Zweimal reifes Wein-Österreich

09.10.2013 - R.KNOLL

ÖSTERREICH (Wien) - Reife Weißweine von Grüner Veltliner und Riesling sind in Österreich trotz des eigentlich bekannten Lagerpotenzials dieser Sorten kein bedeutendes Thema. Allenfalls einige Top-Gastronomen wagen sich heran. Aber allmählich kommt Bewegung in die Sache, wie zwei Ereignisse in letzter Zeit deutlich machten.

 

Wenn in Österreich eine Verkostung trockener Weißweine aus mehreren Jahrgängen stattfindet, dann kann es schon vorkommen, dass gleich nach dem derzeit noch aktuellen 2012er die nächste Kategorie mit 2011 unter „Altweine“ eingeordnet ist. Die meisten Weinfans bei unseren Nachbarn gieren förmlich nach jungen Gewächsen, obwohl viele ihre beste Form längst nicht erreicht haben. Was schon etwas länger im Keller lag, ist für diese Genießer mit Tunnelblick uninteressant.

Gottlob gibt es einige Betriebe, die sich um die Erhaltung der Kultur mit reifen Weinen bemühen. So sind die Genossenschaften von Dürnstein und Krems sehr gut bestückt mit Weinen aus einigen Jahrzehnten. In der Kremser Schatzkammer liegen sogar weit über 100 000 Flaschen, die teilweise noch im Verkauf sind. Senior ist ein Grüner Veltliner Kabinett aus dem Jahrgang 1946, der für 250 Euro zu haben ist. Auch Betriebe wie Jurtschitsch und Bründlmayer in Langenlois, Salomon in Krems sowie das Weingut der Stadt Krems sind gut mit Altweinen bestückt, die allerdings nur mehr in Ausnahmefällen in den Verkauf kommen. Und da ist dann noch Peter Dolle aus Strass mit seinem "Senior" 1967 Weißburgunder für 156 Euro. Weniger bekannt es der Naturkeller der Familie Retzl in Zöbing, wo der vermutlich älteste noch trinkbare trockene Weißwein Österreichs liegt, ein Riesling von 1903 (einmal vor einigen Jahren verkostet, nach dem Ablegen der zunächst modrig anmutenden Aromen großartig).

Es gibt in Österreich noch andere Leute, die reife Weine horten – und irgendwann erkennen, dass das kein Werk für die Ewigkeit sein kann. So kam es kürzlich im namhaften Auktionshaus Dorotheum in Wien zu einer bemerkenswerten Versteigerung, bei der neben Rotweinen und Süßweinen etliche Lots mit älteren Weißweinen, meist zwischen sieben und zehn Jahren alt, offeriert wurden. Weinmarketingchef Willi Klinger begrüßte im Vorfeld diese Auktion („Wir sind ein Weinland von Weltruf und können damit das Reifepotenzial unserer Weine unter Beweis stellen“). Er appellierte vor allem an die Gastronomie („jede gute Weinkarte muss auch eine Jahrgangstiefe aufweisen“). Die meisten der Weine kamen aus der Wachau, dem Kamptal und dem Kremstal; die Roten und Edelsüßen aus dem Burgenland; etliche renommierte Erzeugernamen standen dahinter. Einlieferer war eine namhafte Traditionsgaststätte in Wien (Zum Weißen Rauchfangkehrer, Weihburggasse 4), die für ihre umfangreiche Weinkarte bekannt ist.

Fast 800 Lots (etwa 8000 Flaschen) wurden insgesamt präsentiert, meist im 6er oder 12er Pack. Nur knapp 280 dieser Angebote kamen unter den Hammer, etliche Schnäppchen werden noch für einige Tage im Nachverkauf zu haben sein (siehe Tipp). Dann wandern sie zurück in die Keller des Einlieferers. Die Ausrufpreise waren teilweise sehr günstig, aber offenbar fanden nicht genügend Weinfans mit einem Faible für solche Gewächse eine Teilnahme interessant. Außerdem fand die Bekanntgabe der Versteigerung an die Medien erst eine Woche vorher statt.

