Reichhaltige Weinkultur

Genuss in den Abruzzen

Die Abruzzen blicken auf eine jahrtausendealte, abwechslungsreiche Geschichte zurück, auf deren Spuren man überall stösst: Prähistorische Höhlen, römische Ausgrabungen, romanische Kirchen und Städtchen aus der Zeit der Renaissance zählen dazu ebenso, wie Burgen und Schlösser, malerische Bergdörfer und schmucke Städte am Meer.

Diese wunderbare Region erstreckt sich zwischen dem Adriatischen Meer im Osten und den Gipfeln des Gran Sasso und der Majella im Westen, um genau zu sein. Die gebirgige Zone des Apennins mit ihren drei Nationalparks bedeckt mehr als 65 Prozent der Oberfläche der Region. Im Gebirgsmassiv des Gran Sasso d’Italia umfasst sie auch den Corno Grande, mit seinen fast 3000 Metern der höchsten Erhebung des kontinentalen Italiens südlich der Alpen. Hier kann man im Sommer nicht nur wandern und klettern, auch zum Skifahren bieten sich einige kleine, feine Skigebiete an, von denen man in der Ferne das Meer erblickt. Dort tummeln sich an den kilometerlangen Stränden nicht nur im Sommer die Touristen.

Daneben ist aber auch die Landwirtschaft von grosser Bedeutung für die regionale Wirtschaft: Getreideanbau, aber auch die Olivenölproduktion sind traditionell ebenso weit verbreitet wie die Viehzucht. Das bedeutendste Segment der regionalen Landwirtschaft ist aber mit mehr als 34 000 Hektar Rebfläche und einer jährlichen Produktion von rund 3,5 Millionen Hektolitern der Weinbau - mehr als eine Million Hektoliter davon sind Weine mit Ursprungsbezeichnung. Der Weinbau hat dabei eine lange Geschichte, wurde schon in römischer Zeit erwähnt und hatte auch im Mittelalter grosse Bedeutung. 

Weinbau in den vier Provinzen

In den vier Provinzen L’Aquila, Teramo, Chieti und Pescara reichen die Weinberge bis in Höhen von 500 Metern über dem Meer, in günstigen Südlagen bis zu 600 Metern. 83 Prozent der Produktion sind in der Provinz Chieti in der Nähe der Küste konzentriert, die Provinzen Pescara und Teramo repräsentieren etwa 10 bzw. 6 Prozent, während etwa 1 Prozent aus der Provinz L'Aquila stammt. Die Abruzzesische Pergola oder Tendone, die traditionelle Form der Rebziehung, ist überall weit verbreitet, sie dominiert rund 80 Prozent der Weinberge; gerade in den Zeiten des Klimawandels besitzt die Pergola Abruzzese einen grossen Vorteil: Unter dem gut ventilierten Blätterdach können die Trauben gleichmässig ausreifen und sind vor den Unbilden der Witterung und der Sonneneinstrahlung geschützt.

Rebberge erstrecken sich dabei in erster Linie entlang der Küste bis zu den Vorbergen des Apennin – hier haben sich von Westen nach Osten die Flüsse über die Jahrhunderte ihr Bett gegraben und bilden mit ihren lehmig-kalkhaltigen Böden  - oft auch mit sandigen Komponenten – die Basis von Weiss-, Rosé und Rotweinen. Die Ost-West-Ausrichtung fördert zusätzlich die Ventilation und die starken Temperaturschwankungen zwischen Tag und Nacht sorgen für die Mineralität und Frische der Weine, die sich auch durch Alterungsfähigkeit auszeichnen. Immer mehr Betriebe setzen daher auch auf die Vielfalt der Landschaften und Terroirs der Abruzzen, ein Erbe, das zunehmend an Bedeutung gewinnt und sich bereits jetzt in einigen der meistprämierten Weine Italiens zeigt.

