Augenzeugenbericht aus Japan: Fränkische Weinkönigin Melanie Unsleber erlebte das Beben

19.03.2011 - arthur.wirtzfeld

DEUTSCHLAND / JAPAN (Repperndorf - Tokio - Yokohama) - Die Weinpromotion-Tour der Winzergemeinschaft Franken e.G. (GWF), vertreten durch Vertriebsleiter Dieter Gerken in Begleitung der fränkischen Weinkönigin Melanie Unsleber nach Japan geriet unfreiwillig zu einem Abenteuer. Just als beide sich trennten, indem Dieter Gerken in Tokio in einem Hafenspeicher Weine präsentierte und Melanie Unsleber nach Yokohama unterwegs war, um eine Weinmesse für deutsche Weine zu eröffnen, geschah das stärkste je in Japan gemessene Erdbeben, gefolgt von einem verheerenden Tsunami.

 

Wir trafen Melanie Unsleber und Dieter Gerken nach ihrer glücklichen Rückkehr bei der Pressekonferenz in der Vinothek der Winzergemeinschaft Franken eG und konnten Sie am Tag nach ihrer Ankunft zurück in Deutschland befragen:

YOOPRESS: Frau Unsleber, gerade zeigten Sie uns ein Video Ihres Interviews, das ein Sie begleitender Kameramann aufnahm. Schildern Sie uns doch, wie Sie das überraschende Beben empfanden.

M.UNSLEBER: Ich war zum Zeitpunkt des Erdbebens in einem recht modernen 12-stöckigen Hochhaus wo ich für eine Zeitung ein Interview gab. Mitten im Interview begann plötzlich der Boden zu beben und anschließend schwankte das Haus stark von einer Seite auf die andere - es fühlte sich an wie in einem Schiff bei starkem Seegang. Aus den Schränken fielen Bücher und Blumenkübel kippten um. Wir haben uns dann in der Zimmermitte auf den Boden gekauert und abgewartet.

YOOPRESS: Als Betrachter sehen die Bilder irgendwie unwirklich aus, zumal weder in den Gesichtern noch in der Kommunikation mit Ihren japanischen Begleitern eine Panik zu erkennen ist.

M.UNSLEBER: Die Japaner sind tatsächlich sehr ruhig geblieben, haben versucht mich zu beruhigen und haben sogar Scherze gemacht. Mit der Zeit habe ich aber gemerkt, dass auch sie unruhiger wurden. Das Erdbeben dauerte an, ca. 2,5 Minuten und es wurde immer stärker. Ich glaube meine japanischen Begleiter haben dann doch Angst bekommen, aber sie haben sie nicht offen gezeigt. Das liegt wohl in der Natur der Japaner.

YOOPRESS: Wo in Japan befanden Sie sich zum Zeitpunkt des Erdbebens?

M.UNSLEBER: Im Zentrum Yokohamas, das ist 20 km südlich von Tokio.

YOOPRESS: Man stellt sich vor, dass man bei solchen Bewegungen nur an eines denkt - hoffentlich hält das Gebäude stand?

M.UNSLEBER: Genau das waren meine Gedanken. Die Japaner haben mir zwar versichert, dass das Gebäude erdbebensicher ist, aber wenn solche Kräfte auf das Hochhaus einwirken, und das Haus so stark zu schwanken beginnt, kann man sich das kaum vorstellen. Unglaublich, was diese Häuser ausgehalten haben!

YOOPRESS: Haben Sie nach dem ersten Schock versucht Kontakt mit Ihren Angehörigen aufzunehmen?

M.UNSLEBER: Ich habe sofort nach dem Erdbeben eine SMS an meine Familie geschickt, dass es mir gut geht. Dann habe ich noch versucht anzurufen, aber das Netz war sofort überlastet und ich bin nicht mehr durchgekommen. Erst am Abend habe ich dann eine weitere SMS versenden können.

YOOPRESS: Herr Gerken, wo befanden Sie sich, als das Erdbeben das Land erschütterte?

D.GERKEN: Ich war bei einer Weinpräsentation in Tokio. Zusammen mit unserem Importeur befanden wir uns in einer Halle am Hafen, wo wir gerade Weine verkosteten.

YOOPRESS: Wie empfanden Sie die Erschütterungen?

D.GERKEN: Erst spürte ich Vibrationen des Bodens, dann bewegten sich die Tische, Flaschen und Gläser wurden umgeworfen. Dann bemerkte ich, dass sich der gesamte Raum, ja sogar die Halle bewegte.

