Pflanzrechte: Geplatzte Anhörung der AREV bei der EU-Kommission

02.10.2012 - arthur.wirtzfeld

BELGIEN (Brüssel) - Jean-Paul Bachy, Präsident der Versammlung der Europäischen Weinbauregionen (AREV), war für den 21. September 2012 eingeladen worden, vor der 3. Hochrangigen Gruppe (HLG) der Europäischen Kommission die „Studie über die zu erwartenden sozioökonomischen und regionalen Auswirkungen der Liberalisierung der Pflanzrechte im Weinbau“, die Professor Etienne Montaigne von der Universität Montpellier durchgeführt hatte, vorzustellen.

 

Der Präsident und die Mitglieder der AREV hatten sehr beharrlich sein müssen, um schließlich von dieser 3. Hochrangigen Gruppe empfangen zu werden. Nach einer kurzen Vorstellung der AREV und einer politischen Stellungnahme zum System der Pflanzrechte, die im Wesentlichen auf der Analyse der Studie von Prof. Montaigne fußte, wurde Präsident Bachy vom Vorsitzenden der Sitzung, dem Generaldirektor für Landwirtschaft und ländliche Entwicklung José Manuel Silva Rodriguez, das Wort entzogen.

Angesichts dieses im Widerspruch zu den Grundsätzen der Demokratie stehenden und inakzeptablen Verhaltens eines Vertreters der Europäischen Kommission möchte Jean-Paul Bachy die politische Haltung der AREV zu den Pflanzrechten nochmals bekräftigen:

-    keine Liberalisierung
-    keine unterschiedliche Behandlung der einzelnen Qualitätsstufen

Diese Situation bestärkt die AREV nur noch mehr in dem Willen, sich Gehör zu verschaffen und vor allem respektiert zu werden. Der Präsident und die Vizepräsidenten der AREV fordern die Präsidenten der europäischen Weinbauregionen und die Repräsentanten des Weinbausektors, die sich für diese Sache stark machen, dazu auf, am 7. November 2012 in Brüssel zusammenzukommen.

Bei diesem erneuten Treffen geht es darum, die Öffentlichkeit für die verheerenden Auswirkungen einer Liberalisierung der Pflanzrechte zu sensibilisieren, selbst wenn sie sich auf Weine ohne geographische Angabe beschränken sollte (wie es die Europäische Kommission am 21. September 2012 befürwortet hat). Wir werden zur gegebener Zeit berichten. 

 

IN KOPIE WESENTELICHE AUSZÜGE DER VORBEREITETEN REDE VON JEAN-PAUL BACHY

...als Präsident der Versammlung der Europäischen Weinbauregionen, AREV, möchte ich darauf hinweisen, dass diese Organisation auf einer zweifachen Legitimität gründet, die in ihrer Art einzigartig ist: auf der Legitimität der politischen Instanzen und auf der Legitimität der berufsständischen Organisationen von 75 Regionen, von denen 90 % in der Europäischen Union sind.

Die Europäische Union erklärt, dass sie mit der Rolle der Regionen in den EU-Institutionen eng verbunden ist. Ich freue mich daher sehr, dass ich dazu eingeladen worden bin, vor Ihnen im Namen von Regionen zu sprechen, die für eine Einwohnerzahl im zweistelligen Millionenbereich und für mehrere zigtausend Winzer und Arbeitnehmer benachbarter Berufsstände stehen.

Bei der Studie, die Ihnen Professor Montaigne gleich darlegen wird, geht es um drei Fragen:

  • 1. Wir alle wollen die Wettbewerbsfähigkeit des europäischen Weinbaus noch weiter verbessern. Ist die Aufhebung der Pflanzrechte die beste Weise, dies zu erreichen und das Image und die Bedeutung der europäischen Winzer auf dem Weltmarkt zu stärken? Die Antwort darauf lautet: Nein. Was den Ruf der europäischen Weine ausmacht, ist ihre Qualität. Das europäische System der geschützten Ursprungsbezeichnungen knüpft die Identität der Weine an ihre Ursprungsregion. Wenn dieses System zur Explosion gebracht wird, besteht die Gefahr, dass der Markt destabilisiert wird und die Verbraucher völlig verunsichert werden, die mit der Herkunft ihrer Produkte sehr verbunden sind. Sie möchten wissen, woher die Weine kommen und wie sie hergestellt worden sind. Auch der Europäischen Union ist an der Verbesserung der Rückverfolgbarkeit der landwirtschaftlichen Produkte gelegen. Die Aufhebung der Pflanzrechte, die dem System der geschützten Ursprungsbezeichnungen zugrunde liegen, steht im vollständigen Widerspruch zu diesem Prinzip.
     
