Holger Daniel wirbelt in Geisenheim

23.08.2014 - R.KNOLL

DEUTSCHLAND (Geisenheim) - In Wien ergriff vor zwölf Jahren der gutartige Virus Weinbau endgültig von ihm Besitz. Holger Daniel, aufgewachsen in Geisenheim im Rheingau, sollte als leitender Mitarbeiter einer Unternehmensberatung einen Vortrag halten. Aber dann kam alles ganz anders.

 

Am Vormittag übergab er seine Unterlagen an einen Kollegen, meinte: „Rede du für mich. Ich muss weg.“ Dann setzte er sich in den Flieger nach Frankfurt, fuhr von hier mit dem Auto nach Hause, spazierte in die Weinberge, legte sich – noch im feinen Zwirn – auf den Boden, sog die Luft ein, betrachtete die triebhaften Reben, erzählte in den eigenen vier Wänden anschließend seiner Frau von seinem Entschluss, nur mehr Winzer zu sein (den Winzermeister hatte er schon einige Jahre vorher gemacht). Er bekam keine Abfuhr von Susanne. Sie meinte schlicht: „Das ist richtig, das machen wir.“ Somit waren die beiden die vierte Generation im kleinen, damals weitgehend unbekannten Betrieb, der früher unter dem Namen Göttert einige Fans hatte.

Mit dem Job in der Wirtschaft war es damit natürlich vorbei. Aber der heute 49-Jährige wurde ein begeisterter Winzer und konnte auch seinen Stiefsohn Kenny (27), den seine Frau mit in die Ehe gebracht hatte, anstecken. In gut zehn Jahren stellte er den Betrieb radikal um und wechselte die Kundschaft zweimal mehr oder weniger aus. Das Sortiment wurde von ursprünglich 40 Weinen auf weniger als die Hälfte reduziert. Für Ordnung sorgt die hauseigene Klassifikation mit Basisweinen, der Kategorie Signature für gehobene Qualitäten und „One“ für die Spitze. Heute hat der Fachhandel einen Anteil von rund 60 Prozent am Absatz (darunter das namhafte Haus „Daniel’s Weine“ von Daniel Hasert württembergischen Winterbach, wo Holger Daniel vor gut zwei Monaten seine Kollektion vorstellte). 30 Prozent werden privat verkauft, der Rest geht an die Gastronomie.

Gute Resultate bei Verkostungen stellten sich relativ schnell ein. Hilfreich im Marketing waren seine Erfahrungen aus sechs Jahren als Dozent für diesen Bereich an der Wein- und Sommelierschule. Inzwischen hat er qualitativ ein ausgezeichnetes Niveau erreicht, und das nicht nur mit Riesling. Der 2013er war aus seiner Sicht zunächst arg verschlossen. Aber er signalisierte ihm im Zwiegespräch „Lass mir Zeit“. Allmählich hat sich der Wein entwickelt, präsentiert sich apart und elegant. Spaß macht auch der Weißburgunder, der von etwas kaukasischer Eiche geküsst wurde. Den diskreten, feinwürzigen Sauvignon blanc darf man nicht mehr loben, der ist längst ausverkauft. Zugelegt hat Daniel außerdem mit seinen Rotweinen. Der 2011er Pinot Noir „New Edition“ zeigt viel Biss und eine saftige Extraktsüße. Der 2012 Pinot Noir „One“ ist elegant und hat ein Potenzial für gut zehn Jahre Lagerung.

15 Hektar stehen unter Reben. In den nächsten Jahren soll das Weingut noch etwas wachsen. 20 Hektar könnten es werden, weil irgendwann ein zweiter Junior versorgt sein will und dieser Nachwuchs schon mit vier Jahren auf den Traktor kletterte und Maische wendete – also ein klassischer Betriebsnachfolger. „Im Rheingau sind geeignete Flächen schwer zu bekommen“, hat Holger Daniel erkannt. „In Lorch ist vielleicht was machbar. Aber vielleicht weiche ich aus an den Mittelrhein.“ Mit einer roten Cuvée aus dem Jahrgang 2007 hat er sogar weit über den eigenen Tellerrand hinaus geschaut. „Come together“ heißt der Wein, bei dem Kollegen aus der Pfalz (Gehrig) und Rheinhessen (Gallé) einen Anteil  zum eleganten, tiefgründigen Wein beisteuerten.