Historische Rebsorten im Fokus: Von Gänsfüßer, Urban, Adelfränkisch und Hartblau

19.01.2015 - R.KNOLL

DEUTSCHLAND (Würzburg) - Für Fans von Riesling und der Burgunderfamilie waren Neuzüchtungen immer schon „Unzuchten“. Aber die Wissenschaft ist nach wie vor fleißig bemüht, neue Sorten zu kreieren, die besondere Tugenden haben sollen. Aktuell sind das vor allem die „Piwi“, die pilzwiderstandsfähigen Varietäten. Doch es gibt einen zarten Trend zu fast ausgestorbenen Reben mit teilweise vergessenen Namen…

 

Vermutlich einen wichtigen Anstoß dazu gab der Wissenschaftler und Oenologe Andreas Jung aus Lustadt, der vor einigen Jahren über einen längeren Zeitraum an mehr als tausend Standorten im Auftrag des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz über 240 historische Rebsorten aufspürte, mal als Hausstock oder in Brachen und alten Rebanlagen im Mischsatz. Seine Erkenntnisse wurden nie öffentlich, wohl auch deshalb, weil Jung indirekt deutlich machte, dass die vielen, vielen Züchtungen eigentlich überwiegend Unfug waren und man es versäumte, das Potenzial der alten Sorten zu erhalten und wieder zu wecken. Inzwischen arbeitet Jung mit einem Rebenzüchter zusammen, der an Privatleute und Winzer „Urreben“ verkaufen kann. Darüber hinaus gibt es „bewahrende Weinberge“ in Weingarten (Südpfalz), Heppenheim, Flörsheim-Dalsheim und Gundelsheim mit Mischsätzen. Mit Rebpatenschaften (120 Euro/Jahr) kann man sich hier beteiligen und helfen, das Projekt „Historische Rebsorten“ zu finanzieren. 

Unabhängig davon werden einige der „Reben-Senioren“ immer häufiger in größerem Umfang ausgepflanzt. So gibt es inzwischen mehrere Winzer in deutschen Landen, die sich am Heunisch versuchen, eine Uraltsorte, die Stammvater zahlreicher Sorten ist, inklusive Riesling. Im Mittelalter war die reichtragende Rebe weit verbreitet. Das lag unter anderem am „Zehnten“, den die Landbevölkerung an ihre Herrschaften abzugeben hatte. In dieser Zeit war Menge wichtig und Qualität eher bedeutungslos. 

Die wohl erste Heunisch-Anlage in Deutschland wurde im Sommer 2004 vom Weingut Georg Breuer auf Rüdesheimer Fluren gepflanzt. Der ebenfalls ausgesetzte Orleans, an dem sich auch die Knipsers in der Pfalz versuchten, macht mit seiner Aromatik und einer lebhaften Säure indes mehr Spaß als der geschmacklich flache Heunisch. Die vermutlich größte Anlage mit dieser Sorte wird derzeit wohl in der Pfalz bewirtschaftet. Das Weingut Herrenbergerhof in Birkweiler kann 2000 Stöcke vorweisen. Die Anregung, Heunisch zu pflanzen, kam vom Institut für Rebenzüchtung - Geilweilerhof in Siebeldingen. Eine dort beschäftigte Tochter des Familiengutes, Silke Hüther, griff das Thema auf. An zunächst 800 Rebstöcke kam man gut heran, weil die zweite Tochter Kerstin bei einer Rebschule tätig ist. Inzwischen umfasst die 2009 gestartete Anlage 2000 Stöcke. Der Dritte im Geschwisterbund, Kellermeister Oliver Hüther, hat inzwischen erkannt, dass man die Sorte im Ertrag extrem drosseln muss, um trinkbaren Wein zu erzeugen. „Die Trauben können riesig ausfallen. Wir reduzieren auf 50 Hektoliter pro Hektar, bekommen aber doch nur ein Mostgewicht von weniger als 80 Grad Oechsle. Würden wir nichts rausschneiden, hätten wir einen Ernteschnitt von sicher 200 Hektoliter auf dem Hektar.“

Verkaufen können die Hüthers den Wein zum Preis von 15 Euro gut, weil die Neugierde mit reinspielt. Aber Freude kommt bei einer kritischen Verkostung nicht auf. Das Aroma kann eigenwillig gemüsig ausfallen, die Säure kommt ziemlich grün zur Geltung, weil kaum Extrakt vorhanden ist. Da ist ein rotes Gegenstück im Südpfälzer Betrieb schon um einiges interessanter. Der Blaue Arbst, von dem 400 Reben gepflanzt wurden, gilt als ein Ur-Klon des Spätburgunders. Die Sorte liefert kleine, gesunde Beeren mit dicker Haut (im Zeitalter der Kirschessigfliege wertvoll), ist nicht anfällig für Botrytis und nach Einschätzung von Oliver Hüther „weintechnisch anspruchslos.“ Die bisher ausgebauten Jahrgänge 2012 und 2013 sind qualitativ gut geraten und lassen Burgunder-Charme erkennen. Gut ausgereifte Gerbstoffe sind eine Stütze für die Lagerung. Die Erntemengen sind gering, nur umgerechnet etwa 30 Liter auf einem Ar. „Es kommt ganz wenig Saft raus“, hat Winzermeister Hüther erkannt. 

