Vorwärts? Nimmer! Rückwärts? Immer!

Über Winzer mit Kurzsichtigkeit

Text: Harald Scholl

Das deutsche Weinrecht ist nicht nur für Weinbaubetriebe bisweilen undurchsichtig, auch Weinfreunde im In- und Ausland verstehen die Bezeichnungen gelinde gesagt bruchstückhaft. Vor allem die Zuordnung von Rebsorte und Region scheint ein Mysterium. Wenn zweitklassige Rebsorten mittels Lagenbezeichnung aufgewertet werden sollen, kann das nur nach hinten losgehen.

Man könnte das Thema ganz einfach abtun, als regionale Petitesse, als Randnotiz deutscher Weinbaubürokratie. Aber so einfach ist es leider nicht. Der pfälzische Weinbaupräsident Reinhold Hörner stellte auf dem Pfälzer Weinbautag die künftigen Lagenweine der Pfalz vor. Demnach einigte sich die Schutzgemeinschaft der Pfalz auf sieben Rebsorten, die künftig mit einer Lagenbezeichnung auf dem Etikette verkauft werden dürfen. Neben dem Platzhirschen Riesling, sind das die drei Burgundersorten – Spät-, Weiß-, Grau-, und Chardonnay. So weit, so gut. Aber auf Wunsch der Genossenschaften kommt noch Dornfelder und auf Wunsch der Kellereien der Gewürztraminer dazu. Und da reibt sich der geneigte Weinfreund dann doch die Augen. Dornfelder? Nichts gegen diese rechtschaffene Rebsorte, die 1955 als Deckweinsorte eingeführt wurde. Aber mal im Ernst: Kann sich jemand an einen bemerkenswerten Dornfelder erinnern? Wann ist der letzte Dornfelder mit 93 oder mehr Punkten bewertet worden? Und wie genau drückt Dornfelder die Lage aus auf der er steht? Was unterscheidet einen Dornfelder vom Kalk, von einem vom Löss?Selbst das deutsche Weininstitut weiß zu berichten: «Der Dornfelder hat außerhalb von Deutschland eigentlich keine Bedeutung für den Weinbau. Lediglich in der Schweiz gibt es, Stand 2018, circa 21 Hektar Dornfelder-Reben». Die Neuzüchtung aus dem Jahr 1955 begann ihre Karriere als «Deckrebsorte» um farbschwachen Rotweinen auf die Sprünge zu helfen. Eine Rebsorte also, wie geschaffen für den Export, möchte man voller Zynismus in den Raum werfen. Immerhin: Sie sind nicht allein mit dem Versuch eher zweitrangigen Rebsorten mittels Lagenbezeichnung attraktiver zu machen. In Franken will man allen ernstes Silvaner, Riesling, Weiß- und Grauburgunder, Chardonnay, Rieslaner, Scheurebe, Traminer sowie Spät- und Frühburgunder, Blaufränkisch und Domina eintragen lassen. Wenn mehr Platz auf dem Formular gewesen wäre, hätten es wahrscheinlich auch noch Kerner oder die Huxelrebe auf diese Liste geschafft. Schließlich werden in Deutschland über 100 Rebsorten angebaut – da geht doch noch was!

Sortenvielfalt – ein deutsches Phänomen

Aber lassen wir diesen kurzen zynischen Ausbruch und schauen auf das wirkliche Problem dahinter. Der durchschnittliche deutsche Winzer ist immer noch ein Gemischtwarenhändler, er lebt nicht zuletzt davon, dass sich jeder Kunde in irgendeiner Weise in seinem Programm widerfindet. Diverse Rebsorten, rot wie weiß, trocken, halbtrocken, fruchtsüß und edelsüß augebaut, gerne von ein paar Sekten, Fruchtsäften und Weingelee abgerundet. Das ist alles gut und schön – aber es ist kein Konzept für die Zukunft. Dass es noch nicht einmal ein Konzept für die Gegenwart ist, spüren die Winzer sehr deutlich. Ihr Absatz auf dem deutschen Markt ist 2023 um 11,5 Prozent zurückgegangen. Die gerade beschlossene Destillation von 8 Millionen Liter Rotwein in Württemberg passt in dieses Bild. Natürlich lässt sich jetzt treffend über Stützungsmaßnahmen für die ausländischen Winzer durch ihre Länder diskutieren, oder über bürokratische Hindernisse hierzulande. Geschenkt. Der wahre Grund liegt woanders, wie der Blick in erfolgreichere Weinregionen zeigt. Der Stellenwert der Weine des Burgund hat sicher auch damit zu tun, dass es nie eine große Frage darüber gab und gibt, welche Rebsorte angebaut wird. Chardonnay und Aligoté sind es in weiß, Pinot Noir und Gamay sind es in rot. Fertig. Auch in Bordeaux, im Piemont oder dem Priorat ist die Anzahl der zulässigen Rebsorten eng begrenzt. Insbesonders für die besten Weine, die mit ihren Herkunftsangaben für eindeutige Zuordnung sorgen. Und es dem Weintrinker somit relativ einfach machen, einen bestimmten Geschmacksstil und den gewünschten Wein zu finden.

So einfach machen es sich die deutschen Winzer nicht. In den flächen- und mengenmäßig größten Anbaugebieten Rheinhessen und Pfalz – die zusammen knapp die Hälfte der deutschen Anbaufläche stellen – ist der Rebsortenspiegel bunt gemischt. Natürlich steht auch hier der Riesling im Vordergrund, aber dann wird es bunt. Und wie will man auf den internationalen Märkten punkten, wenn es kein klares Profil gibt? Wenn ein Wein aus der Pfalz nahezu alles sein kann? Wie stellt sich der Pfälzer Winzer seinen Lagendornfelder Kunden denn vor? Zumal den in Stockholm oder Boston? Nein, die Entscheidung pro Dornfelder ist ein Beleg dafür, dass ein Großteil der deutschen Winzer immer noch nicht über den eigenen Glasrand schaut.

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