Music in a bottle

Interview mit Sting und seiner Frau Trudie Styler

Text: Christian Eder, Bilder: Dave Dunn

Das Künstlerehepaar Sting (Jahrgang 1951) und Trudie Styler (Jahrgang 1954) hat sich mit dem Gut Il Palagio vor fast 25 Jahren einen Traum verwirklicht und begonnen, in der Toskana Wein zu produzieren. Aber anders als manche andere Prominente, die dies kurzfristig als Hobby entdeckten und längst schon wieder aufgegeben haben, sind die beiden Italien und dem Wein treu geblieben. Mithilfe von Riccardo Cotarella keltern sie heute Chianti Colli Fiorentini und mehr und haben auch eine Pizzeria eröffnet, in der sie ihrer Liebe zu Neapel frönen.

Trudie, Sting, Sie haben beide in einem anderen Metier Karriere gemacht – Film und Musik. Wie sehr fühlen Sie sich heute als toskanische Weinproduzenten?

Sting: Il Palagio ist für uns ein ganz besonderer Ort, und in den letzten 25 Jahren sind das Weinmachen und das Weingut als Ganzes immer wichtiger geworden. Filmemachen und Musizieren sind natürlich unsere Hauptbeschäftigungen, aber es ist eine grosse Freude, nach Il Palagio zu kommen, um zu sehen, wie es den Weinbergen geht, etwas über den Weinanbau und die Weinherstellung zu lernen und dann die Ergebnisse zu geniessen und sie mit unseren Freunden zu teilen, der Familie und natürlich der ganzen Welt.

Als Ihr Sohn Eliot 1990 geboren wurde, hatten Sie die Idee, Ihr Leben in Italien zu verbringen: Was faszinierte Sie damals an Italien, und wie ist es heute?

Trudie: Im Winter 1984 verliebten wir uns gemeinsam in Italien, als wir ganz alleine Venedig besuchten, während wir unser zweites Kind, Jake, erwarteten. Danach verbrachten wir viel Zeit in Italien. Als wir 1989/90 Eliot erwarteten, mieteten wir eine Villa in der Nähe von Pisa. Sting schrieb das «Soul Cages»-Album, das durch den Verlust seiner Eltern im Jahr zuvor inspiriert wurde. Wir haben uns während dieses längeren Aufenthalts in die Menschen und den Lebensstil der Toskana verliebt und beschlossen, dass wir hier ein Haus haben wollten. Aber es dauerte noch fast zehn Jahre, bis wir Il Palagio fanden. Die Anziehungskraft Italiens hat für uns viele Facetten – vor allem die Menschen haben uns beide schon immer unglaublich herzlich aufgenommen. Das Wetter, das Essen, der Wein, die Kunst, die Landschaften, die Architektur, die Mode ... die Schönheit, die fast überall zu finden ist – all diese Dinge üben ihren Zauber aus.

Wie war es, als Sie Il Palagio entdeckten und es 1997 kauften? Die Erfüllung eines Traums? Liebe auf den ersten Blick? Oder eine Investition?

Trudie: Unsere anfängliche Suche nach einer Immobilie war erfolglos: Häuser, die gross genug waren, um ein Zufluchtsort für die Familie zu sein, aber auch geeignet für viele Besucher, wirkten etwas zu prunkvoll und palastartig. Wir hatten es fast aufgegeben, einen Ort zu finden, der sich richtig anfühlt. Aber als wir im Il Palagio ankamen, hat es einfach Klick gemacht. Wir konnten uns vorstellen, mit den aufwachsenden Kindern dort zu leben. Wir sahen darin nie eine finanzielle Investition, sondern eher eine Investition in unsere Familie.

Sie sind erst die dritte Familie, die Il Palagio in seiner 500-jährigen Geschichte ihr Eigen nennt: Ist damit auch eine Verantwortung für die Menschen verbunden, die hier leben?

Sting: Wir freuen uns, auf unterschiedliche Weise einen Beitrag zur örtlichen Gemeinschaft leisten zu können. Wir beschäftigen viele Einheimische im Haus und auf dem Land. Ausserdem haben wir vor drei Jahren eine Pizzeria neben unserem Hofladen eröffnet, und es ist toll zu sehen, wie gerne sowohl Einheimische als auch Touristen in den Sommermonaten dorthin kommen und entspannen. Am wichtigsten ist, dass wir beide das Gefühl haben, eine echte Verantwortung für die Pflege des Landes zu haben, in dem wir leben. Wir können die Erde, die Bäume, die Flüsse und Seen nie wirklich besitzen – aber wir sind hier, um sie zu pflegen und sie in einem besseren Zustand zu hinterlassen, als wir sie vorgefunden haben.

