Die Flying Winemaker der Toskana: Meisterberater und Weinmacher im Herzen Italiens

I magnifici sette

Fotos: z.V.g., Sandro Michahelles Fotografo

Flying Winemaker haben in der Toskana ein gewaltiges Wort mitzureden: Kaum ein renommierter Betrieb, dem nicht ein erfahrener Berater zur Seite steht. Manche davon sind Toskaner von Geburt, andere leben schon lange in der Region. Und nicht wenige besitzen auch ein eigenes Weingut.

Franco Bernabei

Mr. Sangiovese

Einer der bekanntesten Önologen Italiens ist Franco Bernabei, 1952 im Veneto geboren und in Abano Terme aufgewachsen (wo sein Vater ein Hotel besass). Mit 22 Jahren hatte er seine Berufsausbildung bereits abgeschlossen. Bald entdeckte er, dass es ihm die toskanische Rebsorte par excellence angetan hatte: Sangiovese. Und so übersiedelte er in die Toskana, um sich ihr fortan zu widmen. Und dafür suchte er die besten Terroirs, in denen die Trauben bereits seit langem ihre ideale Heimat gefunden hatten. 1978 begann er mit der Fattoria di Selvapiana im Chianti Rufina zu arbeiten, dort entstand ein grosser Sangiovese in purezza, Bucerchiale. Wenig später folgte 1981 der Flaccianello della Pieve auf Fontodi in Panzano: eine reinsortige Sangiovese-Interpretation der Conca d’Oro. Damit des reinsortigen Sangiovese noch nicht genug: Nochmals zwei Jahre später kam von der Fattoria di Felsina der Fontalloro auf den Markt, bis jetzt einer der renommiertesten Supertuscans aus Sangiovese. Bis heute hat sich an dieser Neigung Franco Bernabeis nichts geändert: Vor wenigen Jahren hat er erst die Kooperation mit dem Gut Icario in Montepulciano begonnen, um Vino Nobile zu produzieren. Seit Ende der 1970er Jahre führt Bernabei mit seinen Söhnen Marco und Matteo auch Enoproject, ein modernes Weinlabor, das die beratenden Unternehmen auch im Marketing und Verkauf unterstützt. Unterstützend ist Bernabei übrigens auch bei zahlreichen zukunftsweisenden Projekten beteiligt, viele davon widmen sich der Sangiovese. Wie zum Beispiel das Pieve-Projekt in Montepulciano, das sich den Unterzonen des Vino Nobile verschrieben hat.

Maurizio Castelli

Eiche als Werkzeug

Der promovierte und erfahrene Agraringenieur Maurizio Castelli arbeitet nicht nur für viele bekannte toskanische Güter als Berater; er war auch massgeblich am Erfolg der Supertuscans beteiligt. Castelli wurde in Mailand geboren und hat dort gelebt und studiert. Sein Vater war Toskaner und Maurizio zog 1972 in die Toskana. Als ausgebildeter Önologe begann Castelli seine Karriere im Weinbereich 1973 als Inspektor für das Consorzio Chianti Classico. Ab 1980 widmete er sich der Beratertätigkeit in Italien, den USA und Chile. Er ist ausserdem Spezialist für den Anbau und die Produktion von Olivenöl.

Ganz nach seiner Prämisse «Eiche ist ein Werkzeug, kein Ziel» sind die Weine, für die er verantwortlich zeichnet, klar und ohne Schminke.  Zu seinen Klienten – und Freunden – zählen Boscarelli in Montepulciano, Mastrojanni oder Le Ragnaie in Montalcino sowie Badia a Coltibuono oder Castello di Radda im Chianti Classico. Sein Sohn Simone produziert auf der familieneigenen Podere 414 in der Maremma unter anderem Morellino.

Maurizio Castelli hat ein klares Dogma: «Ein guter Önologe muss sich um den Weinberg kümmern, sonst beschränkt er sich auf die Tätigkeit als Weinbautechniker. Wenn der Weinberg hervorragend ist, braucht es nicht viele Zaubermittel, um Wein zu produzieren.» Eine Traube liegt ihm dabei besonders am Herzen: die Sangiovese. «Ich liebe sie wegen ihrer Eignung, sich an die Umwelt anzupassen, eine Eigenschaft, die andere, in der Toskana angebaute Reben nicht haben. Die Sangiovese hat in der Toskana Eigenschaften, die sie unverwechselbar machen. Ich habe auf der ganzen Welt gearbeitet und hatte die Gelegenheit, Sangiovese anderswo in Angriff zu nehmen: Ich kann mit Sicherheit sagen, dass es nichts Vergleichbares gibt.»

Roberto Cipresso

Hans Dampf in allen Gassen

Begonnen hat alles in Bassano del Grappa im Veneto, wo Roberto Cipresso geboren und aufgewachsen ist. Nach dem Studium in Padua kam der junge Weinmacher nach Montalcino, um dort eine Ausbildung zu absolvieren – und blieb in der Heimat des Brunello hängen. Er arbeitete bei Soldera, Poggio Antico und Ciacci Piccolomini d’Aragona. Sein erstes eigenes Brunello-Weingutprojekt La Fiorita begann er 1995, seit 2016 besitzt er ein neues Weingut in Montalcino unter seinem eigenen Namen.

