Kulinarische Reise durch (un)entdecktes Terrain

Auf den Spuren des Weines

Text: Harald Scholl, Fotos: gettyimages/MartinFredy, gettyimages/twingomaniak, z.V.g.

Kroatien gehört für die meisten Weintrinker nicht zur Nummer eins der besuchenswerten Destinationen, einfach weil es – auch als EU-Mitglied – irgendwie noch unbekannt ist. Das hat andererseits den unschätzbaren Vorteil, dass man noch echte Entdeckungen machen kann. Denn neben den autochthonen Rebsorten sind es die anderen landwirtschaftlichen Produkte, die das gebirgige Land zwischen Donau und Adria so interessant machen.

Von Zagreb ins Kroatische Hügelland

Der perfekte Ort, um einen kulinarischen Streifzug durch Kroatien zu starten, ist die Hauptstadt Zagreb. Nirgends sonst zeigen sich die Facetten des Landes so fokussiert wie unter einem Brennglas. Und das gilt ganz besonders für die Küche. Beim Bummel über den Markt im Herzen der Stadt taucht Grünzeug auf, das für jeden Eintopf unerlässliche Bündel aus Lauch, Sellerie, Karotte und Petersilie, hier «Grinceg» genannt. Im Café ums Eck steht die Crèmeschnitte als «Kremsnita» im Angebot, begleitet von einem «Mali makiato sa slagom», wohinter sich nichts anderes als ein kleiner Milchkaffee mit Schlagsahne verbirgt. Das atmet alte K.-u.-k.-Herrlichkeit, ist aber auf der anderen Seite weltstädtisch-modern, denn die Weinbar vis-à-vis vom Markt hat alles auf der Karte, was der urbane Hipster liebt: Natural, Amphore, Orange-Wein, you name it, they serve it! Jeden Wein der langen Weinkarte gibt es auch glasweise, aber bei Flaschenpreisen von 40 Euro für gereifte Weine, wer wollte da knausrig sein? Dieser überall spür- und schmeckbare Mix von Tradition und Moderne wirkt auf Nicht-Europäer ungeheuer anziehend, vor allem Touristen aus Fernost scheinen Zagreb auf der Liste der heissesten Reisedestinationen ganz oben stehen zu haben. Der Weinbau scheint dabei nur einer von vielen Gründen zu sein.

Wie in vielen Ländern im östlichen Europa hat der Anbau von Wein auch in Kroatien eine ganz handfeste Tradition und war für viele Bauern die einzige Wahl, um die Existenz zu sichern. In vielen Regionen ist es aufgrund der ökologischen Gegebenheiten aus Lage, Klima, Gelände und Boden bis heute die einzige landwirtschaftliche Option. Eine knappe Autostunde nördlich von Zagreb ist das Weingut Petrač ein Beispiel für die aussergewöhnlichen klimatischen Verhältnisse, mit denen die Winzer vor Ort zu kämpfen haben. Die Anbauflächen in dem hügeligen und zerklüfteten Gelände – Poeten würden da von wild-romantisch sprechen – sind klein und liegen vereinzelt. Das Klima ist kontinental geprägt, mit viel Niederschlag,  was den Schädlingsdruck erhöht. Viel Arbeit für fünfzigtausend Flaschen pro Jahr. Rund zehn Hektar werden bewirtschaftet, die Hälfte davon ist Rotwein, bestockt überwiegend mit internationalen Rebsorten. Auf dem Hügel «Hršak Breg» wurden insgesamt 40 000 Rebstöcke gepflanzt, davon 22 000 Cabernet Sauvignon, 4000 Merlot vor über 15 Jahren. Dazu kommen Welschriesling, Riesling und Chardonnay. Aus dem Letztgenannten wird vor allem Sekt gekeltert, der «Chardonnay Sparkling Wine brut» liegt 18 bis 24 Monate auf der Hefe, mit zarter Frucht und feinen Hefenoten, sehr straight am Gaumen, Trinkfluss geht vor Komplexität. Ein erstklassiger Aperitif. Und ein Beispiel für den modernen, international ausgerichteten Stil des Weinguts. Auf dem neuesten Stand der Dinge ist auch die Weinbereitung, Keller und Technik folgen der Natur, oder präziser, der Physik. Die gesamte Traubenverarbeitung folgt der Schwerkraft, es wird nicht gepumpt. Das Ergebnis sind kraftvoll-elegante Rotweine von Statur, die vor allem zur kräftigen Küche der Region passen. Wer hart arbeitet, muss auch anständig essen, sagen die Petračs, dazu passt der Karizma (= Charisma), der Flaggschiffwein des Weinguts. Ein typischer Bordeaux-Blend aus 70 Prozent Cabernet Sauvignon und 30 Prozent Merlot. Rubinrot mit intensiven violetten Reflexen, intensiv nach dunklen Beeren und Tabak duftend. International sorgen die Petračs mit dem Karizma immer wieder für Aufsehen. Medaillen und Auszeichnungen sammeln sie wie andere Leute Briefmarken.

