Winzerlegende: Arianna Occhipinti, Sizilien

Sie weiss, was sie will 

Text: Christian Eder, Fotos: Sabine Jackson

  • Arianna Occhipinti
    Am Alberello – dem Buschbäumchen – wird ein grosser Teil der Reben von Arianna Occhipinti gezogen.
  • Arianna Occhipinti
    Frappato und Nero d’Avola eignen sich beide für diese traditionelle Form.
  • Arianna Occhipinti
    Wohnhaus, Büro und Keller: Ariannas Gut in einem Palmento der Contrada Fossa di Lupo.

Arianna Occhipinti ist das Aushängeschild des neuen sizilianischen Weinbaus: Im Südosten der Insel, im Gebiet des Cerasuolo di Vittoria, produziert die 33-jährige Weinmacherin geradlinige, klare Tropfen aus Frappato und Nero d’Avola. Nach biologischen Kriterien erschaffen, gewinnen sie der Sonne Siziliens eine überaus elegante Facette ab. 

«Als ich 16 war, hat mich mein Onkel Giusto auf die Vinitaly – die Veroneser Weinmesse – geholt. Ich habe den ganzen Tag Wein ausgeschenkt, aber vor allem habe ich mir die Leute angesehen, diese faszinierende Welt des Weines entdeckt. Da habe ich gewusst: Das will auch ich machen.»

Die junge, sonnengebräunte Winzerin mit den langen braunen Haaren beugt sich über den kleinen Setzling, der sich inmitten jahrzehntealter knorriger Buschbäumchen nach Sonne sehnt, seine kleinen Blätter dem Licht entgegenstreckt. Mit ihren kräftigen Händen befreit Arianna Occhipinti den Boden rundherum von Unkraut und versucht, ihm die besten Voraussetzungen zum Wachsen zu geben. «Es ist eine Unterlagsrebe», erklärt sie, «im Spätsommer– wenn er sich gut entwickelt – wird er mit Nero d’Avola aufgepfropft.» Wir sind in Ariannas Weingut Bombolieri ganz im Süden Siziliens: Die Sonne strahlt vom wolkenlosen Himmel, aber eine feine Brise sorgt für angenehme Frische in den Rebbergen. Die Nähe zum Meer und zu den Ibleischen Bergen prägt das Klima. Vittoria ist seit den Zeiten Magna Grecias ein Weinbaugebiet. Im örtlichen Winzerkonsortium, das für den Cerasuolo di Vittoria DOCG verantwortlich ist, sind rund 20 Mitglieder organisiert. Arianna ist Vizepräsidentin des Konsortiums und neuerdings auch Präsidentin der Strada del Vino del Cerasuolo. Seit sie diese Funktion hat, sind einige der wilden Mülldeponien verschwunden, die sich entlang der Weinstrasse fanden. Und Schilder weisen auf die Winzer hin, die entlang der Strada del Vino zu finden sind. 

Intensive und harmonische Weine

So auch auf Arianna Occhipintis neuem, 2013 gebauten Keller in der Contrada Fossa di Lupo: Hier sind – nur ein paar Kilometer von der Contrada Bombolieri entfernt – die meisten ihrer Reben zu finden. Gesunde, knackige Stöcke mit Nero d’Avola und Frappato, Alberelli, Buschbäumchen, wie sie Arianna liebt, weil sie intensive harmonische Weine ergeben. Neben einem alten Palmento hat Arianna ihren Keller errichten lassen, und im Palmento selbst – einem alten Weingut– sind die Büros untergebracht, ein Verkostungsraum und ihre Wohnung. Im Boden des Palmento sieht man noch die in Stein gehauenen Becken, in denen einst der Wein fermentierte. Gleich daneben, in der Küche, sitzen wir und probieren ihre Weine. Dazu hat sie Nudeln mit selbst gepflücktem wildem Fenchel und Sardellen gekocht. Davor serviert sie als Aperitif ihren Frappato-Spumante, den sie nur zum Eigengebrauch in einer Miniauflage von 200 Flaschen produziert hat. Rosafarben, knackig und säurebetont demonstriert er die Leichtigkeit und doch auch den Charakter dieser Rebsorte.

