Winzerlegende: Eben Sadie

Wellenreiter mit Weingespür 

Text: André Dominé

  • Eben Sadies
    «Ich möchte mit 70 fühlen, dass ich mein Leben auf angemessene Weise geführt, wirklich gelebt habe.»
  • Eben Sadies
    Eben Sadie ist so sehr er auch Winzer ist, nicht weniger ist er Philosoph.
  • Eben Sadies
    Über die Jahre ist Sadie Family Wines zu einem ansehnlichen Gut gewachsen.
  • Eben Sadies
    Eben und seine Frau Maria mit ihren drei Kindern und Schwester Delana (rechts) sowie Bruder Niko, die bei Sadie Family Wines mitarbeiten.
  • Eben Sadies
    In diesem kleinen Keller begann Eben Sadie, und noch heute baut er darin den roten Columella aus.
  • Eben Sadies
    Die typische Landschaft am Kap.

Seit der Demokratisierung 1994 befindet sich Südafrikas Wein im Aufbruch. Kein anderer Winzer am Kap hat mit seinen Rotund Weissweinen so kontinuierlich eingefahrene Vorstellungen durchbrochen wie Eben Sadie, kein anderer solch exzellente Auszeichnungen eingeheimst. Aber auch für die Zukunft dürfte Eben noch für Überraschungen gut sein.

Es ist nie langweilig mit Eben Sadie. Denn so sehr er auch Winzer ist, nicht weniger ist er Philosoph. Jemand, der hinterfragt und Antworten sucht. Nicht in seinem Kämmerlein, sondern in der Welt, im Leben. Auf seiner Suche ist er 18 Jahre lang durch diverse Weinländer gereist, hat allein 14 Jahrgänge sowohl in der südlichen wie der nördlichen Hemisphäre aktiv erlebt. «Das Reisen war  ungesund für meinen Körper, aber sehr gesund für meinen Geist», resümiert er. Erwähnt, dass er es dabei auf 97 Kilo Gewicht gebracht habe, und fügt erklärend hinzu: «Ich bin ein kompletter Bonvivant.» Das war, als er mit dem Münchner Dominik Huber im Priorat-Terroir Al Limit kreierte. Heute hat er sich aus dem Priorat und den Sequillo Cellars – seinem Zweitwein-Projekt – zurückgezogen, geht jeden Tag mit seinem Hund spazieren, wiegt 80 Kilo und fühlt sich fit. Eben ist angekommen, wo er hingehört. Ins Swartland, Südafrika.

«Wir müssen unserer Geschichte dienen, sie schützen und achten. Das ist die Old Vine Series. Das ist der Fels, auf dem man steht. Zwar scheint Geschichte eine langwierige Sache, aber sie ist zugleich deine Flugbahn für die Zukunft. Sie gibt eine Linie vor, der du folgen wirst. Deshalb ist Geschichte so wichtig.»

Eben Sadies Vorfahren kamen aus Bruchsal in Baden und wanderten 1775 nach Südafrika aus. «Mein Vater und Grossvater sind stark mit dieser Erde verbunden. Auch ich fühle mich sehr mit diesem Ort verbunden, und ich ziehe  meine Kinder mit dem Gefühl für dieses Land auf. Es gibt nichts Europäisches mehr in uns.» Als er nach mehreren Reisejahren 1997 nach Südafrika zurückkehrte, plante Charles Back von Fairview gerade die Spice Route Winery, um das verkannte Potenzial des Swartlands auszuschöpfen. Nicht nur machte Eben dort als Winemaker gleich beachtliche Weine, er entwickelte schnell eigene Visionen. Bereits 1999 gründete er die Sadie Family Wines. Das bisschen Geld, das er hatte, investierte er in Trauben und 14 Barriques und kreierte den Rotwein Columella, der ihn über Nacht bekannt machte. Von Anfang an kümmerte er sich um die Weinberge biologisch, dann biodynamisch und wählte Syrah und Mourvèdre als Sorten der Cuvée.

