Der sanfte Rebell

Charles Rolaz, Waadtland, Schweiz

Text: Thomas Vaterlaus, Fotos: chapuis-photo.com, Maison Hammel, SA Charles Rolaz, Siffert/weinweltfoto.ch, Marc Forzi, z.V.g.

Der 63-jährige Charles Rolaz hat die traditionelle Maison Hammel in Rolle von einem klassischen Handelshaus in eine innovative Wein- «Werkstatt» transformiert. Anstelle von Waadtländer Oldschool bringt die Kellerei heute hochwertige Selektionen und Spezialitäten von 16 verschiedenen Domaines, Clos und Châteaux in die Flaschen. Auch Naturweine schlummern im Keller.

Charles Rolaz ist im Paradies geboren. Denn am Genfersee sind die mal steil, mal sanft zum Wasser abfallenden Weinberge so schön, dass hier Weltstars wie Charlie Chaplin oder Audrey Hepburn ihren Lebensabend verbrachten. In der Kindheit von Charles Rolaz waren die Weinhändler, zu denen auch sein Vater Michel Rolaz gehörte, die Könige in diesem Garten Eden. Denn in einem bis in die 1990er Jahre von protektionistischen Massnahmen geschützten Inlandmarkt lief das Geschäft mit der Leitsorte Chasselas wie geschmiert. Als Charles Rolaz Anfang der 1980er Jahre fürs Studium der Rechtswissenschaften nach London zog, realisierte er rasch, dass die heile Chasselas-Welt wenig mit der Realität im globalen Weinmarkt zu tun hatte. «In Laufdistanz von meiner Wohnung in Notting Hill gab es Weinbars, wo nebst den Klassikern aus Frankreich die ersten Sauvignon Blanc aus Neuseeland und Shiraz aus Australien ausgeschenkt wurden. Mir wurde rasch klar, dass sich die Schweiz nicht ewig von dieser Dynamik abschotten konnte», erzählt Charles Rolaz. Denn zwei künftige Phänomene seien im Prinzip schon damals erkennbar gewesen, nämlich die Globalisierung des Marktes und die jetzigen Probleme mit der Klimaerwärmung. Bleibenden Eindruck hinterliess bei ihm etwa die Verkostung der Weine der Domaine de Trévallon in der Haute-Provence, die mit damals revolutionär anmutenden Assemblagen aus Syrah und Cabernet Sauvignon beeindruckende Crus in die Flaschen brachte. Dieses Erlebnis sollte später noch Folgen haben. Charles Rolaz lernte in London auch seine künftige, aus Südindien stammende Frau kennen. Auch dies eröffnete ihm neue Horizonte. «Ich rieche noch heute die Düfte auf den Märkten und in den Restaurants jener allerersten Reise in die Heimat meiner Frau», erinnert er sich.

Maximale Reduktion

beendete Charles Rolaz im Jahr 1992 seine Tätigkeit als Advokat und trat in das von seiner Familie kontrollierte und damals von seinem Vater geführte Maison Hammel ein. In den vergangenen 20 Jahren hat er das Unternehmen völlig neu ausgerichtet. Sein Konzept lässt sich sehr gut mit dem ehemaligen «Smart»-Slogan «Reduce to the Max» beschreiben. Ende der 1980er Jahre verarbeitete Hammel die Trauben von 300 Hektar und kelterte daraus rund 30 Weine. Heute liegt der Fokus ganz klar auf jenen 15 Domänen in verschiedenen Subregionen des Waadtlandes sowie der Domaine de la Muraz in Sion (Wallis), die zusammen 130 Hektar Reben umfassen und vom Hammel- Team kultiviert werden. Daraus werden nicht weniger als 80 verschiedene Weine aus inzwischen 40 Traubensorten gekeltert, darunter Selektionen, die qualitativ zum Besten gehören, was die Westschweiz heute zu bieten hat. Und obwohl sich Hammel besonders als Spezialist für rote Spezialitäten aus Merlot, Syrah, Cabernet Sauvignon, Cabernet Franc oder Malbec einen Namen gemacht hat, setzt man auch bei den Weissweinen starke Akzente. Das beste Beispiel dafür ist der Chasselas Premier Grand Cru Yvorne aus dem sich im Eigenbesitz befindenden Clos de la George. Auf kalkhaltigen Moränenböden gereift und in gebrauchten 456 Liter fassenden Burgunder-Fässern ausgebaut, entsteht ein herrlich reifer, komplexer, saftiger und animierender Wein, der nichts mehr mit den mit etwas Kohlensäure aufgepeppten Standardweinen zu tun hat, die immer noch den heimischen Markt dominieren.

