Piwi auf dem Prüfstand

Der Piwi-Deal

Text: Andrea Heinzinger / Fotos: Deutsches Weininstitut, z.V.g., AD LUMINA Ralf Ziegler, Julius-Kühn-Institut / M. Grünwald J, Deutsches Weininstitut

  • Seit über zehn Jahren widmen sich die Piwi-Pioniere Katja und Ansgar Galler in ihrem Weingut in Kirchheim an der Weinstraße den resistenten Sorten.
  • Prior ist nur eine der vielen Piwi-Sorten, die Piwi-Pionier Andreas Dilger in seinen Weinbergen rund um Freiburg anbaut.
  • Weniger Pflanzenschutzmassnahmen bedeuten auch weniger Fahrten im Weinberg. Das tut nicht nur den Böden gut, sondern ist zudem ressourcen- und energieschonend.

Nachhaltige Heilsbringer angesichts von Klimawandel und den Zugzwängen des Green Deals? Oder doch nur sensorisch und qualitativ den Traditionssorten hinterherhinkende Newcomer ohne grössere Reichweite? Wenn es um Piwis geht, schlagen die Wellen in zuweilen emotionalen Diskussionen hoch. Fest steht: Starke Argumente gibt es auf allen Seiten.

Gäbe es in Deutschland eine Dreiprozenthürde für Rebsorten, die Piwi-Sorten würden sie knapp verfehlen. Geredet aber wird umso mehr über sie, und das nicht nur in den Weinbergen. Das Thema ist virulent und polarisiert. Sind Piwis Hidden Champions oder doch eher Trostpflaster, um dem Weinbau in turbulenten Zeiten von Klimawandel, Green Deal und internationalen Krisen Hoffnung zu geben? Oder sind sie gar Vorboten eines generellen Wandels, weil es den Weinbau, so wie wir ihn kennen, in ein, zwei Generationen aus klimatischen, ökologischen und nicht zuletzt ökonomischen Gründen nicht mehr geben wird?

Augen auf bei der Namenswahl…

Deutschlands meistangebaute Piwi-Sorte, der Mitte der 1960er Jahre gezüchtete Regent, galt lange Zeit einfach als «neue Sorte». Das Wort «Piwi», ein Akronym aus «Pilz» und «Widerstand», ist indes noch keine 25 Jahre alt. Es kam im Jahr 2000 in der Internationalen Arbeitsgemeinschaft zur Förderung von pilzwiderstandsfähigen Rebsorten auf. Aus der Ini­tiative wurde der Verein PIWI International (der seit mehr als einem Jahrzehnt auch jährlich einen Piwi-Award auslobt), und der Name   wurde im Jahr 2015 zu einer EU-weit eingetragenen Wort-Bild-Marke. «Für uns ist Piwi auch längst kein Kürzel mehr, das sind einfach die Piwis. Und das im Grunde weltweit in allen Ländern, die sich damit beschäftigen. Piwi ist heute eine Marke und es gibt auch ein entsprechendes Logo dazu,» erklärt Andreas Dilger, Vorsitzender des Vereins PIWI Deutschland e.V. und Ecovin-Winzer aus Freiburg. Einen anderen Begriff wählten die beiden rheinhessischen Winzerinnen und VINISSIMA-Mitglieder Eva Vollmer und Hanneke Schönhals, als sie im Jahr 2021 mit dem Projekt Zukunftsweine starteten (Label «Zukunftsweine»).

«Ich bin absolut davon überzeugt, dass Piwis auch in Toplagen funktionieren und dass man daraus auch Spitzenweine machen kann. Man muss sich nur mal trauen…»

