KULINARIK

Weinvariationen zu: Wild!

Text: Ursula Heinzelmann, Fotos: Manuel Krug

Ein winterliches Festmahl ohne Wildbraten? Das ist für viele schwer vorstellbar. Und ob das gute Stück nun tatsächlich aus dem Wald oder von den weiten Wiesen einer Zucht stammt, mit einem prächtigen Geweih oder ohne gelebt hat – Wein muss in die Gläser. Feiner Wein.

Der Wein zum Wild braucht beileibe nicht immer dunkel und kräftig zu sein – dieser Irrtum grassiert nicht nur in der Gastronomie. Zu einem Rindersteak, einer Lammkeule, da dürfen ruhig kräftige Tannine und wuchtige Frucht fliessen, aber zu der zarten Aromatik eines gut abgehangenen Rehrückens möchte auch der Wein vornehm und fein auftreten. Nicht ohne Grund empfehlen klassische französische Ratgeber zu Reh oder Hasenbraten gereiften Hermitage, Pomerol oder «un Richebourg». Bevor wir an dieser Stelle in die Diskussion abdriften, was kräftig oder fein im Glas überhaupt bedeuten, wenden wir uns dem wilden Tier auf dem Teller zu. Wild – das kann Reh, Hirsch oder Wildschwein sein, Hase, Fasan oder Taube; es kann tatsächlich im Wald gejagt sein oder doch gezüchtet... Sie merken schon, ein breiter Begriff ! Und warum reden wir eigentlich immer vom Abhängen? Weil all dies keine Weidetiere, sondern aktive Vielbeweger sind, mit viel Glykogen als Energiespeicher in den kräftigen Muskeln, das sich zuerst einmal in Milchsäure verwandelt und für starres Verkrampfen sorgt. Erst nach Tagen werden proteinzersetzende Enzyme aktiv, das Fleisch wird weicher und entwickelt langsam Eigengeschmack: Es reift – genau wie der Wein (und wie beim Wein schlägt «reif» irgendwann in «zu alt» um). Bambi und Wildsau sind keine Mangelware, und trotzdem greifen wir dafür häufi g zu den besten Flaschen, trotzdem umgibt den Wildbraten etwas Festliches, ob nun an Weihnachten oder einem runden Geburtstag. Das erklärt sich einerseits durch die Geschichte. In so vielen Kulturen hat sich die Jagd nach dem Sesshaftwerden zum Privileg entwickelt, wurde das Jagdregal zum Statussymbol und Wild auf dem Teller folglich etwas Nichtalltägliches. Und andererseits reifen nur die besten Flaschen so richtig fein. Warum wir auf diesem «fein» bestehen? Weil zumindest aus der richtigen Quelle das Fleisch tatsächlich und wortwörtlich feinfaserig und wunderbar aromatisch ist. Reh und Hirsch sind wählerische Esser, die zartesten Knospen und Triebspitzen sind ihnen gerade gut genug. Das wird jeder wissen, der einen Garten am Waldrand hat – oder auch einen Weinberg. So mancher Winzer ist auch Jäger, weil zu viele vierbeinige Waldbewohner eine Bedrohung seiner Existenzgrundlage darstellen. Denn wenn die ungebetenen Esser im Weinberg überhandnehmen, die Wildschweine zu oft zwischen den Zeilen wühlen, dann leiden die Reben und damit der Wein. Also serviert der Winzer lieber des Sonntags einen Rehrücken. Und öffnet dazu eine gute Flasche. In der Pfalz (dem Ursprung unseres Prachtexemplars) gibt es Rotkohl zum Reh und selbstverständlich Spätburgunder. An der Mosel funkelt eine mehrere Jahre gereifte, nicht trockene (!) Riesling-Auslese im Glas. Die schmeckt nicht mehr wirklich süss, aber auch nicht richtig trocken, ersetzt einerseits die vielerorts üblichen Fruchtbegleiter zum Wild und vereint sich mit dem Fleisch beinahe balsamisch – ausprobieren! Vielleicht mit Pfifferlingen und grünen Bohnen oder Kürbispüree und gebratenen Steinpilzen?