Auch Sadie arbeitete damals mit Konzentration und Extraktion und deutlichem Holzausbau. Zwei Jahre später folgte die weisse Cuvée Palladius mit anfangs sieben Fässern nach. Die erste benannte Eben nach dem berühmten römischen Agrarautor, die zweite nach dessen bestem Schüler, ein Bekenntnis zur mediterranen Kultur und Tradition. Aber mit beiden Weinen zielte Eben in die Zukunft. Jedes Jahr veränderten sie sich, wurden zum Ausdruck seiner Suche und Entwicklung. Dabei blieben sie vom ersten Jahrgang an unter den absolut besten Weinen Südafrikas. Noch immer reift der Columella aber in dem kleinen Steinschuppen, den Eben von Paul Kretzel, seinem damaligen Nachbarn auf Lammershoek, übernahm.

Doch zum kleinen Schuppen ist inzwischen ein ganz neuer Gebäudekomplex gekommen. Im Keller, wo sich früher Barriques stapelten, stehen nun konische Zementtanks auf der einen, Fuder und Eichengärständer auf der anderen Seite, im Nebenraum Betoneier und Amphoren. Der Übergang geschah behutsam. Im Columella befinden sich inzwischen auch Grenache Noir, Carignan und Cinsault, und er wird 24 statt früher nur 12 Monate ausgebaut. «Heute machen wir die Weine völlig anders. Ohne Pigeage, ohne neue Fässer, keine Extraktion mehr, kein Wein mehr über 14 Prozent, aber es ist uns gelungen, die Tanninqualität von früher zu erhalten.» 

Palladius besteht nun aus zehn weissen Rebsorten. 2011 wurde er zum ersten Mal 24 Monate in Betoneiern und Fudern ausgebaut. Ein Wein von ungeheurer Spannung und sensationellem Potenzial. Zugleich sind beide Weine nicht nur eine Assemblage von Rebsorten, sondern auch von Terroirs: dem Granit des Paardebergs, dem Schiefer des Riebeekbergs, dem Sandstein und Quarz des Piquetbergs und den Glenrosa-Terra-Rossa-Tonböden in Malmesbury.

Rebstöcke mit Jahrgang 1905

Als Eben beschlossen hatte, sein aufreibendes Reiseleben aufzugeben, sich stärker um seine Familie zu kümmern und allein den Aufgaben zu stellen, die im Swartland auf ihn warteten, wurde sein Entschluss auf ungewöhnliche Weise belohnt. Die Rebexpertin Rosa Kruger (siehe VINUM 1–2/2014) machte ihn 2008 auf alte Weingärten aufmerksam. Der Funke zündete sofort. Eben besuchte nicht nur Farmer und Lagen, er vertiefte sich in alte Aufzeichnungen, um zu erfahren, wie man Weine gemacht hatte, als die Rebstöcke vor 60 und mehr Jahren gepflanzt worden waren. So entstand Die Ouwingertreeks, The Old Vine Series, mit ihren bewusst afrikaans benannten acht Weinen. Und bewusst ausgewählten Weingärten. Gemeinsam spiegeln sie die Weingeschichte Südafrikas wider. Vom Mev. Kirsten aus dem 1905 gepflanzten, ältesten Chenin Blanc Südafrikas über den noch älteren gemischten Satz des T’Voetpad bis zum Grenache Noir des Soldaat aus 800 Meter Höhe am Pikinierskloof und dem Pofadder aus altem Cinsault, der Rebsorte, die in den 1920er Jahren vier Fünftel aller roten Rebflächen am Kap ausgemacht hatte.