YOOPRESS: Und was passierte dann?

D.GERKEN: Wir liefen nach draußen. Mit Ausnahme von mir selbst schienen mein japanischer Begleiter und auch die anderen anwesenden Japaner die Situation gelassen hinzunehmen. Ich bemerkte keine Aufgeregtheit. Zwar mahnte man mich gleich zum Hotel zurückzukehren, aber auch dies ohne Hektik. Was dann weiter verwirrend war, alle öffentlichen Verkehrsmittel waren ausgefallen, auch Taxis fuhren nicht mehr. Uns blieb nichts weiter übrig als zu Fuß zum Hotel zu laufen, wo sich mein Gepäck befand und wo wir nach über zwei Stunden ankamen. Da ich bereits ausgecheckt hatte, weil ich direkt nach meiner Weinpräsentation nach Yokohama wollte, um mich mit Frau Unsleber zu treffen, aber wegen ausgefallenen Verkehrsmittel und verstopften Straßen direkt nach dem Beben keine Möglichkeit sah, hatte ich ein erstes Problem. Alle Hotels, auch meines, waren wenige Minuten nach dem Beben ausgebucht. Der Hotelchef war aber sehr zuvorkommend und hilfsbereit – er ließ mir Decken bringen und erlaubte mir in einem Besprechungsraum die Nacht zu verbringen.

YOOPRESS: Sie sprechen die Ruhe und Gelassenheit der Japaner an – wie erklären Sie sich diese scheinbare Disziplin?

D.GERKEN: Die bemerkenswerte Disziplin führe ich zurück auf den Zusammenhalt und die Hilfsbereitschaft der Japaner, die im Übrigen ständige Erdbeben gewohnt sind. Außerdem spielt auch die japanische Kultur und Mentalität eine Rolle. Der Japaner hält sein Ego zurück, ganz im Gegensatz zu uns Europäern, die bei solchen Naturereignissen in Panik verfallen würden.

YOOPRESS: Wie haben Sie beide sich informieren können?

M.UNSLEBER: In dem Büro, in dem ich das Erdbeben erlebt habe, stand ein Fernsehgerät, auf dem sofort japanische Nachrichten über das Erdbeben berichteten. Meine Begleiter haben sie für mich übersetzt. So erfuhr ich erstmals was hier eigentlich passiert war. Später im Hotel konnte ich BBC empfangen und habe die ganze Nacht hindurch Nachrichten geschaut.

D.GERKEN: Bei mir war es ähnlich. Mein japanischer Geschäftspartner übersetzte mir die unaufhörlich laufenden Nachrichten im Fernsehen. Außerdem hatten wir auf dem Weg zum Hotel schon auf großen Leinwänden in den Straßen Tokios weitere Bilder und immer neue Informationen verfolgt.

YOOPRESS: War Ihnen beiden eigentlich die Tragweite der Zerstörungen durch das Erdbeben, den Tsunami und die Problematik mit den betroffenen Kernkraftwerken bewusst?

M.UNSLEBER: Die Nachrichtensender haben recht schnell Bilder aus dem Nordosten des Landes gezeigt, und so konnten wir quasi live die großen Zerstörungen des Tsunamis sehen. Als die ersten Bilder kamen, dachte ich noch, dass es schlimm ist, aber als immer mehr erschreckende Bilder kamen und die ersten Nachrichten von Todesopfern erschienen, wurde mir langsam bewusst, dass gerade eine riesige Katastrophe stattfand.

D.GERKEN: Die gezeigten Bilder des nationalen Fernsehens waren erschreckend - die Überschwemmungen verheerend. Obwohl die Berichte, die mir übersetzt wurden, sachlich waren, beunruhigte mich insbesondere, dass auch die Kernkraftwerke wohl vom Erdbeben und dem Tsunami beschädigt worden waren.

YOOPRESS: Frau Unsleber, Sie befanden sich in Yokohama - Was stand hier auf Ihrem weiteren Programm?

M.UNSLEBER: Am Samstag sollte ich das größte deutsche Weinfest in Japan, mit über 1000 Gästen, 20 deutschen Winzern und über 50 verschiedenen Weinen, eröffnen. Anlass war das 150. Jubiläum der Deutsch-Japanischen Freundschaft. Es wäre eine ganz tolle Veranstaltung für den deutschen Wein in Japan gewesen, die dem deutschen Wein dort sicherlich wieder zu neuem Aufwind verholfen hätte. Zu meiner großen Überraschung haben sich die Veranstalter trotz des Erdbebens dazu entschlossen, die Veranstaltung durchzuführen.