«Ein gutes Glas Wein lässt sich mit einem guten Lied vergleichen.»

Sting

Sie, Trudie, haben in Ihrer Familie einen landwirtschaftlichen Hintergrund. Hilft Ihnen das als Landwirtin in der Toskana? Oder ist das kein Vergleich zu Wiltshire in Grossbritannien?

Trudie: Ich bin eine Anhängerin des ökologischen Landbaus – für mich ergibt es einfach Sinn, mich auf die Gesundheit des Bodens zu konzentrieren, was bedeutet, dass ich keine künstlichen Düngemittel und aggressiven chemischen Pestizide verwende, die dem Boden seinen natürlichen Wert nehmen. Mein Vater Harry war eine Zeit lang Bauer, und als ich ein kleines Mädchen war, ging ich mit ihm, um zu helfen. Papa hat mir beigebracht, dass wir Verwalter der Erde sein sollten, für die Zukunft des Planeten und für zukünftige Generationen.

1989 haben Sie die Rainforest Foundation gegründet, eine Umweltstiftung. Angesichts der Schäden, die dem Amazonas-Gebiet und dem Meer zugefügt wurden, des Klimawandels und der globalen Erwärmung: Sind Sie immer noch optimistisch, was die Zukunft des Planeten angeht?

Sting: Wir alle müssen optimistisch bleiben, sonst verlieren wir die Motivation, weiterhin hart daran zu arbeiten, die Situation, die wir geschaffen haben, zu verbessern. Eigentlich braucht es nur politischen und wirtschaftlichen Willen zur Veränderung. Die Menschheit ist unglaublich einfallsreich und erfinderisch, und wir sollten alle an eine bessere Zukunft glauben, denn wir sind definitiv in der Lage, neue Technologien zu entwickeln, um das Chaos, das wir angerichtet haben, zu beseitigen. Wir können nachhaltigere Methoden der Landwirtschaft und Ernährung aller einführen. Schon das Pflanzen weiterer Bäume ist eine sehr einfache Möglichkeit, grosse Veränderungen auf dem Planeten zu bewirken!

Sie pflanzen auch Weinreben in Wiltshire: um Schaumwein zu erzeugen, der in England momentan up to date ist?

Trudie: Das ist eine sehr gute Idee, insbesondere da sich das Klima verändert hat – und es mittlerweile einige sehr erfolgreiche Schaumweine aus dem ländlichen England gibt. Aber nein, im Moment haben wir keine Pläne, unsere Weinproduktion auf Wiltshire auszudehnen.

Der Biodynamik-Pionier Alan York war zu Anfang einer Ihrer Mentoren. Damals waren die Ideen von Rudolf Steiner noch lange nicht so weit verbreitet wie heute. Was hat sich in 25 Jahren verändert?

Trudie: Es stimmt, dass es in der Vergangenheit kein grosses Interesse an Bio-Wein und noch weniger an Biodynamik gab. Aber die Einstellungen ändern sich unweigerlich, und es gibt heute sicherlich einen wachsenden Markt für Bio-Lebensmittel und Wein. Das Interesse an der Gesundheit ist viel grösser als früher, das Bewusstsein dafür, wie sich Ernährung auf die Gesundheit auswirkt, ist gestiegen und die Menschen essen und trinken aufmerksamer.

Auf Il Palagio produzieren Sie eine grosse Auswahl an Weinen: angefangen bei «When we dance», Ihrem Chianti, bis hin zu Ihrem Supertuscan «Sister Moon», einer Mischung aus Sangiovese und Cabernet. Wie würden Sie den Charakter dieser Weine beschreiben? Was ist Ihr Favorit?

Sting: «When We Dance» ist ein Chianti Colli Fiorentini und repräsentiert unser Territorium und unseren Teil der Toskana sehr gut, da er im traditionellen Stil hergestellt wird, um die Identität des Anbaugebietes zu bewahren. «Sister Moon» ist unser Flaggschiffwein, hergestellt aus Sangiovese, der ein Jahr lang in grossen traditionellen Fässern reift, und Cabernet Sauvignon, der in neuen Tonneaux gereift ist. Dieser Wein hat Körper und köstliche Aromen von Lakritz, Schokolade und Kaffee. Unser Boden besteht aus Lehm und Sand, der Sand verleiht dem Wein weiche, seidige Tannine und eine schöne Säure. «Sister Moon» altert sehr gut und wird fünf bis acht Jahre nach der Abfüllung am besten genossen. Neu ist ein Merlot in limitierter Auflage namens «Sacred Love», der diesen Sommer auf den Markt kommt.