«Als ich jung war, machte mir Chasselas keine Freude. Jetzt aber immer mehr.»

«Als ich jung war, hatte ich keinen Spass am Chasselas. Denn die Mehrheit der Weine erschien mir neutral und ausdruckslos. Klar, zu lokalen Spezialitäten wie den frittierten Malakoff- Käsekugeln oder den Filets de Perche ging das gut, aber ausserhalb ihrer engeren Heimat verloren sie ihren Charme. Zudem gab es damals wenig Möglichkeiten, mit der Sorte neue Akzente zu setzen. Ein Féchy, Mont-sur-Rolle, aber auch weniger prestigeträchtige Dorfweine wie Tartagnin oder Bursinel hatten ihr festes Preisgefüge. Einen ambitionierteren Wein zu einem höheren Preis zu lancieren ging nicht. Aber auch die Umstellung auf andere weisse Sorten war ein No-Go. Der Chasselas war Ende der 1980er Jahre im Waadtland noch ein kantonales Heiligtum. Ihn auszureissen, um etwas anderes anzupflanzen, grenzte an Landesverrat. Bei den Rotweinen, die wirtschaftlich eine untergeordnete Rolle spielten, war die Toleranz grösser. Darum setzte ich hier an», erinnert sich Charles Rolaz. Er befasste sich mit dem Terroir und den Mikroklimata der eigenen sowie jener Domänen, deren Rebgärten sie bearbeiteten, und pflanzte gezielt rote Spezialitäten an, die dann unter dem Namen des jeweiligen Weingutes vermarktet wurden.

Eine logische, in jeder Beziehung positive Folge der Strategie von Charles Rolaz ist, dass die einzelnen Domänen, die früher als blosse Traubenlieferanten agierten und folglich anonym blieben, nun stärker ins Rampenlicht gesetzt werden. Etwa das majestätisch inmitten von prächtigen Parkanlagen mit 80 ausgewählten Skulpturen thronende Château de Vullierens im westlichen Hinterland von Lausanne. Während im Schloss, erbaut im Stile des frühen Klassizismus, seit dem 17. Jahrhundert die Familie Bovet-De Mestral residiert, von der übrigens ein Abkömmling im Jahr 1951 den Klettverschluss erfand, kümmert sich das Team von Charles Rolaz um die 6,3 Hektar umfassenden Rebberge des Gutes. So hat er hier unter anderem alte, aus der Champagne stammende Sorten wie Petit Meslier oder Arbane im Mischsatz angepflanzt, die nun biodynamisch bewirtschaftet werden und seit kurzem einen überaus eigenständigen Schaumwein in kleiner Menge ergeben. In vielen der 16 Hammel- Domänen schlummern geradezu abenteuerliche Anekdoten und Geschichten. Neu ist aber, dass in diesen Châteaus und Herrenhäusern nun auch die Weinbaugeschichte neu geschrieben wird.