YOOPRESS: Sie eröffneten eine Weinmesse? Am Tag nach dem Erdbeben kamen Besucher?

M.UNSLEBER: Ja, das zeigt, dass die Japaner mit so einer Situation ganz anders umgehen, als wir Deutsche es tun würden. Ich denke in Deutschland wäre es unmöglich gewesen, in so einer Situation ein Weinfest durchzuführen, aber die Japaner versuchen einfach so schnell wie möglich wieder in den Alltag zurückzufinden. Allerdings fiel das Fest kleiner aus. Viele der Winzer waren sofort nach dem Erdbeben wieder abgereist und es kamen auch nicht so viele japanische Gäste, vielleicht 500-600. Da ich die Eröffnung zugesagt hatte, habe ich dies auch gemacht. Aber ich habe auch meine Begleiter gebeten, mich danach so schnell wie möglich nach Tokio zurück und zum Flugplatz zu bringen.

YOOPRESS: Nur zu verständlich, dass Sie das Land verlassen wollten. Wie kamen Sie zum Flughafen und wie schafften Sie einen Flug zu bekommen?

M.UNSLEBER: Da Züge und U-Bahnen ausgefallen waren, haben wir ein Taxi nach Tokio genommen - ein Glück, da kaum noch Taxis verkehrten. Dort traf ich mit Herrn Gerken zusammen und wir sind dann umgehend weiter Richtung Flughafen gefahren. Wir haben für die 100 km über 5 Stunden gebraucht. Die Autobahn war gesperrt und auf den Ausweichruten gab es große Staus. Am Flughafen angekommen haben wir versucht eine frühere Maschine zu bekommen, um einfach das Land zu verlassen, aber das war nicht möglich, alle Flüge waren ausgebucht. Uns blieb nichts anderes übrig, als am Flughafen zu übernachten. Am nächsten Tag konnten wir mit unserem planmäßigen Flug nach Deutschland zurückkehren.

D.GERKEN: Ja, wir hatten in dem Chaos Glück, dass wir uns so schnell trafen. Da die öffentlichen Verkehrsmittel ausgefallen waren, Taxis nicht zu bekommen waren, haben wir einen Fahrer gesucht und auch gefunden, der uns zum Flughafen brachte.

YOOPRESS: Hatten Sie nach dem Erdbeben spezielle Informationen oder Hilfestellung seitens offiziellen Stellen, beispielsweise via der deutschen Botschaft?

D.GERKEN: Ja, wir hatten Kontakt zur Botschaft. Auch Mitarbeiter der GWF hatten zwischenzeitlich Kontakt zur deutschen Botschaft aufgenommen und erfuhren so, dass wir zum Flugplatz unterwegs waren.

YOOPRESS: Es ist sehr erfreulich, dass sie glimpflich dem Chaos entkommen sind, aber dennoch ist Ihnen noch eine Anspannung anzumerken. Wie empfinden Sie dieses Erlebnis nun mit ein wenig Abstand?

M.UNSLEBER: Ich bin mir bewusst, dass wir unheimliches Glück im Unglück hatten. Es war unser großes Glück, dass wir uns zum Zeitpunkt des Bebens in der Metropolregion Tokio befunden haben, die einigermaßen von Schäden verschont geblieben ist. Außerdem hatten wir Glück, dass wir schon am Sonntag gesund das Land verlassen konnten. Trotzdem bin ich unendlich traurig und leide mit dem Japanischen Volk. Die Menschen sind so nett, hilfsbereit und tapfer und haben so ein großes Unglück einfach nicht verdient!

D.GERKEN: Jeder einzelne Tag nach unserer Rückkehr macht mir bewusst, wie schwer die Katastrophe für Japan ist und welche glückliche Fügung uns gerade dort aufhalten ließ, von wo wir glimpflich und glücklich unsere Heimreise antreten konnten.

YOOPRESS: So schrecklich das Unglück für die japanische Bevölkerung auch ist, lassen Sie uns noch über Wein sprechen. Wie groß ist das Interesse der Japaner an deutschem Wein?

M.UNSLEBER: Ich war absolut überrascht, wie viele Leute es in Japan gibt, die sich unglaublich gut mit deutschem Wein auskennen. Einige haben schon Reisen in deutsche Anbaugebiete gemacht, einer hat mir sogar stolz seine Steinsammlung aus berühmten Weinlagen gezeigt.

D.GERKEN: Das stimmt schon, was Frau Unsleber so erfreut, aber leider ist deutscher Wein bei der Bevölkerung eher unbekannt.