  • 2. Die weltweite Nachfrage und die Konsumgewohnheiten bei Wein haben sich mit der Zeit weiterentwickelt. Kann mit der Liberalisierung der Pflanzrechte besser auf diese Entwicklung reagiert werden? Die Antwort darauf lautet: Nein, denn die derzeitige Regulierung durch Pflanzrechte hat die Produktion in den guten Weinbaugebieten nie eingeschränkt, und gleichzeitig wurde die Qualität sichergestellt. Es gibt im Übrigen in den heute bestehenden Herkünften bedeutende Potenziale, deren Reputation die Weine ohne geographische Angabe an sich reißen könnten, wenn sie mit aufwertenden Angaben wie Jahrgang und Rebsorte ausgestattet werden. Der Umfang der noch verfügbaren Flächen entspricht manchmal dem Zwei- oder Dreifachen der jetzigen Pflanzungen. Die Organisation der Pflanzrechte hindert die Märkte keineswegs daran, sich hinsichtlich Quantität und Qualität weiterzuentwickeln.
     
  • 3. Die Strategie der Kohäsion ist eine der wesentlichen Grundlagen der europäischen Politik zur Raumordnung. Nun drohen durch die Deregulierung der Ursprungsbezeichnungen einerseits verheerende Folgen für die Weinbaubetriebe, insbesondere bei den schwächsten Weinbaugebieten, wo die Preise bereits sehr niedrig sind, und andererseits und vor allem Produktionsverlagerungen, und zwar mit denselben Auswirkungen, wie sie in den anderen Sektoren bei Industrie und Dienstleistungen zu beobachten waren. Der damit verbundene Verlust an Arbeitsplätzen in den betroffenen Regionen kam sehr teuer zu stehen. Die Maßnahmen für Unterstützung und Restrukturierung, die getroffen werden mussten, haben das europäische Budget ebenfalls schwer belastet. Müssen im Weinbau morgen dieselben Fehler begangen werden?

Dies sind einige der Fragen, auf die die Studie von Professor Montaigne antworten will. Es sind auch die Fragen, die sich die Abgeordneten des „Ausschusses der Regionen“ in Brüssel stellen. Mit Recht haben sie sich gewundert, dass seit Beginn der Debatte über die Deregulierung der Pflanzrechte von der Kommission keine Studie über deren Auswirkungen in Auftrag gegeben worden ist.

In seinem detaillierten Bericht vom Juni 2012 hat auch der Europäische Rechnungshof diese Fragen an die Adresse der Kommission gerichtet. Wenn die AREV nicht die Studie von Prof. Montaigne initiiert hätte und wenn das Europäische Parlament nicht seinerseits eine weitere Studie durchgeführt hätte, hätte die Debatte nicht stattgefunden.

Die Europäische Kommission und der Ministerrat haben zu Recht in einigen Bereichen eine neue Politik in die Wege geleitet.

  • Umweltschutz und die Bewahrung der Landschaften. Jeder möchte sehen, wie sich besser kontrollierte und stärker ökologisch ausgerichtete Produktionsverfahren in präzise definierten Gebieten entwickeln. Will man die Realisierung dieser Politik unmöglich machen?
     
  • Kommission und Ministerrat wollen auch einen stärkere Kohäsion der Haushalte vorgeben. Will man, wenn morgen entschieden wird, dass überall und unter beliebigen Bedingungen Wein angebaut werden kann, erneut das Risiko einer Überproduktion eingehen, die zu Rodungen geführt hat, deren soziale und finanzielle Konsequenzen so bedauerlich gewesen sind?

2007 konnte man noch der Meinung sein, dass es legitim ist, Überlegungen zur Marktwirtschaft im Weinbau anzustellen. Die Situation heute ist keineswegs mehr dieselbe. Europa steckt in der Krise. Es benötigt jetzt in erster Linie Stabilität. Es hat große Mühe, die Finanzmärkte zu beherrschen. Seine Industrie leidet, die Arbeitslosigkeit nimmt in vielen Regionen zu. Müssen wir der Krise noch eine neue Krise hinzufügen?

Die Debatte ist nicht technischer Natur, sie ist politisch.

Im Zentrum dieser Debatte geht es um Folgendes: Es geht um das ökonomische und soziale Modell, das wir für unsere Landwirtschaft und insgesamt für die Regionen und Gebiete unserer Länder wollen.

Dies haben die Regierungen der 15 Länder der Europäischen Union verstanden, die klar und deutlich dieselben Standpunkte wie die AREV vertreten. Dies haben die Mehrheit der europäischen Abgeordneten und die Mitglieder des Ausschusses der Regionen verstanden Dies zeigen die Schlussfolgerungen der wissenschaftlichen Studie, die Professor Montaigne durchgeführt hat...  (jean-paul.bachy)