Champagner mit Dim Sum: Chinas Wein-Regelwerk nimmt nur langsam Gestalt an

25.11.2010 - arthur.wirtzfeld

CHINA (Hong Kong) - Der Sommelier Zach Yu hat eine schwierige Aufgabe - er muss den perfekten Wein kommissionieren für gedämpfte „Golden Hairy Crab“, für Lammkoteletts aus dem Wok, gewürzt mit Kümmel oder zu Wagyu-Rindfleisch mit schwarzen Trüffeln und Kürbis. „Dafür gibt es keine Regeln“, seufzt Zach Yu, Weinexperte in Hong Kongs Restaurant Ming Court, ausgezeichnet mit zwei Michelin Sternen. „Um das zu bewältigen brauchen wir eine gastronomische Revolution.“

 

Das in Chinas Spitzenrestaurants schon bekannte und eingeführte „Fine Dining“ wird nun von einer immer reicher werdenden Weinkultur flankiert, die mit dem boomenden Weinmarkt einher kommt und die Köche und Sommeliers in arge Bedrängnis bringt. Denn das Aufeinandertreffen chinesischer Speisen und internationalen Weinen ist ein unbeschriebenes Blatt.

Nur in Hong Kong, wo auf geschichtlicher Basis schon lange europäische Kulturgüter und Bräuche Einzug gehalten haben, kann man einigermaßen sicher sein, das ein empfohlener Wein im Restaurant auch annähernd zu den international angehauchten chinesischen Speisen passt. Auch die über 23 Millionen Touristen, die in Hong Kong auf 17 Millionen Städter und Pendler aus dem chinesischen Festland treffen, tragen merklich dazu bei, das sich europäische Weinkultur mit chinesischen Esssitten vermischen kann, oder sagen wir eher vorsichtig, vermischen könnte.

Im vergangenen Monat wurden auf dem Wine & Dine Festival in Hong Kong über 20.000 Flaschen entkorkt. Weinauktionen in Honk Kong brechen regelmäßig internationale Rekorde, die Vinotheken in der Metropole sind gefüllt bis unter die Decke. Cynthia Leung, Managerin der Hong Kong Tourismus Direktion sagt: „Der Wein- und Genussmarkt bewegt sich rasend schnell in unserer Stadt.“

Da kann man ihr nur zustimmen. Keine Frage, Hong Kong ist ein Mekka für Gourmets und Weinliebhaber. Insbesondere ist Hong Kong ein Gateway für die Grand Gru aus Frankreich und für alle hochkarätigen Weine aus der ganzen Welt. Die Küchen und Restaurants in Hong Kong fungieren als „Teststationen“ für Sommeliers und Winzer - hier können sie herausfinden was geht und was nicht geht.“

„Es ist wirklich kompliziert“, räumt Leung Fai Hung, preisgekrönter Chefkoch bei Kowloon Intercontinental Grand Stanfort ein. „Die Kantonesische Küche konzentriert sich auf süß, sauer, bitter und salzig. Wir haben viele verschiedene Marinaden und Saucen. Wir haben die verschiedensten Arten des Kochens, darunter Dampf- und Doppel-Kochen, schmoren, unter Rühren braten, backen - die Texturen sind komplex.“ Als er kürzlich Bordeaux besuchte war er völlig konsterniert wie die Franzosen genau wissen, welchen Wein zu welchem Gericht Sie serviert haben wollen. „Die Franzosen sind völlig sicher in der Weinbegleitung zu den Speisen - ich wünschte, ich könnte dies auch bei meinen Gerichten“, seufzt Leung.

Doch was Leung nicht bedenkt ist, dass die westliche Küche Jahrhunderte Zeit hatte, die Paarungen von Wein und Speisen sukzessive zu bestimmen und zu entwickeln. Er muss nun praktisch über Nacht die Regeln für die Kombination chinesischer Speisen und Wein schreiben. Nur ganz langsam entstehen sichere Kombinationen, durch ständiges Probieren einhergehend mit mehr oder weniger kompetenten Ratgebern machen die Chinesen aber langsam Forschritte.