Die unumschränkte Herrscherin unter den Rebsorten der Region ist die rote Montepulciano, die in mehr als der Hälfte der Rebberge der Region angepflanzt wird. Sie ist ebenso die Basis eines frisch-fruchtigen Rosato – des Cerasuolo d´Abruzzo DOC– , wie eines fruchtigen Jahrgangsweines und lagerungsfähiger Riserve und Selektionen, die als Montepulciano d´Abruzzo DOC auf den Markt kommmen. Die Rebsorte ist spätreifend – meist wird sie im Oktober, zum Teil auch Anfang November gelesen -  und ergibt einen Wein von rubinroter Farbe mit Aromen von Veilchen, Kirschen, Beeren und Lakritze; die Gerbstoffe sorgen für Charakter und Langlebigkeit, die auch von der Säure unterstützt wird. Wenn der Wein die Bezeichnung Riserva trägt, muss er mindestens zwei Jahre gereift sein, davon mindestens neun Monate in Holz. Montepulciano ist allerdings auch eine Rebsorte, die Holzeinsatz nicht nur sehr gut verträgt, sondern bei Spitzenweinen sogar benötigt. Es sorgt für Schmelz, Fruchtigkeit, diesen angenehmen geschmeidig-würzigen Charakter und Alterungsfähigkeit. Um die unterschiedlichen Aspekte der Rebsorte Montepulciano in verschiedenen Teilen der Region herauszuarbeiten, sind immer mehr Winzer bemüht, die territoriale Typizität in ihre Weine einfliessen zu lassen.

Aber die Abruzzen sind nicht nur rot: Die weissen Varietäten gewinnen in den vergangenen Jahren zunehmend an Bedeutung. Allen voran Trebbiano, die in den Abruzzen auf rund 10 000 Hektar angepflanzt wird, und – obwohl sie auch in anderen Teilen Italiens verbreitet ist – eine besondere terroirempfindliche Typizität aufweist. Auch die anderen autochthonen weissen Rebsorten, Pecorino, Passerina, Coccociola oder Montonico, geraten zunehmend in den Fokus der Geniesser.

Die weisse Passerina gehört zur Familie der Trebbiani, stand aber lange im Schatten der Trebbiano d´Abruzzo. Sie bringt fruchtig-kräftige Weine mit vifer Säure hervor. Cococciola hingegen ist eine spät reifende Varietät, die vor allem in der Provinz Chieti kultiviert wird. Einst vor allem im Verschnitt mit Trebbiano eingesetzt, wird sie heute reinsortig gekeltert und zum Teil auch spumantifiziert. Fast ausschliesslich im Gebiet von Bisenti in der Provinz Teramo wird hingegen Montonico angebaut: Sie ergibt frische, saftige Weine, die man zum Essen geniessen sollte.

Vielfältige Speisebegleiter

Und gerade das ist die Stärke der Weine der Abruzzen: Sie sind perfekte Speisebegleiter vom Aperitif bis zum Dessert. Das beginnt bei einem knackigen Schaumwein, den man auch zum Aperitivo mit kleinen Häppchen geniessen kann und geht über frisch-fruchtige Bianchi, die mit ihrer charakteristischen Säure zu Fisch-Antipasti oder Pasta mit Meereesfrüchten passen und auch die Kombination mit Tempura oder einem Wiener Schnitzel nicht scheuen müssen. In ihrer kraftvolleren Variante – als gereifter Trebbiano d´Abruzzo oder Pecorino – sollte man gegrillten Fisch oder auch Geflügel damit kombinieren. Der roséfarbene Cerasuolo – mit nur kurzem Kontakt auf den Schalen der Montepulciano-Traube produziert – ist ebenfalls ein hervorragender Begleiter zu Fisch, aber auch zu Fleisch. Als regionale Spezialität ist die Vasteser Fischsuppe eine perfekte Kombination: Der würzige Charakter der Brodetto wird durch die Struktur und die Säure des Cerasuolo optimal ausbalanziert.

Der König der Weine der Abruzzen, der Montepulciano, ist hingegen ein charaktervoller Begleiter zu dunklem Fleisch und Wildgerichten, auch zu Pilzen und Trüffeln, man kann ihn in seiner leichten, stahlgereiften Version zu Lasagne, Pasta oder Risotti empfehlen. Und natürlich passt er auch zu gereiftem Käse aus der Region. Aber wie immer liegt die Schönheit auch hier im Auge des Betrachters: Am besten man probiert verschiedene Weine und Kombinationen je nach Lust und Laune. Nur so kann man die ganze Vielfalt der Weine der Abruzzen entdecken!