Ansgar Galler, Piwi-Winzer

Sie suchten einen neuen Namen, der Weingeniessern nicht gleich mit den Worten Pilz und Widerstand den Appetit verdirbt. Um dann im zweiten Schritt zu zeigen: «Ja, diese Sorten schmecken!» Die positive Message, die bei den Zukunftsweinen Hand in Hand mit einem modernen Designkonzept auftritt, traf in der Tat voll ins Schwarze. Im Dezember 2022 erhielten die Zukunftsweine den Deutschen Nachhaltigkeitspreis Design. Die Jury lobte das «spannende Konzept, das Genuss und Klimaschutz perfekt kombiniert» und zeigte sich begeistert von der Gestaltung, dank der die Flaschen im Supermarktregal ordentlich ins Auge fallen. Für die Zukunftsweinmacherinnen, deren Bewegung sich inzwischen über 50 Weingüter angeschlossen haben, war diese Auszeichnung der entscheidende Schritt, um die neuen Sorten aus ihrer «Weinblase» zu holen und sichtbarer zu machen. «Wir wollen die Zukunftsweine in die Köpfe und in die Herzen bringen», sagt Eva Vollmer und betont, dass ein Schlüssel zum Erfolg auch die grosse Offenheit der Bewegung ist, die sowohl konventionell als auch ökologisch arbeitende Weingüter abholt: «Die Kernbotschaft von Zukunftsweine ist: Wenn du diese Reben pflanzt, egal wie du eben sonst entscheidest, hast du Pflanzenschutzmassnahmen um 80 Prozent reduziert. Du hast aber auch den Auftrag, die Chance und die Pflicht auf allen Ebenen des Weinmachens nachhaltig zu wirtschaften.»

Ganz bewusst beim Begriff «Piwi» bleibt indes der Pfälzer Bioland-Winzer und Piwi-Pionier Ansgar Galler (Label «Weingut Galler»), der seit über zehn Jahren auf die widerstandsfähigen Sorten setzt und diese sehr erfolgreich vermarktet. In diesem Jahr war er erstmals mit einem eigenen Stand auf der ProWein und präsentierte dort mit grossem Erfolg eine Piwi-Cuvée in der Pfandflasche. Dass er ein junges Content- und Social-Media-Team hinter sich und konsequent seine Vertriebsstrukturen ausgebaut hat, zahlt sich aus. Das Wichtigste sei, so Galler, die Weine auch wirklich in den Markt zu bringen, und dafür sei jetzt der richtige Moment. Es stimmt, die Wahrnehmung der Piwis ändert sich, gerade bei Sommeliers, so die Erfahrung von Galler, sei die Skepsis gross. Und nicht nur bei ihnen, «langweilig» seien die neuen Sorten, «eindimensional» im Geschmack, «zu wild», führen Geniesser ins Feld. Argumente, die Galler nicht gelten lassen will: «Aus einer Piwi-Traube kann ich je nach Stilistik genauso gut mein Ding machen. Ich kann einen Souvignier Gris ausbauen wie einen Grauburgunder, da schmecken Sie keinen Unterschied.» Und auch Andreas Dilger bekräftigt das: «Es gibt nichts, was man mit diesen Trauben nicht auch machen könnte.» Aber vielleicht ist genau das das Problem: Piwis haben kein klares Profil. Man weiss im Grunde nicht, was diese Weine auszeichnet, was typisch für sie ist. Und es gibt für Sorten wie Cabernet Cortis, Felicia oder auch Monarch eben auch keinen Styleguide –anders als etwa bei einem Sauvignon Blanc, der weltweit in einer Vielzahl von Stilistiken überzeugt.

Um die Konturen der Piwis zu schärfen und ihre Chancen auf dem Markt zu verbessern, hat man am Weincampus Neustadt verschiedene Ansätze durchgespielt und diese auch mit den Erwartungen der Verbraucher abgeglichen. Adap­tiert man sensorische Profile traditioneller Sorten, outen sich die Piwis als Chamäleon: Sie schmecken «so wie». Das geht besonders gut in Marken- oder Konzeptweinen sowie in Cuvées, bei denen die Ausstattung für sich spricht und die Piwi-Sorten nicht genannt werden. Diesen Weg gehen zum Beispiel neun Winzer aus Baden-Württemberg mit der neuen roten Piwi-Cuvée Tamino oder auch die auf Crémants spezialisierte neue Genossenschaft PIWI Kollektiv (Label «PIWI Kollektiv») aus der Kaiserstuhlregion. Und Sektmarktführer Rotkäppchen-Mumm sieht in den Piwi-Sorten Calardis Blanc und Souvignier Gris zwei starke Säulen seiner zukünftigen Sektproduktion und lässt die Sorten von rheinhessischen Vertragswinzern auf hundert Hektar anbauen. Ein anderer Weg in den Markt sind eigenständige, an Naturwein orientierte, maischevergorene, wenig bis gar nicht geschwefelte Piwi-Stilistiken. Da aber ein Nischenprodukt das andere nicht ins Rampenlicht ziehen wird, dürften derlei minimalinvasive Profile wenig erfolgversprechend sein. Anders als der Ansatz, Piwi als Nachhaltigkeitsmarke zu positionieren. Mit eigenen sensorischen Profilen könnte es den Piwis gelingen, aus dem Schatten der Traditionssorten zu treten. Im Keller jedenfalls, da sind sich Winzer, die schon länger mit Piwis arbeiten, einig, verhalten sie sich nicht anders als «normale» Sorten. «Die Trauben finde ich mitunter sogar besser in der Konsistenz. Sie haben viel dickere Beerenschalen, da muss ich je nach Lesegut und Temperatur die Maischestandzeiten anpassen. Aber das ist bei klassischen Rebsorten nicht anders: Auch bei Morio-Muskat oder Silvaner läuft erst mal wenig Saft ab. Es presst sich halt nicht alles so schön wie ein Riesling», so Gallers Erfahrung.

