Steile These

Steillage adé

Text: Harald Scholl, Fotos: z.V.g.

Sie gehört zum deutschen Wein wie der Riesling oder die Weinkönigin, die Rede ist von der Steillage. Kaum ein anderes namhaftes Weinbauland kann mit dem Fakt glänzen, dass 60 Prozent der Rebfläche in Steil- oder Hanglage liegen. Aber diese Einmaligkeit scheint gefährdet, gerade in der Steillage sorgen die extremer werdenden Wetterereignisse für zusätzliche Sorgenfalten auf den Stirnen der Winzer. Hat die Steillage im Klimawandel noch eine ­Chance? Oder wird sie Schritt für Schritt verschwinden?

Ortstermin in der Lage «Stettener Stein», rund zehn Kilometer nördlich von Würzburg gelegen. Die Lage zählt zu den besten Frankens, sie ist vom VDP (Verband Deutscher Prädikatsweingüter) als «Grosse Lage», der besten Kategorie, eingestuft worden. Die Kernlage von 22 Hektar Grösse liegt in einem Hohlspiegel etwa achtzig Meter über dem Main, oberhalb der felsigen Schaumkalkbänke. Die einzelnen Weinbergsparzellen haben 50 Prozent und mehr Hangneigung und profitieren von dem aussergewöhnlichen Kleinklima. Die an der Felswand vom Main aufsteigenden warmen Luftmassen blasen kontinuierlich Wind durch die Rebzeilen, die Blätter und Trauben trocknen bei Feuchtigkeit daher schnell wieder ab. Ein enormer Vorteil im Hinblick auf den Pflanzenschutz, gerade Pilzerkrankungen tauchen sehr viel seltener auf. Deshalb ist der Bioanbau hier besonders gut, und für eine Steinlage, relativ einfach möglich. Zudem ist der kühle Spessart nicht weit weg, im Stettener Stein wird deshalb durchschnittlich zwei bis drei Wochen später geerntet, als etwa im bekannten Würzburger Stein. Grundsätzlich also beste Voraussetzungen, um hochklassige Weine zu machen. Dennoch hat Winzer Ludwig Knoll, Weingut Am Stein, ein paar Sorgenfalten im Gesicht. Er arbeitet seit vielen Jahren biodynamisch, Herbizide oder Pestizide hat er schon vor Jahrzehnten aus seinen Weinbergen verbannt. Seine Reben hat er gut im Griff, bis zu 80 Jahre sind sie alt, entsprechend tief wurzeln sie und können sich auch in heissen und trockenen Sommer mit Wasser aus der Tiefe versorgen. Aber die Wetterextreme sind doch eine Herausforderung. «Grundsätzlich regnet es weniger als früher, und wenn, dann als Platzregen mit der Folge, dass das Wasser in regelrechten Sturzbächen zwischen den Rebzeilen durchschiesst. Wenn der Boden darauf nicht vorbereitet ist, kann man seine Humusschicht anschliessend unten auf der Strasse wieder einsammeln», fasst er seine Erfahrungen zusammen.

«Unter betriebswirt-
schaftlichen Gesichtspunkten müsste man zur Steillage ganz klar sagen: Hör auf damit! Aber welcher Winzer denkt schon rein betriebswirt-
schaftlich?»

