Nicole Harreisser über Schönheit der Simplizität

Einfach kann so schön sein

Text: Nicole Harreisser

Höher, weiter, schneller. Auch in Sachen Wein kann man mittlerweile den Eindruck gewinnen, dass es nur noch eine Richtung gibt: nach oben, immer besser, immer grössere Namen und auf keinen Fall weniger als gestern. Immer mehr und mehr. Eine Steigerung nach der anderen. Doch macht das glücklich?

Ich würde nicht die Wahrheit sagen, wenn ich verneinen würde, gerne einen wahrhaft grossen Wein zu probieren und mit Genuss ein Glas davon zu trinken. Doch jede Woche? Das wäre ja wie jeden Tag nur Austern und Filet. Irgendwann wird auch der feinste Genuss durch ein Zuviel davon langweilig. Aber darf man oder besser, kann man Genuss auch in einfachen Dingen finden? Bei unseren zahlreichen Verkostungen, sei es für Guides oder bei Awards, decken wir nach Möglichkeit immer das ganze Spektrum ab. Klappt nicht immer, denn manche Themen bringen nur die Besten der Besten auf den Tisch. Aber bleiben einem diese Weine wirklich mehr im Gedächtnis? Vor einigen Jahren hatten wir eine Verkostungsserie mit reinsortigen Weissweinen, die wir dann aufgrund der hohen Zahl in kleinen Teams verkostet hatten. Wie jede Verkostung bei VINUM blind, das heisst mit anonymisierten Flaschen. Ein Wein liess mich damals sehr aufhorchen, und ich notierte mir die Nummer. Später nach Abschluss der Verkostung machte ich mich an die Auflösung, um zu sehen, um welchen Wein es sich handelte: Es war ein Sauvignon Blanc aus Südtirol, der damals ab Hof für elf Euro an den Mann gebracht wurde. Wann immer ich später wieder über diesen Wein stolperte, kam mir diese Verkostung in den Sinn.

Laden wir Freunde und Gäste nach Hause ein oder steht ein besonderer Geburtstag oder eine andere grosse Feierlichkeit an, greifen wir gerne zu einer besseren Flasche, die auch etwas mehr zu Buche schlagen darf und ganz speziell für einen derartigen Anlass im Keller schlummert. Dann ist es so weit und sie wird hervorgezaubert. Mit Brimborium und noch mehr Ahnung wird die Öffnung der Flasche zelebriert. Man hofft eigentlich nur noch, dass sie keinen Kork hat und dass man mit ihr die Gäste beeindrucken kann. Nein, alles passt, die richtigen, mundgeblasenen Gläser, die Einschenktemperatur und alles rundherum. Ein ganz besonderer Moment, des speziellen Anlasses würdig, auch wenn die Flasche schon arg am Budget zehrt. Zu später Stunde ist der gelungene Abend Geschichte, und an was erinnert man sich? Den tollen Wein, das gute Essen und die fröhlichen Gäste? Oder nagt dann doch der Preis der Flasche an einem, ganz besonders, wenn nicht alle Beteiligten rings um den Tisch die Köstlichkeit zu würdigen wussten?



Macht sie uns am Ende des Tages glücklicher und den besonderen Moment noch besonderer als ein guter, solider Wein? Ist es nicht packender, einen Wein zu entdecken, der uns nicht besonders schien, uns aber schon im ersten Duft überrascht hat und bei dem sich dieser Eindruck am Gaumen fortsetzt bis hinein in den Abgang?

Es darf einfach sein

Ist einfach auch schlecht? Nein, einfach ist nicht automatisch schlecht. Vielleicht ist es bei einfachen, in grossen Mengen und industriell produzierten Weinen öfters gegeben, dass mal eine schlechte Flasche dabei ist, auch weil die Qualität des Verschlusses niedriger sein kann oder einem die simple Art nicht gefällt und man den Wein daher als nicht gut em­pfindet. Dann gibt es die Gegenbeispiele, die das Einfache zum Erlebnis werden lassen. Wie erfrischend kann ein Riesling aus der Literflasche sein, den man mit gut gekühltem Mineralwasser zu einer Sommerschorle, also mehr Mineralwasser als Wein, «spritzt»? Puristen raufen sich jetzt die Haare, weil Wasser im Wein, das geht doch gar nicht. Ich würde sagen, es geht, und man darf es, und geniessen kann man es sowieso.

Immer wieder erreicht uns in der Redaktion auch der Hinweis, dass der Begriff «für den kleinen Geldbeutel» bei einer Flasche für 20 bis 30 Euro oder Franken nicht angebracht sei. Und besonders im letzten Jahr waren die guten Tipps und Entdeckungen für schmales Budget mehr und mehr gefragt, wie auch unser Ausflug zu den Supermarktweinen zeigte. Teuer und grosser Namen geht immer, das braucht nur mehr Budget. Das ist eigentlich das Einfache. Den Mut und das Fingerspitzengefühl, im Kleinen, vermeintlich einfachen Entdeckungen zu machen, ist viel spannender. Fast wie eine Art Schatzsuche, bei der man nicht weiss, wie der Schatz aussieht. Aber man wird fündig, und der «Schatz» zaubert einem ein Lächeln ins Gesicht, wann immer man wieder an dieses Glas denkt oder in einer geselligen Runde vom Entdecken erzählt. Und da schämt man sich keinesfalls, sondern kann das Erlebnis und den Genuss teilen.

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