Einzigartige Kollektion

Eine besondere Rolle spielen in diesem Konzept logischerweise die familieneigenen Domänen, besonders das Vorzeigegut der Familie, die zehn Hektar umfassende Domaine de Crochet in Mont-sur-Rolle mit ihrem herrschaftlichen Landhaus aus dem Jahr 1795. Auf kalk- und lehmhaltigen Kiesböden gedeihen Bordeaux-Sorten, aber auch Syrah vorzüglich. Die seit 1998 gekelterte Cuvée Charles Auguste ist ein eindrücklicher Beweis dafür, dass im Waadtland nicht nur süffige Assemblagen aus Pinot Noir und Gamay möglich sind, sondern Grand Crus von internationalem Format. Zugleich ist dieser Wein auch eine Hommage an die Weine der Domaine de Trévallon, die Charles Rolaz damals in seinen Londoner Jahren so beeindruckt hatten. In den letzten Jahren hat er seine Kollektion stetig verfeinert. Dazu gehören auch ungeschwefelte Naturweine oder ein Grape Ale Brut Nature mit weniger als sechs Volumenprozent Alkohol. Heute, im Alter von 63 Jahren leitet Charles Rolaz eine völlig andere Firma als jene, die er vor mehr als 30 Jahren von seinem Vater übernommen hat. Dieser, inzwischen 94 Jahre alt, schaut noch immer täglich im Firmensitz vorbei. Die anfängliche Skepsis gegen die revolutionären Ideen seines Sohnes ist längst verflogen. Und wenn Meera Rolaz, die heute 33-jährige Tochter von Charles Rolaz, ins Familienunternehmen eintritt, kann sie eine Kollektion übernehmen, wie sie heute einzigartig ist im Waadtland. Wie ihr Vater früher arbeitet auch sie gegenwärtig als Rechtsanwältin. Ganz offensichtlich keine schlechte Vorbereitung für den Quereinstieg ins Weinbusiness.

Waadtland reloaded

Das Sortiment von Maison Hammel ist ein Feuerwerk von eigenständigen wie charaktervollen Crus aus verschiedenen Subregionen des Waadtlandes.

Clos de la George, Chasselas 1er Grand Cru 2022 Yvorne, Chablais AOC

18 Punkte | 2024 bis 2030

In grossen Eichenfässern auf der Feinhefe ausgebaut. Komplexe Aromatik, weisse Blüten und ein Hauch von exotischen Früchten. Im Gaumen dicht gewoben, vielschichtig, animierende Säure.

Domaine de la Bolliattaz Sauvignon Grand Cru 2023 Villette, Lavaux AOC

17 Punkte | 2024 bis 2026

Florale Noten, an Kräuter erinnernd, ein Hauch von Holunder, Kernobst und Zitrusfrüchten. Dazu Rauch, Feuerstein und etwas Würze. Im Gaumen sehr präsent und saftig. Ein Touch von Salz im Finish.

Clos de la George Merlot Grand Cru 2020 Yvorne, Chablais AOC

17.5 Punkte | 2024 bis 2030

Zeigt sich in der Nase schön ausgereift mit Aromen von dunklen Waldbeeren und Kirschen. Dazu florale und mineralische Noten sowie diskrete, edle Würzaromen. Im Gaumen vollmundig, mit feinkörnigem Gerbstoff und einer angepassten Säure. Ein Cru mit südlichem Charme!

Domaine du Montet Côte Rousse Grand Cru 2020 Bex, Chablais AOC

18.5 Punkte | 2024 bis 2032

Wegweisende Cuvée aus Merlot, Cabernet Franc und Syrah aus einem von Gips geprägten Terroir. Verführerische rote Beeren und Wiesenkräuter. Zeigt im Gaumen viel Klasse und Temperament.

Domaine de Crochet Cuvée Charles Auguste Grand Cru 2018 Mont-sur-Rolle, La Côte AOC

18 Punkte | 2024 bis 2029

Cuvée aus Syrah, Cabernet Franc und Cabernet Sauvignon. In der Nase perfekt ausgereift mit Waldbeeren und Pflaumen. Im Gaumen vollmundig, mit viel Saft und Kraft. Lang anhaltend.

Clos de la George Syrah Grand Cru 2018 Yvorne, Chablais AOC

17.5 Punkte | 2024 bis 2028

Perfekt ausgereift, mit Aromen von Brombeeren, dazu ein Anflug von Garigue-Kräutern und Minze sowie balsamischen Noten. Im Gaumen sehr solide gebaut, mit feinkörnigem Gerbstoff und einer angepassten, saftigen Säure. Edle Herbe im langen Abgang.

Alle Weine ab Weingut erhältlich.

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