Birte Jantzen über den Zertifizierungs-Dschungel

Kleinkrieg im Weinberg

Text: Birte Jantzen

Jeder Winzer meint, seine oder keine Zertifizierung wäre die beste. Dabei hat nicht nur jede ihre Vor- und Nachteile, auch kann jeder in Sachen Nachhaltigkeit Fortschritte machen, egal ob zertifiziert oder nicht. Zeit, mal vor der eigenen Haustür zu fegen!

Wer eine Weinflasche aus dem Regal nimmt, entdeckt je nach Herkunftsland nicht selten eine oder mehrere Zertifizierungen: Bio, Biodynamisch, Vegan, Bee-friendly, 1% for the ­Planet, Terra Vitis, HVE, Fair’N Green, Fair Choice, Vin Nature… – die Liste ist lang. Einige sind privat, andere werden von öffentlichen Instanzen gehandhabt, alle sind mit Kosten, Auflagen und Arbeit für die Winzer verbunden. Und alle haben eins gemein: Sie signalisieren Nachhaltigkeit, je nach Label mal mehr, mal weniger. Winzer hingegen, die konventionell arbeiten und denen mit Abstand die grösste Auswahl an Agro­chemikalien zur Verfügung steht, egal ob umweltfreundlich oder nicht, egal ob synthetisch oder nicht, bleiben vom Zertifizierungswahn verschont. Ein Glück für sie, denn wer schreibt schon gerne auf sein Label, welche Pestizide er im Weinberg verwendet oder welche Zusätze im Keller. Es gibt natürlich gesetzliche Vorgaben, aber kein kontrollierendes Organ für konventionellen Weinbau. Das ist zeitsparend und kostengünstig.

Dieses Zertifizierungs-Ungleichgewicht ist ein Erbe der ­Agronomie des 20. Jahrhunderts und eigentlich ein Skandal. Wer konventionellen Weinbau betreibt, sollte dies gesetzlich klar auf dem Label zum Ausdruck bringen müssen und obligatorisch einen jährlichen Beitrag an einen staatlichen Umweltfond zahlen, gekoppelt an die Menge und Klasse der verwendeten Agrochemikalien. Das würde endlich auch Klarheit in die Statistiken bringen, denn kurioserweise sind aktuelle und ­transparente Statistiken zur Nutzung von Pestiziden im Weinbau zumindest in Frankreich nicht vorhanden.

Wie wäre es mit Transparenz und Gleichstellung? Und da sind wir auch schon beim Thema. Nicht nur stehen Weingüter aufgrund ihrer Zertifizierungen oder der Abwesenheit von Zertifizierungen regelmässig im öffentlichen Kreuzfeuer. Auch untereinander macht sich die Weinwelt keine Geschenke. Ein Beispiel: Noch vor 15 Jahren mussten Bio- und biodynamische Winzer den Weinhändlern von Bordeaux ihre Zertifizierung verschweigen, sonst riskierten sie vom Place de Bordeaux ausgeschlossen zu werden, angeblich wegen minderer Qualität. Heute ist das glücklicherweise nicht mehr so, auch Weinhändler lernen dazu. In Zeiten von Biodiversitätsverlust, Klimawandel und Umweltproblemen wäre so eine Einstellung ohnehin hinterwäldlerisch.

Hinterfragen statt kritisieren

Eines ist Fakt: Es gibt ebenso viele Winzer wie Arbeitsphilosophien. Diese offensichtliche Subjektivität ist eine wundervolle Sache, öffnet sie doch die Tür zu Diversität, Austausch und Kreativität. Der einzige Haken ist, dass manch Winzer seine Arbeitsweise für die beste hält, Zertifizierung inbegriffen. Was objektiv gesehen nicht unbedingt der Fall ist. Ob mit oder ohne: Es gibt biodynamische Winzer in perfekter Monokultur ebenso wie biodynamische Winzer, deren Weinberge ein Garten Eden sind. Konventionelle Winzer, deren Weinberge eine nackte Wüste sind, und andere, die punktgenau dosieren und mit modernster Technik sehr naturnah arbeiten. Da sind Naturweinwinzer, die fehlerhafte Weine als Terroir verkaufen, andere die Weine abfüllen, deren vibrierende Frucht lebendiger nicht sein könnte. Einige kritisieren, dass Ökowinzer gegen Falschen Mehltau Präparate mit Kupfer einsetzen, während sie selber Produkte nutzen, die nachweislich gefährlich für Gewässer und teilweise langfristig umweltschädlich sind. Und so manch Winzer, obwohl zertifiziert, weigert sich, das Zertifikat auf das Etikett zu drucken, da dies ja Bio-Marketing sei: Darf der Kunde etwa nicht wissen, wie der Wein produziert wurde? Wozu dann zertifizieren?

Es gibt also überall Dinge, die hinterfragt und diskutiert werden sollten. Nicht kritisiert. Zertifizierungen können und sollten sich weiterentwickeln und den jeweils aktuellen Herausforderungen angepasst werden. Anstelle sich gegenseitig das Leben unnötig schwer zu machen, erscheint es mir sinnvoller, gemeinsam an einem Strang zu ziehen und sich in diesen ohnehin schon schwierigen Zeiten gegenseitig zu respektieren und zu unterstützen. Der Weinbau von morgen wird ohnehin auf Nachhaltigkeit ausgelegt sein müssen, ob mit oder ohne Zertifizierung. Persönliche Querelen können dabei gerne beiseitegelassen werden, denn: Gemeinsam ist man stärker.

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