Wein Heimat Württemberg 1/2022

Weinverkostung: Frühlingswein? Sommerwein?

Text: Harald Scholl, Fotos: Armin Faber

Jede Jahreszeit scheint ihren eigenen Wein zu haben, Frühlingsweine sollen nach dem Winter sowohl Geist wie Körper wecken, im Sommer müssen Weine auf der Terrasse und am Grill eine gute Figur abgeben. Was spricht dagegen, dass sie beides können? Unsere Rieslinge und Roséweine sind für jede Gelegenheit das Passende!

Natürlich gibt es keine wirklichen Jahreszeiten-Weine, dafür sind die Geschmäcker der Weinfreunde einfach viel zu unterschiedlich. Aber gewisse Tendenzen kann man doch erkennen. Und dass es bei wärmeren Temperaturen mehr Spass macht, einen säurebetonten, frischen Wein im Glas zu haben, als einen kraftvollen dunkelwürzigen Brummer, dürfte allgemeiner Konsens sein. Wenn die äußeren Temperaturen steigen, nimmt die Temperatur im Weinglas automatisch ab. Umgekehrt proportional sozusagen. Und kühlere Weine sind in aller Regel Weiß- und Roséweine.

Dass sich damit nicht automatisch eine gewisse Beliebigkeit verbindet, beweisen die verkosteten Weine. Bei den Roséweinen sorgen schon die unterschiedlichen Rebsorten für eine enorme Bandbreite, die leichten aromatischen Weine aus Muskattrollinger auf der einen Seite, die kraftvolleren, dunkelwürzigeren Lemberger auf der anderen. Und dazwischen die eleganten, filigranen Rosé aus Spätburgunder oder Trollinger. Es ist definitiv für jeden Weintrinkertyp etwas Passendes dabei, nebenbei bemerkt: Auch für jede Art an Speisebegleitung. Es dürfte wohl keinen Weintyp geben, der so anpassungsfähig ist wie Rosé. Denn ganz gleich ob zur festlichen Tafel mit Meeresfrüchten und Fisch oder zum rustikalen Steak vom Grill, eine Flasche Rosé passt eigentlich immer.

Ganz ähnlich und doch ganz anders verhält es sich beim Riesling. Die Königin unter den deutschen Rebsorten zeigt gerade in Württemberg eine erstaunliche Entwicklung. Riesling konnte in der Vergangenheit gerne etwas säurebetont sein, empfindliche Mägen standen daher oftmals vor der Rebellion. Davon kann keine Rede mehr sein, die Winzer im Ländle haben gelernt, mit der Reife der Trauben zu spielen. Süße und Säure sind in der perfekten Balance, Frucht und Frische, zwei wichtige Merkmale der Rebsorte, können brillieren. Im Tasting kamen Vertreter der Jahrgänge 2018 bis 2021 ins Glas, damit konnte die Rebsorte auch zeigen, welches Reifepotenzial in ihr steckt. Bereits mit ein, zwei Jahren Flaschenreife beweist er, welche aromatische Tiefe sich hinter der Lebhaftigkeit verbergen kann. Dann wird aus dem Jungspund ein seriöser Herr, der vor allem als Speisebegleiter unerhört auftrumpfen kann, auch zu Leckereien vom Grill. Man kann es gar nicht oft genug wiederholen: Versuchen Sie auch, mit den Weinen zu spielen. Wie sehr sich ein Wein durch die Wahl der gereichten Speisen verändert, ist immer wieder ein Erlebnis. Deshalb der Tipp zur leichten Frühlingsküche wie zur Grillparty bei den Nachbarn: Machen Sie jeweils eine Flasche Rosé und eine Flasche Riesling auf. Und lassen Sie sich überraschen, was geschmacklich passiert. Es lohnt sich. Versprochen!