So passt die Säure des Champagners und mit seinen feinen Blasen perfekt zu Dim Sum, Burgunder mit feinen Tanninen und komplexer Nase sind erhabene Begleiter für knusprige Hähnchen und Lotuswurzel mit Reischips und schließlich seidige, strukturierte Tannine älterer Bordeaux verbessern die Textur von geschmortem Schweinebauch. „Die kräftigen Rotweine schmeicheln der fetten Struktur des Fleisches“, erklärt Leung. „Und jüngere Bordeaux begleiten frittierte Backwaren mit intensiven Aromen fast perfekt. Bei diesen Paarungen wissen wir schon, dass sie den Geschmack der Speisen sehr gut unterstreichen können.“

Trotz diesen mühsam erarbeiteten und allmählichen Erfolgen bleibt den Chinesen eine unvermeidliche und kaum zu überwindende Hürde. „Die wirklich kritische Sache ist die chinesische Esskultur“, sagt Leung und zeigt als Beispiel auf die „Lazy Susan“, die rotierende Scheibe in der Mitte der Tische, die unabdingbar für chinesische Essgewohnheiten steht, auf der sich die Speisen biegen und jeder nach Belieben zugreift. „In der westlichen Kultur kommt jede Speise separat und Gang für Gang, in der chinesischen Kultur setzen wir alles auf die Scheibe und man nimmt die Speisen nach dem Zufalls- oder nach dem Geschmacksprinzip zu sich. Kein Chinese konzentriert sich auf eine einzelne Speise und somit können wir praktisch auch keinen passenden Wein anbieten, die Aromen sind einfach zu vielfältig“, erklärt Leung.

Sommeliers wie Zach Yu sind noch eine seltene Rasse in Hong Kong. Zu Jahresbeginn hatte der Ming Court nur eine magere Auswahl an Weinen und schon gar keinen Sommelier. Seit einigen Monaten wagte Yu das Abenteuer und verdreifachte durch seine Beratungen den Weinverkauf und lagert mittlerweile über 4.500 Flaschen im Weinkeller des Restaurants. Darunter befindet sich auch ein Petrus für 38.000 Hong Kong Dollar (ca. 4.900 Euro).

Yu hat auch die Weinnamen und Bezeichnungen übersetzt, um den Gästen schon die Angst vor dem Lesen der Weinkarte und vor allem vor Gesichtsverlust zu nehmen. Denn kaum jemand, der auch betuchten Gäste, kann die Namen richtig aussprechen, wenn der Gast die Weine überhaupt kennt. „Alles was ich gelernt habe und was ich über die Weine in Erfahrung gebracht habe erzähle ich meinen Gästen“, erklärt Yu. „Meine Kenntnisse habe ich vorwiegend von Schulungen bei Händlern und von europäischen Köchen erlernt.“ Trotz seiner Bemühungen kann er oft nicht vermeiden, dass betuchte Gäste Weine ordern, die nach Yu´s Meinung noch locker 20 oder 30 Jahre lagern könnten. „Es ist wie mit dem Essen, wenn es dampft und schnell zubereitet werden kann, dann waren die Produkte frisch - so verstehen die Chinesen auch den Wein. Sie wollen ihn eben auch frisch trinken. Da kann ich machen was ich will“, resigniert Yu. „Nur bei Weinen, die vordergründig holzig schmecken, kann ich Gäste davon abhalten diese zu ordern, denn holziger Geschmack tötet die Aromen des Essens, und das will keiner.“

Ich habe Mitleid mit Yu und Leung und kann sie  gut verstehen, ich meine Ihre Esskultur und ihr Dilemma mit den Weinen. Denn wer sich dieser Kultur hingibt, wer Gefallen an den überaus schmackhaften frischen Speisen findet, wer freudig kreuz und quer probiert, wer die Vielfalt der pflanzlichen und tierischen Produkte und die überaus raffinierten Zubereitungsarten genießen kann, der steht vor einer wirklich extrem schwierigen Aufgabe bei der Wahl des Weines.

Wie oft habe ich schon die unterschiedlichsten Weine, ob weiß oder rot, von guter bis bester Qualität mit zum Lunch und Dinner mit Kollegen und Freunden mitgebracht und wie oft mussten wir gemeinsam feststellen, dass die Weine nur bedingt, meistens überhaupt nicht als durchgehender Essensbegleiter zu den vielfältigen Aromen und Speisearten taugten. Auf die „gastronomische Revolution“ der chinesischen Küche bin ich nun sehr gespannt. Cheers! Gom bui! Gan bei!