Roberto Cipresso machte sich seinen Namen als Flying Winemaker weit über die italienischen Grenzen hinaus: Kroatien, Brasilien, Spanien (Mallorca, Ribera del Duero, Jumilla), Rumänien, Kalifornien, die Türkei, die Slowakei, Chile und vor allem Argentinien (Mendoza und Cafajate) sind auf dieser langen Liste zu finden. So realisierte er zum Beispiel 1999 in Zusammenarbeit mit Santiago Achaval das Projekt Matervini in Argentinien. In Italien hat er unter anderem Sting und Renzo Rosso – den Begründer der Modemarke Diesel – beraten.

Roberto Cipresso könnte man fast als Hans Dampf in allen Gassen bezeichnen: 1999 gründete er Winemaking, ein Unternehmen bestehend aus sechs professionellen Beratern, das vielen nationalen und internationalen Unternehmen dabei half, wichtige Informationen für das Bildungsprojekt La scuola della vite e del vino (Die Schule der Traube und des Weins) zu sammeln. Und im Jahr 2001 gründete er Winecircus, ein Weingut und Labor für Forschung und Entwicklung, das eng mit den Universitäten Padua, Turin, Venedig, Pisa, Udine und Palermo zusammenarbeitet. Und Roberto Cipresso schreibt: Eine Handvoll Bücher rund um den Wein hat er bislang veröffentlicht, 2020 zusätzlich auch einen Podcast: «Divino. Storie della storia del vino.» («Geschichten aus der Geschichte des Weins»).

Niccolo d’Afflitto

Der Teamplayer

Auf einem pittoresken Hügel zwischen Poggio della Fontanaccia und Poggio di Tizzano, etwa 15 Kilometer von Florenz entfernt, liegt das Weingut Fattoria Castel Ruggero, ein geschichtsträchtiger Besitz, in dem der Önologe Niccolo d’Afflitto seine lange Erfahrung als Weinmacher in den Dienst seiner Familie stellt: Die Fattoria Castel Ruggero besteht aus 130 Hektar Land in rund 250 Metern über dem Meeresspiegel, von denen 18 mit Weinbergen bepflanzt sind und der Rest aus Olivenhainen und Wäldern besteht. Fast hundert Jahre ist das Gut erst in Familienbesitz: Niccolos Grossvater kaufte das Anwesen 1929, seine Geschichte ist aber wesentlich älter. Der Keller, in dem heute die Weine reifen, stammt aus dem Jahr 1600. Niccolo keltert dort einen Chianti Classico DOCG reinsortig aus Sangiovese und einen Toscana IGT aus Merlot, Cabernet Franc und Syrah.

Aber natürlich hat Niccolo d’Afflitto seinen tadellosen Ruf als Weinmacher nicht nur am eigenen Gut begründet, sondern weil er – nachdem er in Bordeaux studiert und in Kalifornien gearbeitet hat – seit mehr als 25 Jahren Chef-Önologe der Weingüter der Familie Frescobaldi ist – und das sind mehr als 1300 Hektar und die dazugehörigen Kellereien. Daher muss er seine Arbeitswoche genau planen, wenn er – wie es sein Berufsethos verlangt – überall auf dem Laufenden sein will: Regelmässig führt ihn daher seine Tour von den Hängen des Chianti Rùfina über das Chianti Classico, Montepulciano, Montalcino bis auf die Insel Gorgona im Tyrrhenischen Meer. Überall hat er ein Team fähiger Leute um sich geschart – auch das entspricht seiner Philosophie: «Grossartige Weine sind eine Teamangelegenheit», sagt er.

Luca d’Attoma

Syrah und Mee(h)r

Kaum ein Weinmacher hat an der toskanischen Küste so viele Topweine vorzuweisen wie Luca d’Attoma. Vom Saffredi auf Le Pupille über den Redigaffi von Tua Rita bis zum Paleo von Le Macchiole, überall hat der gebürtige Toskaner seine Erfahrung im Spiel. Dazu kommen noch zahlreiche Güter im Rest Italiens.

Luca d’Attoma über seine Arbeitsphilosophie: «Ich fühle mich frei von vorgefassten Schemata und habe den Ehrgeiz, etwas Einzigartiges zu schaffen. Etwas, das in der Lage ist, das Beste aus den Reben und Territorien herauszuholen.» 1999 gründete er zu diesem Zweck seine Wine Evolution Consulting, eine Beratungsgesellschaft, mit der er Betriebe im gesamten Produktionsablauf unterstützt.

An der toskanischen Küste, die ihm besonders am Herzen liegt, erfüllte er sich auch einen lang gehegten Traum und gründete gemeinsam mit seiner Partnerin Elena Celli sein eigenes Weingut Due Mani. Unweit des Örtchens Riparbella kultivierten sie rund zehn Kilometer vom Meer entfernt und auf einer Meereshöhe von rund 400 Metern nach biologischen und biodynamischen Kriterien ihre Reben: Die drei Weinberge sind in Form eines Amphitheaters mit Ausblick aufs Meer angeordnet. Dort gedeihen Cabernet Franc, Merlot und Syrah. Gerade Syrah ist für Luca d’Attoma etwas Besonderes: « Eine hervorragende Rebsorte, wenn sie das richtige Terroir findet. » Bei ihm war es ein steiniger Rebberg, auf dem er die Pflanzen am Alberello, dem Buschbäumchen, zog und daraus den Suisassi, der bislang sein Topwein ist, kelterte.