„Wir hatten im Vorfeld gewisse Kommunikationsprobleme“, meint der zunächst enttäuschte Gastronom Alexander Stauder. Darauf führt er es auch zurück, dass die mehr als 60 Lots von Süßwein-Kaiser Alois Kracher nicht versteigert wurden. So mancher Interessent habe nicht verstanden, wie eine Auktion abläuft, zumal es die erste große Weinversteigerung in Österreich überhaupt war. Stauder setzt auf einen langen Atem und einen Lernprozess bei Interessenten. „Wir haben weitere Auktionen geplant. Theoretisch könnten wir mit unseren Vorräten auch zehn Versteigerungen bestücken.“

Besonders begehrt waren die Nobelweine von F. X. Pichler aus der Wachau. Der „M“ aus 2005 schoss dabei den Vogel ab. Zwölf Flaschen gingen für 708 Euro weg, weitere drei Flaschen brachten 312 Euro. Bei den Rotweinen brachten „Senioren“ von Prieler (Neusiedlersee-Hügelland) ebenfalls sehr gute Ergebnisse (z. B. 920 Euro für zwölf Flaschen 1999er Blaufränkisch Goldberg). Der „Cupido“ vom Weingut J. Heinrich (Mittelburgenland) durchbrach mit 637 Euro für sechs Flaschen die 100er-Marke/Flasche.

Etliche der ersteigerten Weine werden wohl in private Keller gelangen, denn die Gastronomie war offenbar sehr zurückhaltend und verpasste die Chance, die Weinkarte zu bereichern. Ein Grund ist vermutlich, dass so mancher Wirt schwarz einkauft; in der Szene spricht man von fast „griechischen Verhältnissen“. Andererseits ist eine Weinhandlung wie Del Fabro in Wien seit einigen Jahren bemüht, den Gastronomen reifere Gewächse näher zu bringen.

Dies geschah aktuell wieder im Rahmen des WIFI-Weinherbstes, einem Treff der Gastroszene und von Weinbegeisterten. WIFI ist eine Einrichtung der Wirtschaftskammer für die Erwachsenenbildung, die sich auch dem Thema Wein geöffnet hat.

Auf dem Programm stand eine Altweinprobe mit Österreichs Paradesorte Grüner Veltliner, die zurück bis ins Jahr 1971 reichte. Der Wein vom Weingut Salomon in Krems wurde einige Jahre vorher neu verkorkt und offenbar auch mit Kohlensäure aufgefrischt. Er schmeckte wie in zwei- oder dreijähriger Wein. Ein Höhepunkt der Verkostung war ein 1973er von Mayer am Pfarrplatz, bei dem die rund 80 Teilnehmer den vor zwei Jahren verstorbenen Franz Mayer posthum hochleben ließen.

Zwei Probleme ließen die reifen Österreicher erkennen: die Korkqualität war früher oft bedenklich; rund ein Dutzend Flaschen mussten deshalb aussortiert werden. Und in den Jahren ab dem Skandaljahr 1985, als Glykol das Weinland erschütterte, wurden die Weine knochentrocken und mit manchmal unreifer Säure in die Flasche gebracht, weil die Winzer weg wollten von den belanglosen Süßweinen, die das Image kaputt gemacht hatten. Das besserte sich dann wieder vor gut zehn Jahren. Ein 1999er von Franz Leth aus der Region Wagram zeigte Saftigkeit und Charme, ebenso die 2002er von Bründlmayer (Langenlois) und Hirtzberger (Wachau). Mit diesem Duo wurde gleichzeitig deutlich gemacht, dass es ambitionierten Erzeugern auch im Flutjahr 2002 gelungen war, exzellente Weine zu erzeugen. Bei einem 2003er von Ewald Gruber (Weinviertel) konnten Vorurteile abgebaut werden. Dem Hitzejahrgang wurde seinerzeit oft attestiert, es mangle ihm an Säure. Aber die Selektion des Röschitzer Winzers präsentierte sich so straff und jugendlich, dass man ihm bei einer Blindprobe ein Alter von vielleicht drei Jahren attestiert hätte.