Wein, Frauen und ein neues Genre – Die Fantastischen Fünf

Text: Arthur Wirtzfeld | Veröffentlicht: 25. Juli 2016

CHINA (Ningxia) - Es ist Fakt: In aufstrebenden Weinmärkten, insbesondere in China, unterliegen die Trinkgewohnheiten einem steten Wandel, und dies in hohem Maß dort, wo die weibliche Kundschaft den Schwerpunkt bildet. Außerdem: Kein Klischee über chinesische Weingüter könnte man in diesem Zusammenhang auf die Kanaan Winery anwenden. Hier ist nichts von der Aura französischer Châteaux aus Bordeaux zu spüren – kein prächtiges Schloss, kein altehrwürdiges Gemäuer weit und breit. Hier herrscht eine eher schlichte, funktionale Atmosphäre. 

In den Weinbergen stehen Cabernet Sauvignon, Cabernet Gernischt, Merlot sowie Chardonnay im Ertrag – und auch Riesling. Und noch etwas ist anders bei der Kanaan Winery: Kein smarter Önologe mit europäischem Akzent hat hier das Sagen, sondern eine Frau – die Chinesin Fang Wang, genannt „Crazy Fang“. Ihre Weine wurden jüngst von internationalen Kritikern mit Auszeichnungen bedacht, darunter Jancis Robinson und Decanter – lesen Sie hierzu unseren Beitrag „Chinas Kanaan Winery und die ‚verrückte‘ Fang“. Kurzum: Crazy Fang produziert nicht nur herausragende Qualitäten, die internationale Standards erreichen, sie steht auch zunehmend über alle Branchen hinweg für die Weiblichkeit in der chinesischen Industrie.

Big Player in Ningxia

In der autonomen Weinregion Ningxia, entlang des Helan-Gebirges, unterhalten einige Big Player ihre Weinprojekte. So ist hier der Österreicher Lenz Moser als Berater des chinesischen Branchenführers Yantai Changyu Wine Pioneer Co. aktiv, auch der französische Getränkeriese Pernot Ricard sowie der Luxuskonzern LMVH mit der Marke „Chandon China“ (Moët-Chandon). Die inte­ressantesten Produzenten allerdings sind Frauen, und dazu gehören neben Emma Gao mit ihrem Weingut Silver Heights nun auch Crazy Fang sowie Zhang Jing im Weingut Helan Qing Xue und Gloria Xia (bis vor kurzem Weinmacherin bei Chandon), die für Aufmerksamkeit in der internationalen Weinszene sorgt. Zu Chinas „Fantastischen Fünf“ gehört auch Judy Chan, die bei Grace Vineyard in der Provinz Shanxi verantwortlich zeichnet. Der Aufstieg dieser Frauen in der eher Männer-dominierten Branche spiegelt zuerst einmal ihre Kompetenz wider und ist ein Indikator für die Marktkraft ihrer Weine. „Rund 70 Prozent der Entscheidung beim Weinkauf in Supermärkten sowie online tragen Chinas Frauen. Nicht nur deswegen machen Winzerinnen auch an der Front der Weinproduktion Sinn", erklärt Lenz Moser.

Global gesehen, belegen diese Trends Mosers Feststellung. In China und auf der ganzen Welt sind die Weinkategorien mit dem spannendsten Wachstum Weißweine, Schaumweine und Roséweine. Ein ebenfalls wachsender Prozentsatz des Konsums von Wein verlagert sich von Restaurants in den heimischen Bereich. Diese Trends werden, nicht nur in China, überwiegend den Frauen zugesprochen. „Chinesische Männer neigen dazu, durch elegante Grand Cru-Etiketten und durch ausgefallene Preise stimuliert zu werden. Chinesische Frauen lassen sich bei ihrer Entscheidung eher von hübschen Etiketten, ansprechendem Ge­schmack und vernünftigen Preisen überzeugen", sagt Lenz Moser.

Weinerlebnisse in Deutschland

„Ich war eine dieser Frauen“, bestätigt Crazy Fang, die bis zu ihrer Rückkehr nach China einige Jahre in Deutschland gelebt hat. Zu ihrem deutschen Freundeskreis gehörte auch eine Winzerfamilie. „In Deutschland war es ganz normal, ein oder zwei Gläser Wein am Tag zu trinken“, erzählt sie. „Ich war eine reine Konsumentin, Handel oder Produktion von Wein habe ich dort nicht gelernt. In Deutschland kaufte ich mir Weine mit hübschen Etiketten, achtete dabei aber immer auf einen vernünftigen Preis. Als mein Vater 60 Jahre alt wurde, kehrte ich nach China zurück. Er ist technischer Wissenschaftler und bei Projekten der Regierung involviert. Nebenbei hatte er 2005 mit seinen Kollegen ein Weingut namens Helan Qing Xue gegründet.“ Dessen Weine gehörten zu den Ersten, die durch ihre Qualität die Weinregion Ningxia international bekannt machten. Bereits 2011 erhielt das Weingut für die Jia Bei Lan Grand Reserve Jahrgang 2009 einen Top-Preis vom Decanter. 

