Winzerlegende Wilhelm Weil, Kiedrich

Der Guru unter den Winzern

Text: Dirk Würtz, Fotos: Frank Becker

Wilhelm Weil leitet das Weingut Robert Weil in Kiedrich. Seine Karriere ist in Deutschland annähernd beispiellos. Seit drei Jahrzehnten ist er das Gesicht des Rheingauer Weinbaus und hat die Region geprägt wie kein anderer in dieser Zeit. Dabei hat er es immer verstanden, alle mitzunehmen. 

«Ich bin Winzer», antwortet Wilhelm Weil, ohne eine Sekunde zu zögern, auf die Frage, wie er sich selbst bezeichnen würde. Es ist fürchterlich kalt, es liegt Schnee – was stark auf meine Laune drückt, denn ich mag keinen Schnee –, und wir stehen gemeinsam mit seinem Betriebsleiter Clemens Schmitt im Turmberg in Kiedrich. Die Frage ärgert mich, als ich sie ausspreche. Wilhelm Weil ist eine der Lichtgestalten des deutschen Weinbaus. Er hat das 1867 gegründete Weingut Robert Weil zu der deutschen Luxusweinmarke schlechthin gemacht. Und ich, der viele Jahre für ihn als einer seiner Kellermeister gearbeitet habe, frage ihn, wie er sich selbst bezeichnen würde. Selten dämlich. Die Antwort «Ich bin Winzer» ist so einfach wie entwaffnend zugleich. «Ich bin kein Praktiker», ergänzt er, «aber ich weiss, wie alles geht. Ich bin Generalist.» Während er das sagt, nickt Clemens. Nicht einfach automatisch, weil der Chef spricht. Er stimmt zu. Respektvoll – das ist deutlich zu spüren. Ich muss auch nicken. Er weiss es wirklich. Wilhelm hat eine Winzerlehre gemacht und Weinbau in Geisenheim studiert. Und auch wenn ich ihn bisher noch nie an einem Fass oder in Gummistiefeln im Feld gesehen habe, er weiss es. Um es deutlich zu machen, muss ein Beispiel her. «Der Professor», meint Wilhelm, «ist an einem Universitätskrankenhaus derjenige, der am meisten Wissen besitzt. Der bessere Operateur ist aber in der Regel der Oberarzt.» Das Beispiel macht Sinn. Wilhelm ist der Professor.

 

Wie eine grosse Familie

Wilhelm Weil und sein Betriebsleiter Clemens Schmitt wollen im Frühjahr Rosen pflanzen. Deswegen stehen wir im Schneeregen. Auf einer Strecke von 1,2 Kilometern durch den Gräfenberg bis hoch zum Turmberg. Das müssten sie nicht. In Sachen Weinbau macht es keinen Sinn, auch wenn sich hartnäckig die Legende hält, dass Rosen eine Art Frühwarnsystem für Mehltau seien. Wenn Rosen Mehltau haben, ist es auch für die Reben zu spät. Sie wollen es, weil es schön aussieht. «Es ist schliesslich unsere Heimat», meint Clemens. Er ist seit 1988 Betriebsleiter. 30 Jahre. Beinahe ein Arbeitsleben lang. Fast so lang wie Wilhelm im Weingut ist. Bei ihm sind es 31 Jahre. Clemens Vater war schon Betriebsleiter bei Wilhelms Vater. Die Rosen sind ein schönes Beispiel dafür, dass Wilhelm gerne alle teilhaben lässt. «Wir waren immer fair», betont er. «Geschäft ist wichtig. Erfolg auch. Aber nur gemeinschaftlich kann man sich tatsächlich nachhaltig weiterentwickeln.» Gerade das ist nicht immer einfach. Die Weinbranche ist eine schwierige. Neid und Missgunst sind an der Tagesordnung. Wilhelm Weil engagiert sich trotzdem. Oder gerade deshalb. Er sagt, man müsse in fundamentalen Werten alle mitnehmen. Das sagt der Winzer Weil. Oder der Unternehmer. Oder der VDP-Funktionär (er ist Vorsitzender des VDP Rheingau und Mitglied des Bundespräsidiums). Oder eben doch der Generalist. Mein Gott, was war meine Frage blöd. Wilhelm nimmt alle mit, insbesondere die, mit denen er arbeitet. Beinahe alle sind ewig an Bord. Kaum einer verlässt das Weingut. Das Team funktioniert, obwohl es so viele unterschiedliche Charaktere sind. Sie alle kreisen um ihn. Das vereint sie. Was jetzt leicht nach Sekte und Guru klingt, ist wie eine Familie. Die Entwicklung, die dabei alle machen und die auch Wilhelm selbst macht, ist enorm. Früher schrieb er immer Checklisten. Die waren gefürchtet. Der absolute Perfektionist dachte an alles, und nicht selten hatte so eine Liste 60 Punkte. Gerne auch noch einmal unterteilt in 60 a) bis 60 k). Heute schreiben seine Mitarbeiter die Checklisten selbst. Wilhelm sagt, er sei deutlich lockerer geworden. Privat kann ich das bestätigen. Im Job hielt ich es für völlig ausgeschlossen. Wilhelm war zudem immer verlässlich und verbindlich. Geradezu fürsorglich. Eine beinahe einzigartige Kombination. Ich gestehe, ich habe das alles in seiner Gänze erst heute wirklich verstanden. Es ist kein Kontrollzwang, es ist die pure Lust. Er selbst erklärt es mir dann ebenso einfach wie auf den Punkt: «Ich kann nicht akzeptieren, einen Tag verstreichen zu lassen, ohne hundert Prozent gegeben zu haben. Bei Dingen, die ich beeinflussen kann, kann ich nicht nachlassen.»

