Der Wein aus der goldenen Kathedrale

Château Talbot

mit Jean-Paul Bignon

Château Talbot in Saint-Julien gehört nicht nur zu den grössten Gütern des Médoc, sondern auch zu den beständigsten Grand-Cru-Gütern überhaupt. Über seine Geschicke wacht seit genau hundert Jahren die gleiche Familie, heute vertreten durch Jean-Paul Bignon und seine Frau Nancy.

Wenn etwas Château Talbot charakterisiert, ist es seine Beständigkeit. Talbot scheint im Boden des Médoc so fest verwurzelt wie eine majestätische Eiche auf einem Dorfplatz. In 300 Jahren hat Talbot, das seinen Namen auf den britischen General John Talbot zurückführt, mit dessen Tod 1453 der hundertjährige Krieg zwischen England und Frankreich endete, nur zwei Besitzerfamilien gekannt: die d’Aux und die Cordier. Aktuell feiern wir das hundertjährige Jubiläum des Kaufs durch Désirée Cordier!

Ich bin allerdings kein typischer Bordelaiser. Ich stamme aus der Picardie im Norden Frankreichs und bin Anwalt von Beruf. Meine Initiation in Sachen Wein begann 1985 durch die Heirat mit Nancy Cordier. Doch ich verfolgte die Geschicke von Talbot und unserer zwei anderen Güter (Sénéjac im Haut-Médoc und Saint-Andrieu in der Provence) lange nur am Rande mit. Darum kümmerten sich Nancy und ihre Schwester Lorraine. Doch 2011, nach Lorraines Tod, habe ich meine Anwaltspraxis aufgegeben und stehe seither Nancy zur Seite, komme regelmässig nach Talbot, reise durch die ganze Welt und unternehme überhaupt alles, damit Talbot an seinem angestammten Platz unter den legendären Bordeaux-Gütern erhalten bleibt. Trotz seiner langen Geschichte ist Talbot ein Gut, das in ständiger Bewegung bleibt. Talbot hat sozusagen laufend einen Fuss in der Vergangenheit und einen Fuss in der Zukunft. Letztere wird symbolisiert durch unsere Kinder Philippine, Marguerite und Gustave, die dafür sorgen werden, dass die Familie auch ihr 200-jähriges Jubiläum auf Talbot wird feiern können!

Natürlich kommt auch die Gegenwart nicht zu kurz, wie gewaltige Umbau- und Ausbauarbeiten belegen, die wir in den letzten Jahren getätigt haben. Für einen Aha-Effekt sorgt schon unser Keller, der einer goldenen Kathedrale gleicht, mit Pfeilern aus Beton, die aussehen wie ein Goblet-Rebstock oder wie ein Baum mit seinen Ästen. Er bietet Fläche für tausend Barriques und fasst, wenn zwei Fassreihen übereinanderliegen, sogar 2000! Wer in diese heiligen Hallen tritt, beginnt fast automatisch zu flüstern!