Wein & Kultur: Wein Heimat Württemberg 1/2024

Crazyness mit Tiefgang

Text: Ute Noll, Fotos: Wolfgang Rapp, Ute Noll

Bruno Nagel liebt den rhythmischen Umgang mit Sprache, Schrift und Stimme. Als schwäbisches Gesamtkunstwerk widmet er sich auf originelle Weise Themen wie Heimat, Herkunft und Natur.

«Fühlsch wie i denk. Des gohd doch eigentlich gar net, des isch paradox», sagt der Poet aus Hohenstaufen und freut sich sichtlich darüber, wie viele Sprüche er schon auf der Straße oder bei Freunden aufschnappte. Auf ungewöhnliche und tiefsinnige Weise vereint er Worte, Stimme, Objekte und Performances. Unter seinem Label «Sprachbehausung» erforscht Bruno Nagel Identitäten in seiner württembergischen Heimat samt Flora und Fauna. Er lebt unterhalb der Burgruine, dort hat er in einer ehemaligen Bäckerei sein Atelier, es ist voll mit überraschenden Exponaten. Zwei verkohlte, leicht gewölbte Recht-ecke liegen auf dem Tisch. Auf einem kleinen, gefalteten Tischkärtchen steht: «Maultaschen, 2. Jh. n. Chr., Fundort: Foggia». Auf einem gerahmten 10-Euro-Schein ist geschrieben: «gott will cash». An der Wand hängen Siebdrucke. Auf dem Tisch befindet sich ein Karton voller kleinformatiger Magnete mit dem Schriftzug: «don't kill me, I am in love». Vor der Obstbaumwiese auf seiner Terrasse performt der Freigeist für kleine Gruppen, Vesper inklusive. Gerne kollaboriert er mit seinem Freund Ulrich Krauss, studiertem Künstler, Galerist und Koch, ausgebildet in der Sternegastronomie bei Franz Keller.

In Berlin betreibt Krauss die Kochkunstgalerie Zagreus Projekt. Das Silvester-Menü des vergangenen Jahres entwickelten Krauss und Nagel gemeinsam. «Mir hend übers Menü gschwätzt ond was mer macha wellad.» Für die Vorspeise beschriftete Nagel Eier mit Poesie. Zum Honig-Parfait performte er mit Gedichten über Bienen und Naturschutz. Auch auf Obstbaumwiesen oder im Misthaufen rezitiert der Poet, tanzt, singt im Kostüm, ahmt Tierlaute nach. Wenn sich in seinem Innersten etwas zusammengebraut hat, macht es puff, puff, sagt Nagel, dann springe der Deckel hoch und es brodele aus ihm heraus. Viele Jahre hat er als Künstler in Berlin gewohnt. Die Erfahrungen im pulsierenden Großstadtleben geben seiner Performance einen schnellen Drive. Ländliche Tradition und Entschleunigung am Wohnort in Hohenstaufen prägen seine Inhalte. Aufgewachsen ist Nagel in der schwäbischen Provinz in einer kommunikativen Kaufmannsfamilie mit ostpreußischen Wurzeln, die zwei Lebensmittelmärkte und ein Vereinsheim in Geislingen betrieb und auch viel musizierte. Als junger Mann tanzte Bruno gerne, fotografierte, begann, Gedichte zu schreiben und sich für Kunst zu interessieren, viel später malte er auch und machte Filme. Mithilfe der Literaturliste einer befreundeten Künstlerin absolvierte er in seinen Zwanzigern ein umfangreiches künstlerisches Eigenstudium in der Bibliothek der Stuttgarter Staatsgalerie. Dabei erkannte er seine Nähe zur ideengetriebenen Fluxus-Aktionskunst. So ging er, als er für einige Zeit lehrte, mit seinen Studierenden raus in den öffentlichen Raum, motivierte sie dazu, Buchstaben wie das A nicht typografisch, sondern in einer Aktion mit Körper und Stimme zu gestalten. Und in Berlin schuf er für das Museum für Kommunikation eine Fassaden-Wortinstallation. Für sein nächstes Projekt hat Bruno Nagel eine neue Idee: Er möchte in die Neubaugebiete seiner Region mit einem von ihm gestalteten Auto fahren, an den Türen der Bewohner klingeln und sie mit seinen schnellen Heimatbeat-Performances überraschen.