jahre nicht mehr mit dem «Gambero Rosso». Der von den «Gambero»-Machern mitgeprägte Trend zum «Vino Opulento» bewog ihn zu diesem Schritt. Was Alois Lageder in jenen Jahren aber am intensivsten beschäftigte, war der Kellerneubau in Margreid. Das auf den ersten Blick zurückhaltende Gebäude, das sich fast ein wenig vor der historischen Bausubstanz des Ansitzes Tòr Löwengang zu verstecken scheint, zeigt seine ökologischen und baubiologischen Qualitäten erst auf den zweiten Blick.

Kunst als Bindeglied

Vor allem aber manifestiert dieses Gebäude die nachhaltige Auseinandersetzung von Alois Lageder mit der bildenden  Kunst. 20 Künstler aus aller Welt kamen nach Margreid, liessen sich vom Ort inspirieren und präsentierten ihre Ideen. Vier Projekte wurden schliesslich zwischen 1998 und 2000 realisiert. Alle kreisen um den Dreiklang «Natur – Kultur – Technik». Es ist verblüffend, dass diese inzwischen fast 20 Jahre alten Arbeiten, die eben keine abgeschlossenen Werke sind, sondern Einladungen zum Dialog, noch immer so frisch und klar wirken wie am ersten Tag.

«Von der Sehnsucht, im Einklang mit der Natur zu leben» des Schweizer Künstlers Christian Philipp Müller etwa besteht aus drei Glascontainern im zentralen Wintergarten des Hauses. Kraftvoll wuchert hier Spontanvegetation aus der Erde der drei Crus Löwengang, Römigberg und Lindenburg. Überall im Weingut trifft man auf die «Astral Maps» des amerikanischen Konzeptkünstlers Matt Mullican, der 53 Sternkarten in schwarze Granittafeln einritzen liess. Gerade diese Arbeit erscheint rückblickend betrachtet sich Alois Lageder, der mit seiner Familie jahrzehntelang in Bozen gelebt hat, vor wenigen Jahren entschloss, zusammen mit seiner Frau in den Ansitz Krafuss hoch über Eppan zu ziehen, legte er auch hier mit Leevers einen ummauerten Garten an, den er heute eigenhändig und liebevoll pflegt. Als Vorankündigung für die in den folgenden Jahren beginnende, minuziöse Umstellung der eigenen, 50 Hektar umfassenden Rebberge auf die biodynamische Wirtschaftsweise nach den Vorgaben des Anthroposophen Rudolf Steiner.

Kraftort Garten

Von 2000 bis 2010 spielte Alois Lageder eine zentrale Rolle beim «Museion», dem Museum für zeitgenössische Kunst in Bozen. Während seiner Präsidentschaft konnte ein rund 30 Millionen Euro teurer Museumsneubau realisiert werden. Dessen Eröffnung im Jahr 2008 wurde von einem doppelten Eklat begleitet. Der «gekreuzigte Frosch» des Künstlers Martin Kippenberger entfachte hitzigste Diskussion, motivierte den damaligen Regionalratspräsidenten zu einem Hungerstreik und beeinflusste die Landtagswahl. Gleichzeitig hinterliess die damalige Direktion ein massives Finanzloch. Alois Lageder blieb in der Verantwortung, bis sich die Situation entspannt hatte, und trat dann zurück.

Dass er heute ein distanzierteres Verhältnis zur modernen Kunst hat, führt er nicht in erster Linie auf diese «Museion»-Erfahrungen zurück, sondern auf die Tatsache, dass die Kunstszene heute von Spekulation und Lifestyle-Tendenzen dominiert werde. Deshalb engagiert er sich inzwischen mehr für die klassische Musik der Gegenwart. Jährlich werden junge Komponisten nach Margreid eingeladen und erarbeiten nach dem «Artists in Residence»-Prinzip ein Stück, das dann in Casòn Hirschprunn uraufgeführt wird.

Auch Gärten interessieren ihn. Den «Garten im Schatten des Paradeis» hinter Casòn Hirschprunn ergänzte er zusammen mit dem australischen Landschaftsarchitekten Donald Leevers (dem Schöpfer der Giardini di Venzano) mit besonderen Schattengewächsen. Und als sich Alois Lageder, der mit seiner Familie jahrzehntelang in Bozen gelebt hat, vor wenigen Jahren entschloss, zusammen mit seiner Frau in den Ansitz Krafuss hoch über Eppan zu ziehen, legte er auch hier mit Leevers einen ummauerten Garten an, den er heute eigenhändig und liebevoll pflegt.

Weichen stellen

Der Weg von Alois Lageder war vorgezeichnet. «Hätte ich nicht schon immer gewusst, dass ich bei Volljährigkeit das Weingut übernehme, wäre ich vielleicht Architekt geworden», sagt er. So blieben der elterliche Betrieb und Südtirol stets der Mittelpunkt seines Lebens. «Klar hatte ich Träume. Etwa von einem nachhaltigen Weinbauprojekt in Kaschmir oder Bangladesch. Oder von einem Lageder-Ableger in den weissen Hügel des Val d’Orcia, für mich die schönste Weinbaulandschaft Italiens. Rückblickend bin ich froh, dass ich die Finger davon gelassen habe», sagt er. Herausforderungen gibt es zu Hause genug. So kehrt gegenwärtig die Tierhaltung als Element der biodynamischen Wirtschaftsweise ins Weingut zurück. In Zusammenarbeit mit lokalen Bauern bevölkern bereits über hundert Schafe, neun Kühe und fünf Arbeitspferde die Lageder-Rebberge.