Gut 20 Kilometer weiter nördlich wird eine ebenfalls uralte Sorte gepflegt, die früher mal in der Pfalz weit verbreitet war. Der Gänsfüßer wird im Staatsweingut mit Johannitergut in Neustadt-Mußbach zu einem durchaus akzeptablen Rotwein ausgebaut und hat sich damit von den hier im Dienstleistungszentrum Ländlicher Raum (DLR) getätigten zahlreichen Klein-Versuchen mit etwa 300 Sorten, darunter auch reichlich historische Reben, verselbstständigt. Der Name leitet sich von der speziellen Blattform ab, die dem Fuß einer Gans ähnelt. Die Sorte ist stark wachsend und liefert bei später Reife große Trauben. Vermutlich wegen des starken, viel Platz beanspruchenden Wuchses und unsicherer Erträge verschwand sie aus den Weinbergen. „Dr. Fritz Schumann, früher Fachbereichsleiter Weinbau am Institut, entdeckte sie in Form eines Hausstocks wieder und initiierte den Anbau“, weiß Weinbauberater Gerd Götz zu berichten. Für den Ausbau sorgt Sascha Wolz, Kellermeister des Staatsgutes. Die Erntemenge liegt zwischen 250 und 400 Liter. Wolz setzt gebrauchte Barriques ein und arbeitet gelegentlich sogar mit Eichenchips. Die Weine sind beerig, saftig, lassen in der Jugend eine merkliche Säure durchschimmern, sind aber gut lagerfähig. 

Ist es Roter, Blauer oder Schwarzer Urban? Denn diese Varianten gibt es von einer weiteren, einst oft im gemischten Satz angebauten Sorte, die auch gelegentlich in der Roten Version als Weißweinsorte bezeichnet wird. Um allen Diskussionen aus dem Weg zu gehen, schreibt das einzige Weingut, das sich noch damit befasst, einfach nur „Urban“ auf das Etikett. Felix Graf Adelmann, Hausherr von Burg Schaubeck, bezeichnet sie aber intern als Roter Urban. Die alte Sorte mag bessere Lagen. Die Stöcke auf den Gemarkungen von Kleinbottwar sind rund 30 Jahre alt und wurden von älteren Reben selektioniert. Beim Wein hat man keine hohen Ansprüche. Adelmann siedelt ihn auf einer Ebene mit einem guten Trollinger an, nur sind die Erträge – hier maximal 55 Liter/Ar – deutlich geringer.

Ob es zu einer „Urbanisierung“ in größerem Umfang kommt, ist eher zweifelhaft. Dagegen könnte es sein, dass in einigen Jahren alte fränkische Sorten stärkere Verbreitung finden. An der Bayerischen Landesanstalt für Weinbau und Gartenbau in Veitshöchheim vertritt der seit August 2014 amtierende Präsident Dr. Hermann Kolesch die Devise: „Gezüchtet wurde hier lang genug. Wir müssen das Reservoir alter Sorten und Klone wecken, die dem Klimawandel trotzen können.“ Acht Hektar sind dafür bestimmt, ausgebaut wird in der Regel der Ertrag von rund hundert Reben in größeren Glasballons. 

Besonders interessant ist die weiße Sorte Adelfränkisch (tolle Würze, sehr elegant, lang). Ihr Nachteil: sie verrieselt leicht. Bei den Rotweinreben überraschen Blauer Kölner (saftig, reife Gerbstoffe), Mohrenkönigin (hell in der Farbe, straff, süffig, gute Säure, erinnert an Trollinger) sowie Hartblau, die an Cabernet denken lässt, im Geschmack dicht und würzig ist und mit ihrer dicken Schale dafür sorgt, dass sich die Kirschessigfliege nicht an ihr vergreifen kann. Der Blaue Kölner wurde 2003 auf Regensburger Gemarkungen entdeckt, wo noch einige hundert Jahre alte Stöcke zu finden waren. „Vielleicht einmal ein Ersatz für den Portugieser“, meint der Veitshöchheimer Weinbautechniker Josef Engelhart, der sich intensiv mit den historischen Reben befasst. „Die Trauben reifen sehr spät, brauchen länger als der Spätburgunder. Das kann bei der Klimaerwärmung wichtig werden.“

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