Bordelaiser Raritäten hoch über dem Rhein

23.01.2013 - R.KNOLL

DEUTSCHLAND (Rheinbreitbach) - Spannende Raritätenprobe in Rheinbreitbach in der Nähe von Bonn. Weinhändler Christian Leve präsentierte einem Kreis von Weinfreunden Bordelaiser Gewächse aus mehreren Jahrzehnten aus einem einzigen Weingut. La Lagune, Haut Médoc, gilt trotz der Einstufung als „nur“ drittes Gewächs in der Médoc-Klassifikation von 1855 als eines der Tophäuser im Bordelais (Robert M. Parker: „Eines meiner Lieblingsweingüter unter den Crus Classés“), mit einer allerdings wechselhaften Geschichte. Gegründet im frühen 18. Jahrhundert, dann vor rund 70 Jahren heruntergewirtschaftet, durch einen neuen, investierenden Besitzer ab 1958 wieder im Aufwind. Aber dem ging nach drei Jahren das Geld aus und das Champagnerhaus Ayala übernahm. Ab Mitte der sechziger Jahre führte eine Frau La Lagune. Jeanne Boyrie sorgte für die Rückkehr in den Rotweinadel. Nach ihrem Tod 1986 übernahm Tochter Caroline die Regie.

 

Die Frauen-Tradition wurde beibehalten, als La Lagune 2000 einen neuen Eigentümer fand. Der übergab einige Jahre später an seine Tochter, wieder eine Caroline, mit Familiennamen Frey, die ursprünglich auf dem Pferderücken Karriere machen wollte, aber noch als 20-Jährige Abschied von Turnieren nahm und sich auf ein Önologie-Studium in Bordeaux konzentrierte. Seit 2004 ist sie verantwortlich für die 80 Hektar. Dass eine fesche, gerade 34-jährige Dame ein altehrwürdiges Bordelaiser Weingut führt, hat die Medien weltweit zu Berichten ermuntert.

In Rheinbreitbach wurden allerdings nur Weine entkorkt, die vor ihrer Zeit gefüllt wurden. Gastgeber Leve hatte gründlich in Schatzkammern gesucht und etliche interessante Jahrgänge gefunden. Nicht alle waren sie in guter Verfassung. Der 1945er zollte wohl dem letzten Kriegsjahr Tribut, er duftete nach Pilzen und Essig und rechtfertigte keineswegs die in Führern vermerkte Einstufung „phänomenaler Jahrgang“. Auch der älteste Wein des Abends, ein 1923er, präsentierte sich bräunlich, trüb und dünn. Dass Parker dem 1962er mal lediglich 55 Punkte gab, wurde angesichts der hohen Säure des Weines verständlich.

Aber sonst machte die Verkostung richtig Spaß, auch bei weniger bedeutenden Jahrgängen wie 1979 (frisch, zupackend), 1975 (vom Cabernet geprägt, zeitlos), 1967 (viel Menge, aber gradlinig der La Lagune, mit Stabilität), 1964 (gilt im Médoc als verregneter Jahrgang, aber dieser Wein war großartig). Von 1990 (klassisch, feingliedrig) und 1982 (geschmeidig, raffiniert) durfte man hohes Format erwarten, nicht unbedingt vom zweitältesten Wein der Probe, dem 1926er, der zwar als „großer Jahrgang“ in die Geschichte einging, aber halt auch ein stattliches Alter aufwies. Die Eindrücke: im Aroma ein Hauch „Todessüße“, aber fest strukturiert, gutes Säuregerüst.

Proben wie diese entwickeln sich zu einer Spezialität bei Weinhändler Leve, ein Junior aus dem Hotel Engel in Warendorf, der ursprünglich in Hotelfach wollte, dann aber Sommelier wurde (1987 kürte ihn die Sopexa zum „besten Sommelier Deutschlands“) und schließlich als Weinhändler aktiv wurde, zunächst zehn Jahre lang als einer der Gesellschafter von Fegers & Unterberg & Berts in Köln, dann bis 2007 bei Les Amis du Vin. Dieses Unternehmen baute er mit einem Partner zu einem bedeutenden Versandhandel für Weine aus dem Bordelais und Deutschland aus, ehe er die Branche wechselte. Ein Jahr lang führte er die Firma Natural green und deren Produkt (Dünger aus Algen) auf dem deutschen Markt ein, fand dafür auch einen Investor „aus der Wüste“ und machte schließlich beim Verkauf seiner Anteile einen so guten Schnitt, dass er sich einen neuen Sitz, den Hof Harian, und die Gründung der Weinraritäten Christian Leve UG in hoch über dem Rhein leisten konnte.

Raritäten-Proben kann er durch gute Kontakte vor allem nach Belgien („ich kenne dort Sammler, die keine spekulativen Preise verlangen“) zusammen stellen. Ein bisschen was ruht auch im eigenen Keller des 55-Jährigen, zum Beispiel ein 1929 Petrus (Schnäppchenpreis 4500 Euro) oder ein 1900er Lafite (5500 Euro). Beim nächsten Termin ist allerdings ein Graves-Traditionsgut an der Reihe: Am 11. Mai werden 15 Jahrgänge Pape Clément zurück bis in die dreißiger Jahre entkorkt. Das Weingut ist nach einem einstigen Eigentümer, Clement V., benannt, der von 1305 bis 1314 Papst der katholischen Kirche war. Dass er als schwacher, umstrittener Papst in die Geschichte einging, übertrug sich nicht auf die Weine.