Alle acht Weine werden auf die gleiche Weise gemacht. Die Trauben werden nicht entrappt, dann – wie auch Ebens Starweine – spontan vergoren, in grossen neutralen Gebinden ausgebaut, die Weissen nach zehn, die Roten nach elf Monaten ungefiltert abgefüllt. «Wann aber muss man lesen? Bei welcher Reife? Wann pflügt man die Weinberge? Pflügst du die Gründüngung früh oder später unter? Musst du die Reben stressen, oder muss man sie mehr wachsen lassen? Muss man die Trauben mehr beschatten oder weniger? Musst du die Triebe entfernen? So lernst du jedes Jahr dazu. Wenn du beginnst, die richtigen Kästchen anzukreuzen, dann tritt der wahre Charakter hervor im Gegensatz zu einem Kind, das man ständig herumstösst und das keinen Charakter entwickeln kann. Hier geschieht es auf eine gute Weise.» So entfaltet jeder Wein im Duft und Geschmack seine eigene faszinierende Persönlichkeit. Ich kenne keinen anderen Winzer, der eine so weitgefächerte Palette an alten Weingärten in eine so tief bewegende Kollektion verwandelt hat. Sie verleiht seinem Land eine ganz neue Dimension in der Weinwelt, und sie weist zugleich auf den beachtlichen Schatz an alten Weingärten in Südafrika hin. 

«Welche Sorten sollten wir pflanzen?»

Chenin Blanc erreicht am Kap ein Niveau, das mit Weinen von der Loire konkurrieren kann, obwohl das Klima so mediterran ist. Er gehört zu Südafrika. Aber viele der anderen Rebsorten verbreiteten sich in Südafrika, weil man sich davon kommerzielle Erfolge versprach. Und auch wenn Cabernet Sauvignon, Syrah oder Chardonnay an einigen Orten überzeugen, sie wurden oft dort gepflanzt, wo sie nicht hingehören. Weder in Südafrika, noch in Australien, Chile oder Kalifornien. «Was ist mit den anderen Sorten? Welche Sorten sollten wir hier pflanzen?» lautet Ebens Frage. «Was ist mit Aglianico, Negroamaro, Fiano, Greco, Assyrtiko, Xinomavro, Counoise, Terret Noir? Wenn man auf die Karte schaut, gehören alle diese Rebsorten hierher. Die Neue Welt scheint so progressiv zu sein. Tatsächlich aber stagniert sie. Wir haben uns nie entwickelt.» Aber Eben stellt nicht nur die Fragen. Er hat alle die genannten Sorten und einige mehr gepflanzt. Ein überaus langwieriger Prozess, wenn man ihn auf seriöse Weise betreibt, an den besten Orten von der jeweiligen Sorte Massenselektionen durchführt und die Quarantäne akzeptiert. Aber darauf kann dann die nächste Generation aufbauen. Das ist zugleich sein Dank an die Farmer, die vor Jahrzehnten die Reben pflanzten, aus denen er heute einige der grössten Weine seines Landes macht.

«Ich habe mit 16 zu arbeiten begonnen», erzählt Eben. «Ich habe immer gearbeitet und immer gespart. Ich lebe hier, weil ich – auch wenn es nicht ganz so sicher ist – jeden Tag wirklich lebe. Wenn du stirbst, stirbst du. All diese Sicherheit macht nicht viel Sinn. Leb einfach! Ich habe eine ganz andere Perspektive als viele, auch wenn ich völlig konservativ bin. Ich erzeuge 4200 Kisten Wein. Ich könnte 12 000 erzeugen und schubkarrenweise Geld machen. Aber dann würde ich mein ganzes Leben arbeiten, nie zu Hause sein, nie irgendwer sein, nie Zeit haben für Sport, nie die Zeit, mit meinem Hund rauszugehen. Und wenn ich dann 70 werde, hätte ich Berge von Geld,und dann will ich zu leben anfangen? Zeit arbeitet nicht so. Die Uhr dreht sich nicht zurück. Ich möchte mit 70 fühlen, dass ich mein Leben auf angemessene Weise geführt, wirklich gelebt habe.» 