 

So besonders und fein Wild sein kann, auch hier beeinflusst, wie bei allen anderen Arten von Fleisch, die Zubereitung ganz entscheidend die Affinität zum Wein. Vom Fasan zum Beispiel brät man die enthäuteten, hellen Brüste kurz in viel schäumender Butter und serviert sie auf ebenfalls gebratenen dicken Selleriescheiben mit ein bisschen Schwarzkohlgemüse, dann lässt sich dies mit einem gereiften Weissburgunder der gehobenen, edlen Art, hervorragend ergänzen. Füllt man den ganzen Vogel hingegen klassisch französisch mit Gänsestopfleber und schwarzen Trüffeln und gart ihn im Ofen mit Kalbsfond, aromatisiert mit Armagnac und Madeira, dann «funktioniert» Rotwein viel besser, sogar nicht zu lang gereifter Bordeaux oder einer der Cabernet-Klassiker aus Kalifornien. Wildschwein kann je nach Herkunft und Alter des Tieres von dunklerem Schweinefleisch bis zu tatsächlich wildem Waldaroma reichen. Hier ist alles möglich, vom zierlichen Filetmedaillon (und einem edlen Wein, etwa einem gereiften Hermitage) bis zum rustikalen Steak (siehe oben – Bandol! Madiran! Zinfandel!). Der Nacken ergibt ein grossartiges Gulasch, ein mit einem Anteil Schalen vergorener Grüner Veltliner schlägt im Glas die Brücke zwischen Kraft und Aroma. Schliesslich noch mal ganz anders: Wildtaubenbrüste, am Knochen gebraten. Im Idealfall unbedingt rosa bis blutig, unbedingt mit Blauburgunder, Spätburgunder, Pinot Noir – und davon unbedingt eine deutlich gereifte Flasche aus einem wirklich guten Jahrgang von einem wirklich guten Erzeuger. Denn solch ein Wein stellt in Weinberg und Keller die Balance zwischen Kultur und (wilder) Natur dar, genauso wie Taubenbrust und Rehrücken.

DIE WEINE

Savagnin Ouillé 2014

Didier Grappe

Saint-Lothain, Côtes du Jura (F)

12 Vol.-% | 2016 bis 2024

In der Nase Landschaft und Natur:
Koniferen, Moos, eine Waldlichtung,
die in der Sonne leuchtet und duftet.
Die Luft ist frisch, der Gaumen säurebelebt.
Grossartiges Beispiel einer
aromatischen Sorte als mineralischherber
Wein, unter anderem durch
geringe Erträge und sehr wenig
Schwefel. Lässt das Reh tanzen und
liebt die Rotkohlgewürze, fegt jegliche
Feiertagsmüdigkeit einfach weg.

Spätburgunder

Kastanienbusch

Köppel 2011

Karl-Heinz Wehrheim

Birkweiler, Pfalz (D)

13 Vol.-% | 2016 bis 2026

Wein vom Jäger selbst: Der Kastanienbusch grenzt direkt an den Pfälzer Wald, in dem Karl-Heinz Wehrheim jagen geht und das Reh für unseren Braten erlegt hat. Südliche Lage und Fülle wird durch die kühle Luft des Waldes gebändigt, die Würze des verwitterten Buntsandsteins in den Trauben trifft ganz Ähnliches in Fleischform.

St. Laurent Donnerskirchen 2013

Hannes Schuster

St. Margarethen, Burgenland (A)

12,5 Vol.-% | 2016 bis 2028

Ob die Sorte nun tatsächlich vom Pinot abstammt oder nicht, wirkt er doch aus so feinfühliger Winzerhand wie bei Hannes Schuster wie eine Kreuzung aus Burgunder und Blaufränkisch – kräftig, zart und frisch zugleich. Alte Reben auf Schiefer und Kalk im nördlichen Burgenland bringen schwarzrote Frucht und steinige Kräuter ins Glas.