01 Geschichte: Zagrebs Kirchen
02 Grinceg ist Grünzeug!
03 Hügelland nördlich von Zagreb
04 Traditionelle Methode: Sektherstellung
05 Wandrelief im Weingut Petrač
06 Perlender Genuss
07 Fassweinkeller
08 Der Macher von Petrač
09 Flaggschiffwein Karizma
10 Traditionelle Küche

 

Kühle Weissweine

Slawonien

Auf dem aktuellen Stand der Technik ist man auch auf dem Weingut Galić. Vor allem der Kellereineubau, der im Herbst letzten Jahres eingeweiht wurde, ist beeindruckend – inklusive Betoneiern und nagelneuer Stockinger Fässer im Keller. Das war sicher nicht billig, aber seitdem Josip Galić seinen Wein weniger für den persönlichen Gebrauch herstellt, auch notwendig. Die 30 Hektar Weinberge sind peinlichst genau kartographiert, die Reben an den jeweiligen Standorten optimal ausgewählt und gepflanzt.

Das Weingut befindet sich im Požeška-Tal, auf 200 bis 330 Metern über dem Meeresspiegel. Galić hat seinen Besitz über die Jahre gezielt erweitert, an vier Standorten, in Vetovo, Podgorje, Kaptol und Radovan, wurden 16 Hektar neu bepflanzt und zusätzlich sechs Hektar alte Weinberge gekauft. Mit 40 Prozent Anteil am Rebsortenspiegel ist Graševina die wichtigste Rebsorte, aber auch andere weisse Sorten wie Sauvignon Blanc gelingen Galić überzeugend. Die kühle Stilistik passt ausgezeichnet zur anspruchsvollen Fischküche wie auch zu einer Pasta mit Schalentieren. Oder noch besser: Trüffel! Die seltene Edelknolle wird in Kroatien in vielen Gegenden gefunden, unterhalb der mittelalterlichen Stadt Motovun sind Nera und Bela für die Suche verantwortlich. Die beiden Hunde gehören der Familie Kotiga, die sich als Trüffelspezialist einen Namen gemacht hat. Je nach Saison werden weisse und schwarze Trüffel angeboten, noch besser, wenn man sie direkt vor Ort zubereitet bekommt. Die Dame des Hauses, Mirjane, hat ein ganzes Repertoire von Trüffelrezepten, aber ihr Rührei ist unschlagbar. Man darf halt nicht sparsam mit den Trüffeln sein, so ihr Tipp.