Hoch über Margreid reifen seit kurzem Trauben der neu gepflanzten Sorte Incrocio Manzoni, von der sich Lageder beschwingte Weine mit säurebetontem Nerv erhofft. Auch die Renaissance der Pergel als Antwort auf die Klimaerwärmung steht zur Diskussion. Die gutseigene Weinschenke «Vineria Paradeis» soll das erste zertifiziert biodynamische Restaurant in Italien werden. Und es gilt, Weichen zu stellen. Mit dem zuvor in Geisenheim tätigen Önologen und Wissenschaftler Georg Meissner hat er den Mann gefunden, der das Projekt Lageder langfristig weiter vorantreiben und akzentuieren soll. Und sein Sohn Alois Clemens Lageder ist seit kurzem in der Geschäftsführung des Unternehmens aktiv und für Marketing und Vertrieb verantwortlich. Für ihn hat Alois Lageder sein bisheriges Büro geräumt und sich in die Räume des benachbarten Ansitzes Löwengang zurückgezogen, also in das Haus, in dem er 1950 geboren wurde. Die Kreisläufe, die nach der Philosophie von Rudolf Steiner so wichtig sind, schliessen sich im Weingut Lageder auf fast schon zauberhafte Weise.

Die Wahrheit des Geschmacks

Das Weingut Alois Lageder bringt heute jährlich rund 35 verschiedene Weine auf den Markt, unterteilt in drei Linien. Die Basis bilden die klassischen Sortenweine, gefolgt von den Terroir-Selektionen. Die Spitze dieser Qualitätspyramide bilden die Weinhöfe, die ausschliesslich aus gutseigenen Toplagen keltern. Ein beträchtlicher Teil der Lageder-Weine stammt heute aus kontrolliert biodynamischem Anbau. Die eigenen, rund 50 Hektar umfassenden Rebberge sind bereits seit 2007 von Demeter zertifiziert. Doch auch 25 Prozent von insgesamt 110 Hektar im Besitz von Vertragswinzern, die mit dem Weingut seit Generationen auf partnerschaftlicher Ebene zusammen arbeiten, werden bereits biodynamisch angebaut. Tendenz steigend.


Alois Lageder
Weissburgunder Haberle 2013

16 Punkte | 2015 bis 2019

Dieser Pinot Bianco ist stets ein sicherer Wert. Aromen von Agrumen, aber auch ein Anflug von frischen Äpfeln und dezent kräuterwürzigen Noten. Im Gaumen fest und klar strukturiert. Ein geradliniger Wein, geprägt von seiner knackigen Frische.

 

Alois Lageder
Chardonnay Löwengang 2009

 17.5 Punkte | 2015 bis 2022

In der Nase noch verhaltene, aber vielschichtige Aromatik mit Zitrusfrüchten, dazu gleichzeitig mineralische, blumige und vornehm buttrige Noten. Im Gaumen sehr elegant und dicht strukturiert. Kompakt und harmonisch, getragen von einem tänzerischen Säurespiel.

 

Alois Lageder
Chardonnay Löwengang 2004

18 Punkte | 2015 bis 2018

Perfekt ausgereifter und komplexer Chardonnay, der noch keine klaren Alterungstendenzen in Form von Firnnoten zeigt. In der Nase Aromen von leicht kandierten Früchten, perfekt integrierte Würze. Im Gaumen getragen von einer saftigen, ja cremig wirkenden Säure.


Alois Lageder
Pinot Noir Krafuss 2010

16.5 Punkte | 2015 bis 2020

Klassisches, helles Kirschrot. Aromen von roten Beeren, dazu florale Noten und dezente Würznoten. Zeigt im Gaumen viel Struktur und eine belebende Finesse. Überaus gelungener, weil bekömmlicher Pinot ohne anbiedernde Extraktsüsse. Gerade deshalb trinkt man gerne mehr als ein Glas.


Alois Lageder
COR Römigberg Cabernet
Sauvignon 2010

18 Punkte | 2015 bis 2028

Ein grossartiger, klassisch konzipierter Cabernet, ergänzt mit sechs Prozent Petit Verdot. Aromen von roten Kirschen, aber auch Schwarzen Johannisbeeren. Dazu ein Hauch von Pfeff er, Leder, Unterholz und Noten von frischen Kräutern. Sehr gut integrierte Würznoten. Im Gaumen getragen von einem reifen, aber kernig-frischen Gerbstoff und einer präsenten Säure.


Alois Lageder
COR Römigberg Cabernet
Sauvignon 2000

18 Punkte | 2015 bis 2020

Dieser Cabernet zeigt sich jetzt in schönster Trinkreife. Noch erstaunlich jugendliche Farbe. In der Nase Aromen von reifen Beeren, komplexen balsamischen Noten, dazu ein Anfl ug von Erde, Unterholz und Garrigue-Kräutern. Im Gaumen überaus ausgewogen, mit ausgereiftem, weichem Tannin und einer angepassten Säure. Ein Bilderbuch-Cabernet!

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