Das schreiben wir in der Vergangenheitsform, denn Luca d’Attoma ist schon wieder zu neuen Ufern unterwegs: Due Mani wurde vor wenigen Monaten an die Tenute del Leone Alato verkauft, Luca d’Attoma steht dem Weingut aber weiter als Berater zur Verfügung.

Vittorio Fiore

Das Geheimnis des Erfolges

Der Önologe Vittorio Fiore hat schon vor langer Zeit sein besonderes Juwel entdeckt und bewirtschaftet seit den frühen 1990er Jahren auf seinem eigenen Weingut Podere Poggio Scalette bei Greve in Chianti 15 Hektar Rebberge.

Dabei beginnt die Geschichte Vittorio Fiores weit weg vom Sangiovese und vom Chianti: Er wurde 1941 in Franzensfeste im fernen Südtirol geboren. Nachdem er sein technisches Studium zunächst in San Michele all’Adige und dann in Conegliano abgeschlossen hatte, begann er seine berufliche Laufbahn in den frühen 60er Jahren in Norditalien.

Nach einer Tätigkeit als Generaldirektor der Associazione Enotecnici Italiani (heute Associazione Enologi Enotecnici Italiani) zog er Ende der 1970er Jahre in die Toskana, wo er seine Karriere als Flying Winemaker startete, bis er sich 1992 einen lang ersehnten Traum erfüllte: ein eigenes Weingut. Zusammen mit seiner Frau Adriana kaufte er auf dem Hügel von Ruffoli, in der Gemeinde Greve in Chianti das Podere Poggio Scalette. Heute wird er dort von seinem Sohn Jurij unterstützt, der in Beaune im Burgund sein Diplom als Önologe erworben hat.

Vittorio Fiores Hauptaugenmerk gilt nicht nur in seiner Tätigkeit als Winemaker, sondern auch auf seinem eigenen Gut der Sangiovese-Traube, der er seinen Spitzenwein Carbonaione widmet. Er wächst auf Reben, die zum Teil vor mehr als hundert Jahren gepflanzt wurden – eine Besonderheit in der Toskana. Das Weingut liegt in der IGT-Ursprungszone Alta Valle della Greve, die ihren Namen vom gleichnamigen Fluss hat.

Warum der Carbonaione so ein besonderer Wein ist, das weiss Vittorio Fiore ganz genau: «Das Geheimnis, die besten qualitativen Ergebnisse aus den erzeugten Trauben zu erzielen, liegt darin, dass man den richtigen Platz für den Weinberg findet.»

Tim Manning

An Englishman in Pienza

Geboren in Manchester, aufgewachsen in Wirral nahe Liverpool, sammelte Tim Manning seine ersten Erfahrungen im Weinbau natürlich ganz woanders als im nebligen England. Nach Erfahrungen in Martinborough, Neuseeland, und in Oregon in den Vereinigten Staaten landete er vor gut 20 Jahren in der Toskana und gilt seitdem als einer der innovativsten Sangiovese-Interpreten. Tim Manning: «Ich liebte italienischen Wein und kam in die Toskana, unter anderem nachdem ich Nicolas Belfrages Buch ‹Life Beyond Lambrusco› gelesen hatte.» Riecine, Il Borghetto und Montecalvi hatte der Weinmacher bereits auf seiner Kundenliste.

Seit 2020 ist Timothy nun auch für die Fabbrica Pienza verantwortlich und widmet sich dem Weinbau im Orciatal, ganz ohne Kompromisse, wie es auch auf der Website heisst. Das Orciatal ist seit 2004 UNESCO-Weltkulturerbe. Das Projekt wurde 2012 ins Leben gerufen, als der Schweizer Philippe Bertherat das Anwesen Fabbrica mit seinen 140 Hektar Land erwarb. Als Sangiovese-Purist mit einem minimalistischen Ansatz führt Tim Manning Mikrovinifikationen in Behältern aus einer Wholebunch-Vollernte nach der Dujac-Methode durch und praktiziert die manuelle Pigeage, die sein Markenzeichen ist. Lange und langsame Maischegärung mit einheimischen Hefen, wenig Einsatz von Schwefel und der Ausbau in Zementtanks und Barriques sowie die massgeschneiderte Filtration sorgen für unkonventionelle und doch präzise Weine wie den Menrva aus Rousanne und Marsanne und den Tinia, eine DOC-Orcia-Riserva aus Sangiovese, ein eleganter Wein mit Schliff und lebendiger Säure. Aus dem Rahmen fällt der Uni, ein Blend aus Syrah und Viognier, der im Jahrgang 2020 mit seiner Fruchtigkeit, der Fülle und seinem komplexen, langen Finale überzeugt.