 

Der Edeka-Deal

Exklusiv für Edeka hat Weil im Jahr 2018 vier Weine unter dem Namen «Robert Weil Junior Unique» kreiert. Der Aufschrei war kurz, aber laut. Weil-Weine mit Trauben aus Zukauf, noch dazu aus Rheinhessen! Das Einzige, was in der Erregung fehlte, war das Wort Verrat. Absurdeste Thesen wurden aufgestellt, warum Wilhelm Weil jetzt solche Weine macht. Er hat es erklärt. Seinen Kunden, seinen Kollegen, der Presse. Immer und immer wieder. Das Konzept war schlüssig: im Rheingau Ultrapremium und Riesling, in Rheinhessen Burgundersorten und ein sinnvoller Preis. Der Wein steht für 7,99 Euro im Regal. Eine Wohltat im Gulag der deutschen Billigbückware. «Es geht um Verantwortung», erklärt Wilhelm. «Die Linie ist nicht nur ein Profitcenter. Sie ist auch das, was wir für die fünfte Generation im Weingut hinterlassen. Eine sinnvolle Erweiterung. BMW baut auch nicht nur Siebener. Die bauen eben auch Einser und Dreier.» Die Linie ist ein voller Erfolg und hinterlässt entgegen allen Zweiflern nicht den Hauch eines Kratzers an der Hauptmarke. 
Damit alles langfristig und sinnvoll funktioniert, ist auch bei der neu gegründeten Kellerei Suntory mit an Bord. Der wohl grösste Getränkekonzern der Welt ist seit 1988 Eigentümer des Weingutes. Wilhelms Vater hat es verkauft, kurz vor seinem Tod. Wilhelm wurde von Suntory direkt zum Gutsdirektor ernannt. Seit 1991 ist er wieder Miteigentümer. Der Profit bleibt im Weingut und wird nicht abgeschöpft. Nur so war die unglaublich dynamische Entwicklung möglich. Andersrum war es ähnlich. Suntory hat nie Geld in das Weingut direkt investiert. Wilhelm bestimmt. Suntory hält sich aus dem operativen Geschäft raus. Einmal im Jahr trifft man sich, und das war es. Der Erfolg gibt ihnen Recht. Die Partnerschaft hält seit 30 Jahren. Das ist nicht selbstverständlich. Gerade heute, wo Weingüter gerne zum Objekt der Begierde grosser Konzerne und Investoren werden.

«Geschäft ist wichtig, Erfolg auch. Aber nur gemeinschaftlich kann man sich tatsächlich nachhaltig weiterentwickeln.»