Habitat zum Wohlfühlen

„Zu Hause angekommen, sprachen wir über die Möglichkeiten, selbst Wein zu produzieren“, erzählt Crazy Fang weiter. „Mein Vater und seine Kollegen meinten, dass dort, wo sie selbst wirkten, also entlang des Helan-Gebirges, beste Bedingungen für den Weinbau herrschen würden. So entschieden wir, direkt neben Helan Quing Xue mein Weingut Kanaan zu gründen. Im Betrieb sind mir die unterschiedlichen Präferenzen eine große Hilfe. Das Interesse meines Vaters gilt vor allem dem Weinberg und der Pflege der Reben, beides kann ich ihm überlassen. Ich kümmere mich dagegen um den Ausbau der Weine, das ist mein Metier", sagt Crazy Fang. Sie versucht, ihren Weinen das Terroir der Weinberge mit auf den Weg zu geben – ihre größte Herausforderung. Diese Intention hat sie in Deutschland aufgenommen, ebenso wie ihre Liebe zum Riesling. 

Unkonventionell ist ihre Methode, die Weine zu formen. „Ich mag kein Labor. Ich will mich beim Weinmachen zu Hause fühlen. Ich brauche einen Tisch, einen Stuhl, um mich herum meine Gemälde, also mein bescheidenes, heimisches Wohlgefühl. In diesem Habitat fühle ich mich frei und überlege mir, wie meine Weine sein sollen“, erklärt Crazy Fang. „Die Arbeit meines Vaters in den Weinbergen beeindruckt mich, ich habe hohe Achtung vor seiner Leistung. Mich selbst sehe ich nicht als Winzerin. Ich wusste auch vorher nicht, wie schwer die Arbeit ist. Außerdem wächst der Druck ständig, jedenfalls seit der ersten positiven Bewertung durch den Decanter und durch die Aufnahme in die Top 100. Da habe ich erfahren, wie man sich fühlt, ständig Erwartungen erfüllen zu müssen.“

Markt für Experimente

Einen Vorteil hat Crazy Fang: Der Markt in China ist völlig anders als die Märkte in Europa und in Übersee. Hier in China ist eine Önologie entstanden, die kaum Zeit hatte, Traditionen zu entwickeln, sondern so gut wie frei war von Einflüssen. China hat auch keine Tradition hinsichtlich bestimmter Reb­sor­ten, es gibt auch keine Gewohnheiten, Weine, solo oder zu Mahlzeiten zu konsumieren. Zudem werden die Konsumenten immer jünger, und zu ihnen gehören immer mehr Frauen. Dies öffnet die Tore für Experimente – es ist eine Spielwiese für neue Qualitäten. All diese Gegebenheiten spielen Crazy Fang in die Hände. Außerdem entwi­ckelt sich in China der Konsum von Wein gerade erst als dritte Säule gegenüber dem Konsum von Bier und den traditionellen Bränden wie Baijiu. Die Weine, die in China vor allem von Frauen gekauft und auch konsumiert werden, sind glatter als die europä­ischen Weine, sie haben weichere Tannine, einen angenehm fruchtigen Geschmack und niedrigeren Alkoholge­halt. „Die Frauen mögen auch keine rötlichen Zähne, da sind sie sehr eitel“, meint Crazy Fang. Doch da irrt sie, jedenfalls hinsichtlich der Weinqualität, denn die ist dafür nicht verantwortlich, sondern die Farbintensität gewisser Rebsorten in Kombination mit dem Zustand des individuellen Zahnbelags.

Unverkennbarer Freigeis

Der Handel in China – ebenso eloquent wie schnell und aufmerksam, was die Vorlieben der Konsumenten angeht – unterstützt diese weibliche Linie, sowohl in der Produktion als auch im Verkauf. Crazy Fang weiß dies zu nutzen. Ihr Spitzname ist weniger einer bestimmten Verrücktheit geschuldet, sondern eher ihrer Unbekümmertheit, einfach gute Qualität in ihre Flaschen zu bekommen. „Wenn nur der Druck nicht wäre“, schließt Crazy Fang. Ihr Freigeist ist unverkennbar – es bleibt zu hoffen, dass sie ihn bewahren kann.