Bordeaux-Winzer wollen eine Wiederbelebung des ländlichen Erbes

23.11.2009 - arthur.wirtzfeld

FRANKREICH (Bordeaux) - Jean-Francois Janoueix und Jean-Michel Cazes haben mehr gemeinsam, als die Herstellung von Wein. Sie teilen ihre Leidenschaft für alten Kalkstein und setzen einen Großteil ihres Engagements auf den Tourismus, den sie in den ländlichen Regionen rund um Bordeaux durch die Belebung aussterbender Dörfer wieder aktivieren wollen.

 

DER WEILER "SARPE"

"Im Laufe der letzten Jahrzehnte verkauften immer mehr kleine Winzer ihre in der Nähe der Städte gelegenen Flächen, wo man dann moderne Wohnplätze für Suburbia (Vororte) aus dem Boden stampfte. Die malerischen Dörfer mit ihren Weinbergen erregten gleichzeitig das Interesse von Spekulanten und Investoren. Deren Kaufkraft führte dazu, dass ein Dorf nach dem anderen in Wohnplätze für Yuppies umfunktioniert wurden", konsterniert Jean-Franzcois Jannoueix, Inhaber von 17 Weingütern, darunter Chateau Haut-Sarpe in der Nähe von Saint Emilion, 45 Kilometer östlich von Bordeaux.

"Diese Dörfer müssen wiedergeboren werden", sagt Janoueix und erklärt: "Die großen Weingüter sind die Markierungen der Vergangenheit. Wenn wir deren über Jahrhunderte gewachsenes Umfeld zerstören, gewinnen wir zwar Rebflächen, verlieren aber gleichzeitig unsere Geschichte".

Entschlossen etwas dagegen zu tun und um sein ländliches Erbe zu beleben, finanziert Janoueix persönlich die Renovierung des rustikalen Weilers Sarpe, direkt vor den Toren seines Nachlasses. "Ich will hier die Atmosphäre der Vergangenheit wieder erleben, so, wie ein Maurer sorgfältig eine Fassade renoviert, möchte ich Sarpe wiederherstellen lassen."

Getreu seiner Vision führt er das Dörfchen Sarpe zurück in die Zeit. An einem Gebäude hängt schon ein Schild "Postamt auf dem Lande" - obwohl sich hier niemand so recht erinnern kann, wann hier zum letzten Mal Briefmarken verkauft wurden. Die Gäste, die Sarpe besuchen werden, können eine funktionstüchtige Windmühle bestaunen, sich in einem kitschigen 1950er Night-Club, wo ehemals Traubenpflücker tanzten, vergnügen oder in Kellern Weinproben genießen, umgeben von Sammlungen antiker Geräte und Handwerkszeug.

Gegenüber bietet ein Bauernhaus traditionelle Unterkunft und Verpflegung für die Sarpe kreuzenden Pilger auf dem Jacobsweg nach Santiago de Compostela. Ergänzt wird dieses Ensemble von einer altmodischen Bäckerei und einem offenen Dorfplatz, der zum Träumen anhält.

Die Idee von Janoueix ist nicht neu. Er hat sich vom Weintourismus im kalifornischen Nappa Valley inspirieren lassen. Wie dort hofft Janoueix, dass ein wiederbelebtes Sarpe ein Stück Weingeschichte zeigt und er in diesem Umfeld seine Weine bestens präsentieren kann. Die Tourismuszahlen der Region geben ihm weiteren Auftrieb. Das um die Ecke liegende Saint Emillon, ein Weltkulturerbe der UNESCO, verzeichnet pro Jahr eine Million Besucher.

"Sarpe liegt nur 500 Meter von Saint Emilion entfernt und wir wären dumm, wenn wir dieses Potenzial nicht nutzen würden", sagt Janoueix.

DER WEILER "BAGES"

Rund 90 km weiter, in der Bordeaux-Region Medoc, gibt es kein Weltkulturerbe in der Nähe von Château Lynch Bages. Als die Familie Cazes das Château 1973 übernahm, verirrte sich kein einziger Tourist hierher. Doch nun 36 Jahre später verzeichnet Lynch Bages über 20.000 Besucher pro Jahr mit steigernder Tendenz.

Neben mehreren Weingütern, besitzt die Familie Cazes ein Luxushotel, ein mit zwei Michelin-Sternen ausgezeichnetes Restaurant, eine Bed & Breakfast Unterkunft, eine Weinschule und eine Weintour-Agentur. 20 Prozent dieser Unternehmen werden allein aus dem Weintourismus erwirtschaftet.

"Bei dem Aufbau all dieser Unternehmen und während unsere Geschäfte florierten, haben wir das Dorf meiner Kindheit vergessen", erklärt Jean-Michel Cazes. "Als wir dann 2003 unseren Weinkeller vergrößern wollten schlug unser Architekt vor, den direkt angrenzenden Weiler komplett abzureißen, um dort einen modernen Keller zu erbauen".

Doch Cazes sträubte sich. Er wollte nicht mit ansehen, wie das Dorf dem Erdboden gleich gemacht wird. Er wollte nicht als Mann in die Geschichte eingehen, der das Dorf "niedergeschlagen" und ihm die Erinnerung und die Geschichte "geraubt" hat. Stattdessen stellte er eine Finanzierung zu Verfügung, bestellte Handwerker, die noch Gebäude aus Kalkstein renovieren konnten und versah sie mit dem Auftrag, den Weiler Bages zu renovieren und dort, wo es nicht mehr möglich oder sinnvoll war, neu zu erstellen.

"Wir müssen den Staub von dem Image der Grand Grus von Bordeaux mit dem Pinsel wegwischen und einen lebendigen, erlebbaren Ort bieten", erklärt Cazes seine Vision. "Hier soll ein modernes Dorf entstehen, dass seine Geschichte nicht verleugnet und wo sich die Einheimischen und Touristen gleichermaßen wohl fühlen".

Mittlerweile hat der Weiler Bages einen hübschen Dorfplatz, eine Bäckerei, ein stilvolles Bistro, eine raffinierte Boutique, einen Korbflechter, einen Metzger und schon bald eine gehobene Weinbar und eine Zigarren Lounge. Die Häuser tragen die Namen der ehemaligen Eigentümer. Ein heiterer Spielplatz lockt die Mütter und Kleinkinder an. Bei kostenfreien Open-Air-Abenden versammeln sich die Einheimischen und Touristen mischen sich wie selbstverständlich dazu.

"Hier bieten wir Geschichte, eine Mixtur aus traditioneller und moderner Architektur, erleben Kunst und Geselligkeit" resümiert Cazes. Dabei lässt ihn die Kritik, er habe ein Mini-Disneyland erschaffen, völlig unberührt. "Unser Erfolg ist offensichtlich. Die Bewohner der Region nutzen Bages ausgiebig und die Besucherzahlen steigen und steigen", fasst Cazes als Fazit.