Haben alte Weinberge mit Mischsätzen noch eine Chance?

16.07.2011 - arthur.wirtzfeld

DEUTSCHLAND (Würzburg) - Die 2007 gestartete Erhebung des bundesweiten Projektes zur wissenschaftlichen Inventarisierung alter Rebbestände bot die einmalige Chance, seltenes Sorten- und Klonmaterial in deutschen Weinbergslagen ausfindig zu machen und für kommende Winzergenerationen zu erhalten. Unser jüngster Bericht über die „Erfassung rebengenetischer Ressourcen in Deutschland“ endete mit dem Wunsch und Aufforderung des Autors Andreas Jung, dass das neue Sortenmaterial vollständig eingesammelt, klonenzüchterisch bearbeitet und von Auflagen befreit im Erhaltungsanbau nachhaltig erhalten werden sollte.

 

Nach Veröffentlichung des Artikels erreichten unsere Redaktion viele Anregungen und kontroverse Meinungen, bezeichnenderweise nicht via öffentlicher Kommentare sondern per direkter Mail, die nun dazu führten, dass wir den Autor der Inventarisierung um ein Gespräch baten:

YOOPRESS: Herr Jung, die Komplettfassung Ihrer Analysen war und ist offensichtlich immer noch nicht öffentlich zugänglich, wie beurteilen Sie das?

A.JUNG: 230 Seiten reduziert auf 2 Seiten - ich frage: was ist das? Das ist für mich staatliche Zensur und eine unerträgliche Vorenthaltung von Informationen, die mit Steuergeldern auf Staatskosten erhoben wurden. Es sind ja noch nicht mal die Mitglieder der PAG (projektbegleitende AG) informiert worden, nur die Ressortforschung des Bundes, die das Projekt aktiv boykotiert und in keinster Weise befördert hat. Dass jetzt ausgerechnet diese Anstalt den 2-teiligen Abschlussbericht als einzige Forschungsanstalt bekommen hat, widerspricht jeglicher Art von freier Wissenschaft. Hier wird das Staatsmonopol auf eine Fachdisziplin wie die Ampelographie schamlos ausgenutzt und anderen Fachwissenschaftlern und Erhaltungszüchtern wichtige Informationen vorenthalten.

YOOPRESS: Welche Auswirkungen befürchten Sie?

A.JUNG: Die Erhebungs-Datenbank der ARGE gibt es seit Frühjahr 2010, sie wird frühestens im Spätherbst 2011 ins Netz gestellt werden, wenn überhaupt. Das heißt, die Daten werden frühestens in der Vegetationsperiode 2012 nutzbar werden. Bis dahin sind seit 2007 - 2012 fünf Jahre vergangen. Und ich wette, von den alten Weinbergen mit Mischsätzen dürfte die Hälfte mittlerweile gerodet sein, subventioniert durch die Stukturförderung der Länder.

YOOPRESS: Das bedeutet?

A.JUNG: Man sitzt das Thema aus, bis es nichts mehr gibt, was sich einzusammeln lohnen würde und die alten Weinsorten nur noch Geschichte sind. Sie werden allenfalls noch als virtuelle Relikte in Internetdateien weiterexistieren. Wenn nicht mehr die praktische Erhaltungsarbeit das Ziel ist, sondern nur noch die Verwaltung von Datenbanken zur Beschäftigung des Beamtenapparates, dann läuft hier etwas gewaltig schief.

YOOPRESS: Was genau läuft schief?

A.JUNG: Würde man sich allein auf den Staat verlassen, wären viele Sorten kurz nach ihrer Wiederentdeckung bereits wieder ausgestorben. Genotypenerhaltung mit 3 Stock je Sorte wie in der Deutschen Genbank Reben ist nicht nachhaltig und reicht für die Erhaltung der Praxistauglichkeit und Klonenvielfalt der übergroßen Mehrheit der autochthonen, aber nie klassifizierten Rebsorten nicht aus". Und selbst wenn die Sorten klassifiziert würden, die Kosten der Registrierung von Klonen und Sorten beim Bundessortenamt tragen aktiv zum Aussterben alter Rebsorten bei.

YOOPRESS: Bitte, welche Kosten fallen für was an?

A.JUNG: Wer soll 1500 Euro für die Sortenkontrolle plus 600 Euro jährlich anfallende Kontrollgebühr für die Registrierung eines 2. Klons einer Sorte wie z.B. Tauberschwarz bezahlen, von dem es noch zahlreiche Klone im Taubertal aufzusammeln gäbe. Ganz abgesehen von der reinen Verwaltungsgebühr von rund 5000 Euro für die vgl. Sortenprüfung und Neuregistrierung einer noch nicht klassifizierten, alten Rebsorte, auch wenn diese seit Jahrhunderten bereits im Anbau war.

YOOPRESS: Ok, Kosten hin und her - worum geht es eigentlich?

A.JUNG: Es geht nicht nur um die 26 historischen Sorten, die heute klassifiziert sind, sondern nach neuesten eigenen Zählungen um 650 Sorten, die im deutschsprachigen Kulturraum einst angebaut wurden, und von denen noch etwa 500 irgendwo in Europa existieren dürften.

YOOPRESS: Und wie viele haben Sie entdeckt bzw. nachgewiesen?

A.JUNG: Über 300 autochthone Sorten sind bis dato in Deutschland, Westpolen und der Deutschschweiz mit meiner Hilfe wiederentdeckt und größtenteils auch identifiziert worden...

YOOPRESS: ...und registriert worden?

A.JUNG Nein - Leider ist es so, dass das praxistaugliche, virusfreie Klonmaterial dieser autochthonen Sorten nicht Einzug in die deutschen Genbank Reben gehalten haben, einfach weil es für Genotypenerhaltung nie phytosanitäre Vorschriften gegeben hat und gibt und sich Virosen in den Züchtersortimenten über die Jahrzehnte ungehindert ausbreiten konnten.

YOOPRESS: Virosen, also Krankheitsbilder werden hingenommen?

A.JUNG: Für die Kreuzungszüchtung ist es egal, ob ein Pollenspender virusinfiziert ist, für den Wiederanbau einer alten Sorte ist eine Virusinfektion allerdings das KO -Kriterium. Urgent action wäre notwendig, stattdessen wird verheimlicht, verzögert und beschönigt, bis auch die letzten alten Weinberge gerodet sind.

YOOPRESS: Ihr vorläufiges Fazit?

A.JUNG: Wenn die gesetzlichen Vorschriften und gebührentechnische Strukturen dafür sorgen, dass historische Sorten massenhaft aussterben, ist es mit reinen Absichtserklärungen nicht getan. Für mich ist dies reine Augenwischerei".

YOOPRESS: Vielen Dank Herr Jung für Ihre Erläuterungen.