Sicher im Sattel

Château Angélus

mit Stéphanie de Boüard-Rivoal

Schon mit acht Jahren kannte sie nur ein Berufsziel: Angélus leiten, eines der wenigen Weingüter in Saint-Émilion, die den Aufstieg zum Premier Grand Cru Classé A geschafft haben. Sie tut dies heute mit Bravour.

Ich denke, wenn mich etwas charakterisiert, dann ist es dies: Ich habe immer schon hohe Anforderungen gestellt. An mich selber noch mehr als an alle anderen. Im Reitsport ist das unerlässlich. Man muss das Pferd respektieren und mit grösster Präzision an die Sache gehen, sonst setzt man sich grossen Gefahren aus. Das gilt erst recht im Springreiten, für das Pferd wie für den Reiter. Da zählt das kleinste Detail, will man ein Hindernis sicher überwinden. Die Parallelen zum Wein sind nicht von der Hand zu weisen. Ein Weingut unserer Klasse zu leiten ist ein einziges Hindernisrennen, ob es sich um den rein professionellen oder den ganz persönlichen Parcours handelt.

Vor einigen Tagen war ich in Washington. Anlässlich eines Galadinners musste ich vor mehreren hundert Personen eine zehnminütige Rede halten. Das ist genau so ein Hindernis, das es zu nehmen galt, mit Einsicht, Disziplin und dem nötigen Selbstvertrauen. Im Reitsport habe ich gelernt, auf meine Fähigkeiten zu vertrauen, aber auch, mich nicht zu überschätzen, sondern mich immer gebührend auf eine Aufgabe vorzubereiten.

«Ich verstehe Geschichte nicht als Last, sondern als Motivation. Jede Generation trägt ihren Stein zum Gebäude Angélus bei. Ich leiste meinen Teil am Gesamtwerk.»

Stéphanie de Boüard-Rivoal

Auf dem Pferd sitzen heisst auch, über einer Sache zu stehen (oder, in diesem Fall, zu sitzen, um ganz genau zu sein); etwas Distanz zu wahren und nicht mit dem Kopf durch die Wand rennen zu wollen. Statt in den unzähligen Faktoren des Alltags zu ersticken und die Übersicht zu verlieren, versuche ich, stets einen kühlen Kopf zu bewahren, einen anderen, neuen, ungewohnten Blickwinkel zu suchen, Probleme zu analysieren, statt darin zu ertrinken.

Die Vorbereitung auf ein Turnier ist entscheidend für das Gelingen. Ein Reiter darf nichts, aber auch gar nichts dem Zufall überlassen. Er muss die Distanz zwischen den Hindernissen kennen und die Schrittlänge des Pferdes, um genau abschätzen zu können, wann das Pferd zum Sprung ansetzt. Tut er das nicht, sind böse Fehler vorprogrammiert. Für meine Arbeit auf Angélus gilt das Gleiche. Nichts wird grundsätzlich dem Zufall überlassen, ob es sich um die Arbeit im Rebberg handelt, die Weinbereitung oder die Art und Weise, über unsere Arbeit zu sprechen. Selbstvertrauen heisst allerdings nicht Selbstüberschätzung. Respekt vor dem Pferd braucht ein gewisses Mass an Bescheidenheit und Respekt vor der Natur im Weinbau ebenfalls. Wir können die Natur nicht dominieren, wir müssen mit ihr leben und sie akzeptieren. Nichts ist gegeben, ob es sich dabei um einen Klimaverlauf handelt, eine Ernte, einen Jahrgang oder eine Klassierung. Natürlich streben wir nach grösstmöglicher Präzision in allem, was wir unternehmen. Doch wir wissen auch, dass absolute Meisterung aller Faktoren nicht existiert. Das Einzige, was wir tun können, ist hart daran arbeiten, Fehler, Imponderabilien auf ein Minimum zu beschränken. 

Als ich acht Jahre alt war, habe ich auf einem Spaziergang meinem Vater und meinem Grossvater erklärt, dass ich Angélus mit ihnen zusammen leiten möchte. Sie haben gelächelt und geantwortet, ich solle nur gut in der Schule arbeiten, dann klappe das schon. Zehn Jahre später hatte ich meine Meinung nicht geändert. Aber ich wollte mir meine Sporen erst anderswo verdienen. So war ich, nach der entsprechenden Ausbildung, zuerst sechs Jahre in London für zwei Schweizer Banken tätig. Als Vater und Grossvater mich 2012 fragten, ob ich nun bereit sei, zuhause einzusteigen, sagte ich sofort ja. Später habe ich oft versucht, herauszufinden, warum ich bereits so früh kein anderes Berufsziel kannte. Ich denke, das hängt sehr stark mit der Art und Weise zusammen, wie beide mir ihre Leidenschaft für den Wein, für unsere Erde, unsere Reben, unsere Geschichte weitergaben, wie das Generationen meiner Vorfahren getan haben. Bis heute bewegt es mich, wenn ich gemeinsam mit meinem Vater durch unsere Weinberge streife. Ich werde eins mit unserer Geschichte, fühle meine Wurzeln, die nicht weniger tief im Boden verankert sind als die Wurzeln unseren Reben.

Als ich mich ganz konkret für das eigentliche Produkt zu interessieren begann, gähnte rasch ein grosses Loch im Weinkeller meines Vaters. Das ist vielleicht ein anderer meiner Charakterzüge. Wenn ich etwas unternehme, tue ich es voll und ganz und mit einer gewissen Ungeduld. Darum bin ich lieber Springreiterin als Dressurreiterin. Dazu fehlt mir die innere Ruhe. 

Geschichte kann ganz schön auf den Schultern lasten. Doch mein Vater und mein Grossvater haben mir beigebracht, sie nicht als Gewicht, sondern als Motivation anzusehen. Jede Generation hat ihren Stein zum Gebäude beigetragen. Als ich der Familie vorschlug, das Restaurant «Logis de la Cadène» zu erwerben, um ein Standbein im Dorf selber zu haben – Angélus liegt ja etwas ausserhalb – hat mein Grossvater gestrahlt und mir sofort beigepflichtet. Auch er fand toll, dass Angélus künftig auch im Herzen von Saint-Émilion präsent sein wird.