Reihen leerer Flaschen bezeugen, dass bei den Sadies viel probiert wird. «Ich schwinge mich aber nicht von einem zum anderen Boot. Ich denke nicht, dass ein Wein mit 200 Prozent neuem Holz und 16 Prozent Alkohol Terroir ist. Aber ich denke auch nicht, dass ein anderer Wein, der wie eine Urinprobe aussieht und nach flüchtiger Säure, Brettanomyces und Fäulnis riecht, Terroir wäre. Die Leute, die die grössten Weine in der Welt machen, sind ausgewogene Menschen, keine Freaks. Sie sind gut verwurzelt, genau wie ihre Pflanzen. Ich hoffe nur, dass auch ich zu diesem Punkt vorstosse. Jeden Tag etwas mehr.» 

Zwei Eisen im Feuer

Eben Sadie arbeitet zweigleisig. Seine Cuvées zielen in die Zukunft, während The Old Vine Series Geschichte schmeckbar macht. Beides auf höchstem Niveau. 

 

Sadie Family Wines
Columella 2013

19.5 Punkte | 2016 bis 2028 

Syrah, Mourvèdre, Grenache, Carignan und Cinsault in offenen Betontanks über drei Wochen vergoren, dann drei Wochen Maischezeit. Ausbau 24 Monate. Komplexe Frucht, Heidelbeeren, frische Feigen, auch Rauch und Humus. Seidig-saftig-samtige Textur, intensive Frucht, feinste Tannine, Kraft, Frische, Eleganz und immense Länge. 

 

Die Ouwingertreeks
Pofadder Cinsault 2014

18.5 Punkte | 2016 bis 2034

Cinsault vom schlangenförmigen Riebeekberg, aufwändigste Beerenselektion, vergoren im alten, offenen Holzbottich in ganzen Beeren. Blaurot. Intensive Nase, Rosen, Himbeeren, Kräuter und Gewürznelken. Saftiger und herrlich eleganter Ansatz, dann aber feste Tannine, Note von Tabak. Schwebende Frucht über erdiger Textur. 


Die Ouwingertreeks
Treinspoor 2014

19 Punkte | 2016 bis 2039

1974 gepflanzter Tinta Barocca, neben einer alten Bahnlinie, daher der Name, westlich von Malmesbury. Sehr tiefes, aber klares Rot. Dichte, ausgeprägte Frucht, Lakritz und Rauch. Erobert den Mund mit klarem, dunklem Saft, feinkörnige, grandiose Tannine, feste Säure, enorme Präsenz und Potenzial. 

 

Sadie Family Wines
Palladius 2013

20 Punkte | 2016 bis 2033

Neun Rebsorten, nach dem Keltern in der Korbpresse sofort in Amphoren, Betoneier oder alte Fuder gefüllt. Gärung bis zum Jahresende. Nach 24 Monaten Assemblage und Abfüllung. Sehr intensive gelbe Frucht und fein kräuterwürzig. Cremig-seidig mit grossartiger Lebendigkeit, vibrierend, mineralisch, salzig, überaus spannend. 

 

Die Ouwingertreeks 
T’Voetpad 2014

19.5 Punkte | 2016 bis 2034 

Gemischter, wurzelechter Satz aus Semillon Blanc und Gris, Palomino, Chenin und Muscat d’Alexandrie aus dem Norden des Swartlands, gepflanzt zwischen 1900 und 1928. Gemeinsam gelesen und in alten Fässern vergoren. Ebens Muhammad Ali. Ausserordentliche Kraft, Dramatik, Mineralität mit sensationeller Länge. Ein Monument. 

 

Die Ouwingertreeks
Mev. Kirsten 2014

20 Punkte | 2016 bis 2034

Ältester Chenin Blanc in Stellenbosch auf Granit. Extrem schwierig zu bearbeiten und zu vinifizieren, da anfangs oxidativ, aber mit herausragendem Potenzial. Erdig-mineralisch, gelbe Frucht und Wildkräuter, höchst vielschichtig und dramatisch. Ein unklassierbarer Wein, dessen Seele ergreift. Sehr rar. 

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