Einige Ihrer Weine – wie «Sacred Love» – wurden nach Ihren Songs benannt: Kann man grossartige Kunst – Musik oder Erzählkunst wie Film oder Literatur – und grossartige Weine vergleichen?

Sting: Bei einem grossen Weinmacher wie Riccardo Cotarella – der seit 2020 für uns arbeitet – steckt definitiv viel Kreativität und Kunstfertigkeit in der Art und Weise, wie er seine Weine macht. Das Können, die Erfahrung, das angeborene Talent, die Individualität – all diese Elemente vereinen sich, so wie sie es in jedem tun müssen, der Kunst produziert, die Menschen erreicht. Ein gutes Glas Wein lässt sich auch mit einem guten Lied vergleichen... Das Erlebnis verändert sich von der ersten Duftnote über den ersten Schluck bis hin zu den anhaltenden Aromen, die noch lange nach dem Trinken nachklingen. Genau wie eine Geschichte oder ein Lied muss ein guter Wein einen Anfang, eine Mitte, eine Überraschung und einen befriedigenden Abgang haben.

«Das Interesse an der Gesundheit ist viel grösser als früher, das Bewusstsein dafür, wie sich Ernährung auf die Gesundheit auswirkt, ist gestiegen und die Menschen essen und trinken aufmerksamer.»

Trudie Styler

Was sind Ihre Lieblingsweine, die Sie nicht selbst machen? Ich habe gelesen, dass Mateus Rosé zu Ihren Favoriten gehörte, aber auch Château Margaux...

Sting: Wir sind beide in den 1950er und 1960er Jahren in Arbeiterfamilien und Gegenden aufgewachsen, in denen Wein selten getrunken wurde. Unsere Erfahrung mit Wein war sehr begrenzt – gerade mal einen Mateus Rosé, den die Leute normalerweise für die schicke Flasche kaufen würden, kannten wir! Unser Geschmack für Château Margaux entwickelte sich viel später! Aber tatsächlich bevorzugt Trudie knackige Weiss- und Roséweine.

Baci sulla Bocca, der erste Wein Ihres Weinmachers Riccardo Cotarella für Il Palagio, ist ein reinsortiger Vermentino. Was war die Idee dahinter?

Sting: Baci sulla Bocca ist die Antwort auf Trudies Vorliebe für knackigen Weisswein! Bei der ersten Verkostung beschrieb sie es «wie einen Kuss auf den Mund». Das war während der Pandemie, Küsse auf den Mund gab es also nicht wirklich oft auf der Welt... Aus diesem Vergleich entstand die Inspiration, Elliott Erwitts berühmtes Foto für das Etikett des Weins zu verwenden, der dann ein grosser Erfolg war.

Sie produzieren auch Olivenöl und Honig und zu guter Letzt besitzen Sie sogar eine Pizzeria! Warum Pizza? Und nicht – sagen wir mal – ein Michelin-Stern-Restaurant?

Trudie: Die Pizzeria ist mittlerweile den dritten Sommer geöffnet und bisher ein grosser Erfolg. Nicht weit von Il Palagio entfernt gibt es einen Campingplatz, und das passt sehr gut zusammen: Eine Pizzeria ist ein grossartiger Ort für Familien, wo sie draussen essen können, in der Gewissheit, dass die Kinder einen sicheren Ort zum Spielen haben und es überhaupt nicht formell zugeht. Anders als in einem Restaurant. Wir bieten aber auch traditionelle toskanische Antipasti und Desserts an.

Pizza ist nicht ursprünglich toskanisch. Schätzen Sie – privat – auch die toskanische Küche? Steht ab und zu eine Ribollita oder ein Bistecca Fiorentina auf dem Tisch? Oder doch eher Fish & Chips?

Trudie: Wir lieben neapolitanische Pizza und toskanisches Essen. Wir haben einige einheimische Frauen, die normalerweise im Il Palagio kochen und deren eigene Rezepte am Tisch immer willkommen sind. Und ja, manchmal schätzen wir britische Fish & Chips oder vielleicht sogar indisches Essen. Regionale, frische Zutaten haben jedoch immer Priorität.

Interessieren sich Ihre Kinder für die Weinherstellung? Gäbe es schon einen potenziellen Nachfolger als Weinproduzent?

Trudie: Unser Ziel für alle Kinder ist es, dass sie ihre eigenen Talente und Träume verfolgen. Wenn eines von ihnen sich im Weinberg engagieren möchte, hat es dazu die perfekte Möglichkeit, aber die Entscheidung müssen sie selbst treffen!

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