01 Vom Feinsten: Fasskeller bei Galić
02 Neu trifft Alt: Galić-Neubau
03 Geht immer zum Weisswein: Trüffel!

 

In Sichtweite der Adria

Istrien

Die enge Kombination von Wein und Kulinarik findet sich auch in Bale, auf dem Weingut Meneghetti, das gleichzeitig ein luxuriöses Ferienresort ist. Die Weine werden auf zwei völlig unterschiedlichen Böden angebaut. Die roten Böden rund um Bale sind reich an Mineralien und besonders an Eisen, das für einzigartige Fruchtbarkeit sorgt und die typische Farbe verleiht. Auf den weissen Böden der Appellation Kršin-Ferne bei Buhe werden die Weissweine angebaut. Der Boden hat die charakteristische Farbe wegen der grossen Tonmengen, die den Weissweinen eine grosse Mineralität und Eleganz verleihen. Die Auflage aus Humus ist stellenweise nur wenige Zentimeter dick, die Reben wurzeln mehr oder weniger im Gestein

Entsprechend mineralisch und schlank zeigen sich die Weine, die auch deshalb perfekt zur Küche des Weinhotels passen. Das scheint ein gewisser Trend in Istrien zu sein: die Kombination von Weingut und Spitzengastronomie.

Das Weingut Boškinac auf der Insel Pag verbindet die zwei Elemente ähnlich stilsicher. Die Küche hat deutlich mehr als gehobenes Niveau, die Weine stehen dem in nichts nach. Inhaber Boris Šuljić war bei der Gründung des Weinguts im Jahr 2000 vor allem der Erhalt und die Pflege der einheimischen Rebsorte Gegić wichtig, die Kulinarik kam erst später dazu. Direkt neben dem Weingut wurden fünf Hektar Weinberge angepflanzt, neben Gegić die internationalen Sorten Cabernet Sauvignon, Merlot, Chardonnay und Sauvignon. Ein grosser Teil der Weine wird direkt vor Ort im Restaurant konsumiert, die Küche ist perfekt darauf abgestimmt.

01 Eiskalt: moderne Gastronomie
02 Spezialität: kraftvolle Rote
03 Mr. Meneghetti: Miroslav Pilso
04 Boscinac: klassische Reberziehung
05 Bestes Holz für beste Weine
06 Lamm aus dem Holzofen

 

Kraftvolles Rot

Dalmatien

Eine Autostunde weiter südlich in Skradin liegt das Weingut Bibić. Vor allem die roten autochthonen Rebsorten haben es der Familie angetan. Debit, Plavina, Babić und Lasin – Namen, die ausserhalb Dalmatiens relativ unbekannt sind, trotzdem sind die Weine der Familie inzwischen auf der ganzen Welt zu finden. Internationale Rebsorten wie Syrah, Cabernet Sauvignon, Merlot, Cabernet Franc und auch Sauvignon Blanc ergänzen das Portfolio. Rund 20 Hektar bewirtschaftet die Familie, ungewöhnlich ist die Arbeit im Keller. Neben Holzfässern und Edelstahltanks stehen im Keller Steintanks, «Kamenice» genannt, die mehrere hundert Jahre alt sind. Vergoren wird nur mit natürlichen Hefen. Alles, um das Terroir und die Typizität der Trauben möglichst unverfälscht in den fertigen Wein zu bringen.

Keine zwei Stunden nördlich von Dubrovnik, spektakulär auf einer Halbinsel haben Ernest und Ivana Tolj 2006 das Weingut Saints Hills gegründet. Auch sie setzen ganz bewusst auf autochthone kroatische Rebsorten. Und das in drei verschiedenen Appellationen, an drei verschiedenen Orten an der kroatischen Küste. In der Appellation St. Ante steht der weisse Malvazija Istarska, in der Appellation St. Roko der rote Plavac Mali und in Dingač ein zweiter Plavac. Aus ihm wird auch ein Rosé gekeltert. Die Rebsorten sind alt, die Methoden modern. «Unser Ziel ist es, Weine von Weltklasse herzustellen, indem wir die Natur, die traditionellen Sorten und die Örtlichkeiten respektieren. Aber erreichen wollen wir das mit zeitgemässen Methoden», sagt Ernest Tolj.