Arianna ist erst 33 Jahre alt: Zu jung für eine Winzerlegende, sagen Sie? Aber als Weinmacherin hat sie schon zwölf Jahre Erfahrung: 2004 hat sie ihren ersten Wein produziert. Fast wurde ihr das Weinmachen in die Wiege gelegt: Occhipinti heisst auch ihr Onkel Giusto, einer der Gründer des Weingutes COS. Giusto Occhipinti war einer der Ersten, der auf den Cerasuolo di Vittoria gesetzt hat, die Cuvée aus Nero d’Avola und Frappato.

Der erste DOCG-Wein Siziliens wird nämlich ausschliesslich nahe der gleichnamigen Stadt produziert und wurde lange Zeit etwas scheel beäugt im Vergleich zu den alkohol-, farb- und extraktreichen roten sizilianischen Kreszenzen, die sich weltweit gut verkauften. Der hellrote klare Wein wurde als einfacher Trinkwein unterbewertet. Nur wenige Winzer glaubten an sein Potenzial. Aber Giusto Occhipinti kreierte einen Cerasuolo, den er in Amphoren reifen liess, und liess damit das Potenzial des Weines erahnen.

Giusto hat seiner Nichte auch die Welt des Weines nähergebracht. Dafür zollt ihm Arianna bis heute Respekt: «Die Liebe zur Natur wurde mir auch von meinen Eltern mitgegeben, aber  diese Gabe, diese Liebe zur Handwerkskunst, die ein Winzer haben muss, habe ich von Giusto. Als ich 16 war, hat er mich auf die Vinitaly– die Veroneser Weinmesse – geholt. Ich habe den ganzen Tag Wein ausgeschenkt, aber vor allem habe ich mir die Leute angesehen, diese faszinierende Welt des Weines entdeckt. Da habe ich gewusst: Das will auch ich machen.» 

 

Wiederentdeckung des Cerasuolo

Arianna studierte Önologie in Mailand. Noch während sie im dritten Jahr auf der Uni war – 2004 –, produzierte sie ihren ersten Jahrgang, kurz darauf, im Dezember, machte sie ihren Abschluss. «Aber das Studium war fundamental, um mir Sicherheit zu geben.» Dann ging es Schlag auf Schlag: Immer eigenständiger wurden ihre Weine, immer wichtiger die Wiederentdeckung des Cerasuolo di Vittoria und seiner Basis, der Rebsorten Frappato und Nero d’Avola. Arianna: «Cerasuolo ist ein Wein, der klar eine Frucht des Terroirs von Vittoria ist – den kalkhaltigen Tuffsteinböden, dem milden, vom Mittelmeer geprägten Klima. Kein banaler, sondern ein langlebiger, eleganter Wein, fruchtbetont, facettenreich.»

Sie schwenkt aber bereits ein Glas mit einem kirschroten, brillanten Tropfen – einem Frappato, den sie 2013 zum zehnjährigen Jubiläum ihrer ersten Lese und zur Taufe ihrer neuen Kellerei kreiert hat: Eine Einzellage die Contrada Bombolieri. «Die Rebsorte war lange unterschätzt», sinniert sie dazu, «eine Traube, die man gerade mal im Verschnitt mit Nero d’Avola verwendete. Aber nur alleine zeigt sie ihre feine Eleganz. Frappato hat diese feine Aromatik und diese Fragilität, die man kaum von einem Wein aus Sizilien erwartet.» Im besten Fall ähnelt er gar einem Blauburgunder. Arianna: «Frappato ist für mich und ich für ihn. Er war immer mein Wein, er hat mich von Beginn an  begleitet.» Seit zwölf Jahren dreht sich Arianna Occhipintis Leben um den Wein, selbst in ihrem Palmento ist er allgegenwärtig. Durch die Terrassentür sieht man auf die Reben, und selbst die Küche ist durch eine kleine Seitentür mit dem Keller verbunden: Dort steht mehr als ein Dutzend grosser Zementfässer, in denen sie ihre Weine vinifiziert. Einige davon werden anschliessend in grossem Holz ausgebaut: Fässer aus österreichischer und französischer Produktion. «Die Weine sind viel sauberer, seit wir in diesem Keller vinifizieren», sagt sie stolz, «erst jetzt kann ich wirklich so arbeiten, wie ich das will.»