Piwis – Freifahrtschein zum Green Deal?

Sind die Trauben erst mal im Keller, scheint das Gröbste geschafft, ist doch eine der grössten Herausforderungen angesichts von Extremwettersituationen die Ernte gesunder Trauben. Die im vergangenen Juli von der Europäischen Kommission bekräftigte Forderung, im Rahmen der Biodiversitätsstrategie des Green Deals Pflanzenschutzmassnahmen bis zum Jahr 2030 um 50 Prozent zu reduzieren, baut zusätzlichen Druck auf. Im Raum steht die Frage, ob Weinbau unter diesen Voraussetzungen den nächsten Generationen überhaupt ein vernünftiges Auskommen sichern kann. Retten uns Piwis aus diesem Dilemma? Grundsätzlich ja, sagt Andreas Dilger (Label «Weingut Dilger»), allerdings ist es dafür reichlich spät. «Wir hätten seit Jahrzehnten die Möglichkeit gehabt, das intensiv umzusetzen, denn man wusste schon damals, dass Piwis ein Beitrag zur Nachhaltigkeit im Weinbau und zur Zukunftsfähigkeit eines ertragssicheren Weinbaus sind. Hätten wir die Chancen genutzt, dann wären wir jetzt bei einem Piwi-Anteil von 15, vielleicht auch 25 Prozent und hätten ein Problem weniger.» Auch Prof. Dr. Reinhard Töpfer, Leiter des Fachinstituts für Rebenzüchtung im Siebeldinger Geilweilerhof (Julius-Kühn-Institut), weiss, dass die aktuelle Generation resistenter Rebsorten viel zu langsam Fuss fasst in den deutschen Weinbergen.

«Der Umstieg auf Piwis ist das stärkste Einzelinstrument, das wir im Hinblick auf nachhaltigen Weinbau haben.»

Andreas Dilger, PIWI Deutschland e.V.

Dabei unterstreichen «sowohl die Vorgaben aus Politik und Gesellschaft zur Verminderung des Pflanzenschutzmitteleinsatzes in der Dauerkultur Rebe als auch die Folgen des sich deutlich abzeichnenden Klimawandels», wie wichtig die Züchtung und natürlich auch der Anbau der neuen Rebsorten wäre, wie Töpfer am Rande des XIII. Symposium for Grapevine Breeding and Genetics (2022) betonte. Dennoch: Piwis sind keinesfalls die allein selig machende Lösung. Auch wenn die neuen Sorten «das stärkste Einzelinstrument auf dem Weg hin zum nachhaltigen Weinbau» sein mögen, wie Dilger betont. Ihre Trümpfe spielen sie ganz besonders dann aus, wenn auch alle anderen Schritte in Weinberg und Keller auf Nachhaltigkeit fokussiert sind. So bedeuten weniger Spritzungen eben zum Beispiel auch weniger Wasserverbrauch, weniger Fahrten durch die Rebzeilen und damit nicht nur weniger Bodenverdichtung, sondern auch einen niedrigeren Kraftstoffverbrauch.