Ähnlich denkt auch Ivo Duboković, der in Jelsa auf der Insel Hvar sein Weingut hat. Ein Familienbetrieb, der aus der fast schon klassischen Zusammenarbeit mit der regionalen Kooperative entstanden ist. Erst in den 90er Jahren entschloss sich Ivo, seinen eigenen Wein zu machen. Was mehr oder weniger als Hobby begann, entwickelte sich im Laufe der Zeit zu einem Fulltime-Job. Alle Weine werden mit den natürlichen Hefen vergoren, der weitere Ausbau erfolgt je nach Weintyp im Edelstahl und in Barriques unterschiedlichen Alters kombiniert. Etwas mehr als 20 000 Flaschen kommen aus dem kleinen Familienweingut, mit sehr interessanten Namen: Ein Plavac Mali wurde «2718 Sati Sunca u Boci» genannt, auf Deutsch «2718 Sonnenstunden in einer Flasche». Der Winzer scheint also auch noch eine poetische Ader zu haben.

Dalmatien ist das Land des Plavac Mali, diese alte Rebsorte ist das Markenzeichen der Region. Tanninstark, kraftvoll und in der Aromatik dem südfranzösischen Mourvèdre nicht unähnlich entstehen in Sichtweite der Adria an steinigen Steilhängen Gewächse mit enormem Reifepotenzial. Das gilt auch für die Weine von Hrvoje Baković. Seine Familie hat sich schon immer mit Weinbau beschäftigt, allerdings nur für den persönlichen Konsum. Gross ist sein Weingut auch heute noch nicht, ganze fünf Hektar werden bewirtschaftet. Das relativiert sich allerdings, wenn man sich die Weinberge ansieht. Sie fallen teilweise atemberaubend steil zur Adria ab, an Arbeit mit Maschinen ist da natürlich nicht zu denken, vieles muss per Hand erfolgen. 30 000 Flaschen schafft Baković pro Jahr, wobei Plavac Mali als Basis dient und mit Cabernet Sauvignon und Syrah ergänzt wird. Im Ergebnis entstehen Weine, die Reife brauchen – und kraftvolle Speisebegleitung.

Weinberge in Form eines riesigen, sich zum Meer öffnenden Amphitheaters sind das Markenzeichen des Weingut Milos. Auf Terrassen auf der Halbinsel Peljesac wächst hier der Plavac Mali, jede einzelne Traube wurde von Franjo Milos dem Berg abgetrotzt und wird es heute von seinen Söhnen. Das ist Landschaftsarchitektur, die sich organisch in die Umwelt einfügt und für einzigartige mikroklimatische Bedingungen sorgt. «Stagnum» heisst der Wein, mit dem Milos auch international immer wieder für Aufsehen sorgt. Nach eigenen Worten ist er «… die wahre Essenz von Peljesac; rauh, hart, arm, sanft, zahm und reichlich; eine Mischung aus vielen Kontrasten an nur einem Ort …» Auch das klingt wieder sehr poetisch, vor seiner Karriere als Weinmacher war Franjo Milos als Dichter und Sänger eine bekannte Grösse in Kroatien. Ein Lebenslauf, der ungewöhnlich, überraschend und unverwechselbar ist. Und damit ein wenig so wie die Weine Kroatiens. Vielleicht ist es das, was dieses kleine, gebirgige und vielschichtige Weinland mitten in Europa so anders und so aufregend macht. Ein Grund mehr, das Land, seine Weine und seine Küche zu entdecken.

01 Umtriebig: Alen Bibic
02 In Sichtweite: Reben und Adria
03 Stilsicher: Neubau Bibich
04 Spritzig: Bibich-Sekt, traditionell
05 Bodenkunde: Quarz ist überall
06 In den Berg gebaut: Saints Hills
07 Autochthon: Plavac Mali

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