 

Eine Stunde ohne Punkt und Komma

Für eine Luxusmarke wie Weil ist die Fallhöhe enorm. In Zeiten der Superlative und des Internets fällt es sich zudem rasanter als früher. An der Marke Weil wird sich abgearbeitet. Nicht wenige halten gerade die Basisweine für Blendwerk. Und das Weingut für eine Art Wein-Disney. Überteuert sowieso. Und manche würden gerne mal ein Stolpern sehen. Wilhelm Weil und sein Team bleiben gelassen. In solchen Situationen holt er gerne die Statistik hervor. «Wenn du 500 000 Flaschen Gutswein vermarktest, ist die statistische Wahrscheinlichkeit, dass sich jemand negativ an dir abarbeitet, eben höher als bei 50 000 Flaschen. Vielleicht auch zu Recht», erklärt er. «Wir stellen uns alle Fragen auch selbst, und ich bin der kritischste Fragesteller.» Und dann legt er los und redet. Dafür ist er bekannt und bisweilen gefürchtet. Er kann locker eine Stunde ohne Punkt und Komma reden. Er spricht seine Gedanken, seine Ideen laut aus. Auch um sich selbst zu überprüfen. Ich mag das. Sehr sogar. Ich schätze ihn nicht nur als ehemaligen Chef, der wie selbstverständlich ein Freund geworden ist. Ich schätze ihn auch als Ratgeber. Sogar wenn es darum geht, kritische Fragen zu beantworten. Vielleicht sind seine Antworten so wertvoll, weil Wilhelm eben nicht nur Unternehmer, Generalist und Perfektionist ist – sondern vor allem Winzer.

Herkunft pur!

Die Weine des Rheingauer Flaggschiffs Robert Weil kommen aus den Höhenlagen Kiedrichs. Sie zählen seit Jahrzehnten zum Besten, was die Region zu bieten hat. Dabei hat sich der Stil, insbesondere der VDP.Grossen Gewächse, in den letzten Jahren deutlich verändert. Ihre schmeckbare Herkunft haben sie dabei immer bewahrt. 
www.weingut-robert-weil.com, www.martel.ch, www.gerstl.ch

Gräfenberg Riesling trocken VDP.Grosses Gewächs 2016

18 Punkte | 2020 bis 2030

Ein monumentaler Riesling. Etwas Jod und Feuerstein. Leicht rauchig und gelbfruchtig. Der Wein wird von einer extremen inneren Dichte getragen. Die Säure ist dabei durchaus präsent, aber moderat. Natürlich ist der Wein noch völlig unterentwickelt. Einer der ganz Grossen des Jahrgangs, der in jeden Riesling-Keller gehört.

Gräfenberg Riesling Auslese VDP.Grosse Lage 2016

17.5 Punkte | 2020 bis 2060

Ein beinahe goldgelber Wein. Hoch konzentriert mit viel Pampelmuse, Aprikose und Orangenzesten. Im Abgang eine sehr angenehme und animierende phenolische Herbe. Die Säure ist perfekt eingebunden und trägt diesen extrem langen Wein.

Kiedricher Turmberg Riesling trocken VDP.Erste Lage 2016

17 Punkte | 2019 bis 2027

Weils Monopollage ist eine Ausgeburt an Kühle. Etwas kräuterwürzig, dazu Passionsfrucht und ganz viel Feige. Deutlich betonter in der Säure als der Klosterberg, aber auch eleganter. Tolle, angenehme Phenolik und ein Hauch von Vanille. Lang und mundwässernd.

Kiedricher Klosterberg Riesling trocken VDP.Erste Lage 2016

16.5 Punkte | 2018 bis 2026

Ein extrem frischer und klarer Wein, leicht rauchig mit Anklängen von Torf und Orangenschalen. Festes, mineralisches Fundament. Sehr verschlossen, braucht viel Luft und Zeit. Entwickelt im Glas zusehends Druck und Grip.

Gräfenberg Riesling Spätlese VDP.Grosse Lage 2016

16.5 Punkte | 2020 bis 2050

Viel Granatapfel und Passions-frucht, ein Hauch Malz und Tulpenblätter. Wirkt extrem frisch und präzise und delikat. Die Säure ist ganz fein, beinahe elegant und aristokratisch. Eine Delikatesse, die viele Jahre reifen kann.

Kiedrich Riesling trocken VDP.Ortswein 2016

16 Punkte | 2018 bis 2026

Was sich hier Ortswein nennt, wäre anderswo locker ein Grosses Gewächs. Extrem kühl in seiner gesamten Anmutung, mit einer straffen, beinahe schon prickelnden Säure. Braucht viel Luft und Zeit und steht gerade erst am Anfang seiner Entwicklung.

Rheingau Riesling trocken VDP.Gutswein 2016

14.5 Punkte | 2018 bis 2020

Technisch perfekt gemachter, im ersten Moment noch verhaltener, dann leicht gelbfruchtiger Basiswein. Blitzsauber mit einer animierenden Säure. Nach den ersten Schlucken stellt sich direkt Trinkfluss ein. Saftig!

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