Vitis vinifera mit Resistenz-Booster

Piwis sind, wenn auch nicht zu hundert Prozent, unempfindlich gegenüber Oidium (Echter Mehltau) und Peronospora (Falscher Mehltau), immerhin die gefährlichsten Pilzerkrankungen der Rebe. Und das ist im Grunde auch schon der Unterschied zu den «normalen» Sorten. Dass sie diese Eigenschaft haben, verdanken sie den über viele Pflanzengenerationen hinweg eingekreuzten Resistenzen amerikanischer und auch asiatischer Wildreben. Die europäische Art Vitis vinifera hat den Pilzen nichts entgegenzusetzen, ganz anders als die oft auch «Amerikaner-Reben» genannten Arten. Diesen kann nicht nur die Reblaus nichts anhaben, sie sind von Natur aus auch immun gegen Mehltau aller Art. Beide Arten zu kreuzen ist übrigens keine Erfindung unserer Zeit. Hybridreben züchtete man schon vor über 150 Jahren, sie sind allerdings heute, abgesehen von wenigen regionalen Spezialitäten wie etwa dem österreichischen Uhudler, EU-weit verboten. Andere frühe resistente Kreuzungen aber werden bis heute angebaut, so zum Beispiel Seyval Blanc (1919), in der die Gene der Vitis vinifera überwiegen. Echte Resistenz-Oldtimer sind auch Regent (1967) und Solaris (1975).

«Das ist keine Sache, die man allein bewältigen kann, sondern wir müssen eine Bewegung werden.»

Eva Vollmer, Zukunftsweine

In diesen und anderen älteren Resistenzsorten entscheiden meist ein oder zwei Resistenzgene über das Mass an Pilzwiderstand. Je höher es ist, desto weniger muss die Rebe behandelt werden. Denn steigt der Pilzdruck infolge feuchter Witterung, sind bei klassischen Sorten bis zu 15 oder mehr Behandlungen mit hochpotenten Fungiziden erforderlich. Im Bioanbau wird mit Kupferzubereitungen gegengesteuert. Die durch den Einsatz von Piwis mögliche Reduzierung im Pflanzenschutz ist, so Professor Dr. Ulrich Fischer (Label «Ulrich Fischer»), Leiter des Instituts für Wein und Önologie am DLR Rheinpfalz, «ein ex­tremer Schritt nach vorne, der nicht nur dem politischen Ziel hilft, sondern auch dem Ökosystem, denn das Kupfer, das durch das Spritzen im ökologischen Weinbau in den Boden kommt, baut sich dort auf.» Die «Kupferfrage» ist zusammen mit der Piwi-Thematik seit 2019 Fokus des umfassenden Projekts VITIFIT, in dem sich Fischer zusammen mit anderen führenden Wissenschaftlern engagiert. Auch der Frage, wie man die Widerstandsfähigkeit der Piwis verbessern kann, geht man nach. Laufende DNA-Analysen, moderne Resistenz-Genetik und innovative Techniken wie CRISPR-cas erlauben inzwischen, die Sorten schneller und auch besser anzupassen. Dass sich die Resistenz einer Piwi-Sorte im Laufe der Zeit abschwächt, wie Kritiker befürchten, ist nicht der Fall. Es kann aber passieren, dass die Erreger mutieren, um die Rebe über neue Einfallstore anzugreifen. Hier kommt die pyramidale Resistenz der zukünftigen Piwi-Generationen ins Spiel: Sie halten dank mindestens drei unterschiedlicher Resistenzgene dem Pilzdruck noch stärker stand.

Gekommen, um zu bleiben

Während die Wissenschaft zu noch besseren Piwis forscht, gewinnt die Diskussion um Piwis im Zuge von Green Deal und Nachhaltigkeit deutlich an Drive. Nur ändert das bislang wenig am Exotenstatus der neuen Sorten. Wie sollte es bei der aktuell minimalen Marktdurchdringung auch anders sein? Kunden, die ihren Weinhändler davon überzeugen wollen, dass Piwis die «nachhaltigste Form des Weinbaus» sind, dürften in der Tat rar sein. Auch wird es dauern, bis ein Laurot oder Helios im Offenausschank so selbstverständlich ist wie ein Weissburgunder. Aber klar ist auch, das Momentum ist da. Die Nachfrage auf Winzerseite steigt, Setzlinge beliebter Piwi-Sorten sind Mangelware, und viele setzen sogar auf die Methode der Grünveredelung, um schneller auf Piwis umzustellen. Piwis sind also alles andere als eine Eintagsfliege. Höchste Zeit, mit dem Schubladendenken aufzuhören.

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