Die Perfektionistin

Arianna ist eine Perfektionistin, das gibt sie selbst zu: Liegt eine leere Kiste unmotiviert auf dem Hof, lehnt sie sie an die Wand. Hat ihr Hund einen Teppich zerfleddert, dann sammelt sie akribisch jedes noch so kleine Stück vom Rasen. Als sie ein leeres Bonbonpapier im Rebberg findet, stellt sie gleich die Rebbergarbeiter zur Rede. Fast entschuldigend meint sie: «Was ich von mir selbst erwarte, setze ich auch bei anderen voraus.»

Die Rebberge des 24 Hektar grossen Gutes sind daher in erster Linie mit Nero d’Avola und Frappato bestockt, den beiden Grundtrauben des Cerasuolo di Vittoria, ein weiterer Hektar mit Albanello und Moscato, zwei weissen Varietäten. Sie bestehen aus kargen Böden, Tuff stein und Lehm, mit Sand aus dem Pliozän durchzogen, dazu eine Höhenlage von 230, 270 Metern, gut ventiliert durch Brisen von den Ibleischen Bergen und dem Scirocco, der aus der Sahara nach Norden weht. Occhipinti: «Die Temperaturunterschiede zwischen Tag und Nacht sind hoch, die Mikroklimata von Zone zu Zone, von Contrada zu Contrada unterschiedlich. Und aus dem Zusammenspiel dieser Faktoren entstehen einzigartige Weine.» Ihre Trauben sind biologisch zertifiziert. Sie lässt ihren Most auch lange auf den Schalen vergären, «das gibt dem Wein Substanz und Langlebigkeit», meint sie. Vor allem Nero d’Avola und Frappato gehen so eine natürliche Liaison ein.

Wir sind inzwischen beim Secondo angelangt: ein zartes Schweinefilet, mit selbst angebautem Gemüse serviert. Dazu lässt uns Arianna die Qual der Wahl: entweder den Grotte Alte – einen Cerasuolo di Vittoria von 45 Jahre alten Weinstöcken – oder den Siccagno, einen reinsortigen Nero d’Avola, die zweite Liebe in der Brust Ariannas. Sie selbst hat ihre Wahl schnell getroffen: «Siccagno war immer einer meiner Lieblinge. Ein Wein aus Nero d’Avola ist zwar nicht elegant, aber der Siccagno erzählt dir das Terroir von Vittoria.» Dann berichtet sie uns, dass sie gerade wieder drei Hektar Rebberge gekauft hat: Sie ist ständig auf der Suche nach besonderen Lagen im Gebiet von Vittoria, es sei aber wenig zu finden. «Ich kaufe mir lieber einen schönen Rebberg, als dass ich Urlaub in Miami mache.» Gerade noch  kann sie ihr Freund, Önologe am Ätna, dazu überreden, eine Woche Ferien auf seiner Heimatinsel Teneriffa zu verbringen. Mehr Freizeit will sie gar nicht haben, sie sprüht geradezu vor Tatendrang: In einem Seminarraum ihrer Kellerei will sie Kurse über Önologie für junge Landwirte abhalten. Und neben Olivenöl produziert sie neuerdings auch Getreide: Tumminia heisst die alte sizilianische Weizensorte, die sie gepflanzt hat. Einen neuen Rebberg hat sie ebenfalls geplant: Auf den Ibleischen Bergen will sie weisse Trauben für einen mineralischen Weisswein pflanzen. Und  weil sie in Marsala geboren wurde, hat sie auch dort ein Projekt – ebenfalls für einen Weisswein: «Salzig und frisch soll er sein, geprägt von der Nähe zum Meer.»

Dann ist unsere anregende Verabredung auch schon vorüber: Arianna muss zurück in die Reben, einer ihrer Arbeiter hat gemeldet, dass ein paar wenige Pflanzen Frostschäden erlitten haben, das will sie unbedingt selbst kontrollieren. Auch das gehört zum Leben eines Weinbauern, meint sie beim Abschied: «Aber eigentlich liebe ich es am meisten, neue Ideen zu verwirklichen. Einen Berg zu besteigen ist immer schöner als runterzuklettern.» Aber überlassen wir die letzten Worte ihrem Onkel Giusto Occhipinti, der mir vor wenigen Jahren über sie erzählte: «Arianna hat eine Vision und die Fähigkeit, sie auch Widrigkeiten zum Trotz auszuleben.» Aber was vielleicht  noch wichtiger ist: «Man muss nur sehen, mit welchem Vergnügen Arianna auf einen Traktor klettert, um zu verstehen, welche positive Arbeit der Weinbau ist. Und Vorbilder braucht man, gerade in der Landwirtschaft.»