YOOPRESS: Unbekannt? Sie waren also auf Promotion-Tour für den deutschen Wein, oder was war der Grund Ihrer Reise.

D.GERKEN: Es war mal wieder an der Zeit unsere bisherigen Kontakte in Japan aufzufrischen. Dafür hatten wir uns drei Tage Zeit genommen und intensive Meetings und Verkostungen standen auf dem Programm. Wir trafen uns mit Importeuren und Frau Unsleber sollte den deutschen Wein auf der Weinmesse in Yokohama repräsentieren.

YOOPRESS: Sie haben also einen Neustart geplant, der wohl durch das Erdbeben und damit verbundenem Chaos in Japan wohl schwierig umsetzbar sein wird, was meinen Sie?

D.GERKEN: Das bleibt vorerst abzuwarten.

YOOPRESS: Wie würden Sie die Akzeptanz des deutschen Weins in Japan beschreiben?

D.GERKEN: Aus sensorischen Gesichtspunkten ist die Akzeptanz groß, aber leider fehlt es, wie ich schon sagte, an der Bekanntheit. Außerdem ist der deutsche Wein in Japan praktisch nicht mehr präsent, die Marktanteile nur noch marginal.

YOOPRESS: Sie sprechen von rückläufigen Marktanteilen. Wie hoch sind diese und worin könnte das begründet sein?

D.GERKEN: In 2002 hatte der deutsche Wein noch einen bescheidenen Marktanteil von 5,4 Prozent, der bis heute auf 1,8 Prozent gefallen ist. Dieser Rückgang ist im Wesentlichen auf fehlende Marketingmaßnahmen zurückzuführen. Weinländer wie Frankreich, Spanien, Chile, Argentinien ebenso wie Australien investieren in den japanischen Weinmarkt. Was dies betrifft ist Deutschland außen vor.

YOOPRESS: Warum haben anderen Weinnationen weniger Probleme Marktanteile in Japan aufzubauen, zu halten bzw. zu erhöhen?

D.GERKEN: Diese Weinnationen investieren nachhaltig, so einfach ist das.

YOOPRESS: Ihre aktuelle Marketingaktion hat die GWF bekanntlich selbst finanziert, ohne jegliche Unterstützung seitens der deutschen Weinindustrie und Verbände. Was würden Sie sich an Unterstützung für Ihre Aktivitäten wünschen?

D.GERKEN: Gut organisierte Präsentationen, auch Weinmessen sind ein Teil der benötigten Aktionen. Dazu gehören auch spezielle Events rund um den deutschen Wein und natürlich  die Vermittlung deutscher Weinkultur. Dies alles müsste nachhaltig konzipiert und durchgeführt werden. Allerdings dürften die dafür nötigen finanziellen Aufwendungen nicht den Betrieben aufgelastet werden. Hier ist ein Schulterschluss der Erzeuger mit den Institutionen und Verbänden angesagt.

YOOPRESS: All dies wird nun, jedenfalls für Aktivitäten in Japan, erst mal warten müssen, denn nach aktuellen Berichten aus Janpan steht eine nukleare Katastrophe an, wobei alles andere damit in den Hintergrund tritt.

Frau Unsleber, erlauben Sie uns abschließend noch zu fragen: Wir gehen davon aus, dass Sie in Ihrer Amtszeit als fränkische Weinkönigin viele schöne Erlebnisse rund um den Wein mit sicher interessanten Menschen hatten. Mal abgesehen von diesem bewegenen Erlebnis - Was ist ihr Resümee Ihrer Amtszeit?

M.UNSLEBER: Das Jahr war das Beste, was mir passieren konnte. Ich habe unheimlich viele Eindrücke gewonnen, habe viele interessante Menschen kennengelernt und einige feste Freundschaften geschlossen. Ich war auf tollen Veranstaltungen zu Gast und habe viel von Deutschland und der Welt gesehen. Und ich hatte natürlich die Möglichkeit viele ganz tolle Weine zu probieren. Ich möchte das Jahr auf keinen Fall missen.

YOOPRESS: Verraten Sie uns noch ihr schönstes Erlebnis aus dieser Zeit?

M.UNSLEBER: Ein Erlebnis herauszugreifen, ist schwer. Das ganze Jahr war ein einziges Erlebnis.

YOOPRESS: Frau Unsleber, Herr Gerken, wir danken Ihnen herzlich für dieses Gespräch und wünschen Ihnen das Beste für die Zukunft und immer einen guten Wein im Glas.