Die Eleganz Siziliens

Fast alles dreht sich im Mikrokosmos von Arianna Occhipinti um die beiden Rebsorten Frappato und Nero d’Avola: Bis auf den Weisswein sind alle ihre Weine in wechselnder Zusammensetzung aus diesen beiden Trauben gekeltert. Die Winzerin spielt dabei mit der Kraft des Nero d’Avola und der Zurückhaltung des Frappato, was dabei herauskommt, ist aber immer finessenreich. 

 

SP 68 Bianco Terre Siciliane IGT 2015

 16 Punkte | 2016 bis 2019 

Die Strada Provinciale 68, an der Arianna Occhipintis Weingut liegt, hat auch einigen ihrer Weine den Namen gegeben: Ihr Bianco Sicilia SP 68 ist ein Blend aus 40 Prozent Albanello und 60 Prozent Moscato di Alessandria, in Zement fermentiert und lange auf den Schalen belassen. Die Rebstöcke für diese Cuvée wachsen auf den charakteristischen Böden Vittorias: Eine dünne Schicht roter Erde auf Kalkfelsen. Vielschichtige Nase mit Noten von Pfirsich, Aprikosen, auch exotische Früchte; am Gaumen gut strukturiert mit kompakter Textur, lebendige Säure, Saft, aber auch Länge, überraschend lang das Finale. Ein Wein, der sehr gut zu Fischgerichten und Meeresfrüchten passt, aber auch hervorragend zu Fleischgerichten. Nicht zu gekühlt servieren! 

 

SP 68 Rosso Terre Siciliane IGT 2015

 16.5 Punkte | 2017 bis 2021 

Die Interpretation eines Cerasuolo-Blends aus 70 Prozent Frappato und 30 Prozent Nero d’Avola, der aber nicht unter DOCG Cerasuolo di Vittoria erscheint. Die Trauben stammen aus verschiedenen Lagen des Gutes und werden im Zement und grossen Holzfass ausgebaut. Dieser rote SP 68 überzeugt mit seiner Blütenaromatik und den feinen Fruchtaromen, auch Mandelnoten; der Auftakt mit feiner, knackiger Säure und doch strukturiert, das Finale anhaltend und frisch. Kann ebenso gut leicht gekühlt an einem Sommernachmittag im Garten getrunken werden wie ein gegrilltes Steak begleiten. 

 

10° Il Frappato Terre Siciliane IGT 2013

 18 Punkte | 2017 bis 2021 

Der Frappato ist das Aushängeschild der Kellerei: Für diesen Einzellagenwein, der zum Jubiläum der zehnten Lese und zur Einweihung des neuen Kellers kreiert wurde, werden die Trauben von 35 bis 40 Jahre alten Rebstöcken der Contrada Bombolieri verwendet. Sie wachsen auf rund 250 Metern über Meer und stehen auf Kalkfelsen. Frische Himbeer- und Blütennoten, aber auch eine feine  mineralische Ader prägen diesen eleganten Tropfen. Weiter zeichnet ihn eine geschmeidige Textur mit gut eingebundenen Tanninen, aber auch spürbarer, jugendlicher Säure aus. Im Ausklang harmonisch und lang. Dieser Frappato ist ein hervorragender Begleiter zu Pasta, aber auch zu gekochtem Rindfleisch, Wildgeflügel und Geflügel.

 

Grotte Alte Cerasuolo di Vittoria DOCG 2012

 17 Punkte | 2017 bis 2021 

Harmonischer und charaktervoller Cerasuolo di Vittoria DOCG, je zur Hälfte aus Frappato und Nero d’Avola erzeugt, in Zementbehältnissen vinifiziert und vier Jahre lang in grossem Holz ausgebaut. Duftet nach Schwarzen Johannisbeeren, Zwetschgenröster und Gewürzen. Gut gebaut und saftig im Mund, die Tannine und die Säure perfekt im Einklang, der Abgang auf Aromen von Waldfrüchten, Gewürzen und Pfeffer, vielschichtig und komplex. Mariage: Der Grotte Alte ist universell einsetzbar und passt unter anderem wunderbar zu gebratenem oder gegrilltem Fleisch oder auch zu einem Hirsch- oder Rehbraten.

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