Alex Loersch, Weingut Loersch, Mosel

Gerade in der Steillage, mit wenig Humusauflage ist das ein reales Problem, ohne Begrünung der Flächen zwischen den Rebzeilen würde es nicht gehen. Aber das treibt die Kosten in die Höhe, auch diese Begrünung muss gepflegt werden. Die Lehrbücher sagen, dass in der Flachlage bei vollmechanisierter Arbeit 300 Stunden pro Hektar und Jahr nötig sind, in der Steillage, oder auf Terrassen mit Einzelpfahlerziehung sind es bis zu 1500 Stunden. Der Grossteil davon in Handarbeit weil die Maschinen zu gross sind. Man muss kein Mathematiker oder Betriebswirt sein, um zu verstehen, dass sich das auf den Preis pro erzeugter Flasche Wein niederschlagen muss. Das war in der Vegangenheit auch kein wirkliches Thema. Denn aus der Steillage kamen die besten Weine, die grossen deutschen Rieslinge stammen fast alle aus der Steillage. Denn sie hatte unbestreitbare Vorteile. Durch die steilen Böden standen sich die einzelnen Rebstöcke nicht im Licht, jeder wurde über weite Teile des Stammes und der Traubenzone von der Sonne beschienen und konnte so die nötige Reife erreichen, um am Ende als Spätlese oder Auslese in die Flasche zu kommen. In der Flachlage kommt dagegen die Sonne nur von oben, früher ein Hindernis um zur Reife zu kommen, heute ein Vorteil weil Schatten wichtiger geworden ist. Stichwort: Sonnenbrand, den auch Trauben erleiden können.

Direkt im Weinberg bei der Arbeit erreichen wir Alexander Loersch, Chef des acht Hektar grossen Weinguts gleichen Namens. Er steht direkt im Weinberg, in der Trittenheimer Apotheke. Er muss vereinzelt Reben nachpflanzen, die Laubarbeit fängt an, alles in 100 Prozent Handarbeit. Er sieht die Zukunft der Steillage weniger kritisch, vor allem an der Mosel, die zu den nördlichen, somit kühleren Anbaugebieten gehört. Er sagt: «In den Steillagen wachsen einfach die besseren Weine, wir sind in den letzten Jahren trotz des wärmeren Wetters nicht in Oechslegraden geschwommen. Zum Beispiel war es 2021 mehr als schwierig, Spätlesen oder Auslesen zu bekommen. In den flacheren Lagen der Mosel war das gar nicht möglich». An der Mosel spielt die Klimaerwärmung den Winzern also eher in die Hände.

Aber einfach ist es auch für sie nicht. Denn der Arbeitsaufwand in der Steillage ist auch hier deutlich höher, zusätzlich gibt es weniger Ertrag als in der Flachlage. «Im Prinzip müssten wir in den extremen Steillagen den zehnfachen Preis pro Flasche Wein bekommen. Aber das zahlt ja keiner», sagt Loersch. Ohne die Leidenschaft für den Beruf geht das nicht. Denn die Lohnkosten steigen ständig, auch bei Saisonarbeitern. Um den Winzern an der Mosel zu helfen, fördert das 3 4 «Den Stettener Stein riecht man drei Meter gegen den Wind wenn er im Glas ist. Auch das ist einer der Gründe, warum ich regelrecht vernarrt in diese Lage bin.» Ludwig Knoll, Weingut Am Stein, Würzburg Land Rheinland-Pfalz ihre Arbeit mit einem Steillagenförderprogramm. Je nach Neigungswinkel der Lage erhalten die Winzer 765 Euro bis 2555 Euro pro Hektar. Das ist aber gebunden an Auflagen. Es müssen erosionshemmende Massnahmen durchgeführt werden, beim Rebschutz dürfen nur raubmilbenschonende Spritzmittel angewendet werden. Immerhin: Zusätzlich werden bei der Sanierung von Trockenmauern bis zu 70 Prozent der Kosten übernommen. Das klingt auf den ersten Blick nach viel Geld, umgerechnet auf die Arbeitsstunden, ist aber nicht mehr als ein Tropfen auf den heissen Stein, um im Bild zu bleiben. Alexander Loersch ist dennoch optimistisch: «Man kann den Kunden den Wert der Steillagenweine schon vermitteln, vor allem wenn sie hier vor Ort sind. Wer einmal oben in der Trittenheimer Apotheke stand, versteht recht schnell, warum die Flasche Wein von dort soviel kostet wie sie kostet». Trotzdem ist auch an der Mosel das Thema Zukunft der Steillage omnipräsent.

Es werden jedes Jahr Weinberge verkauft oder verpachtet, es gibt nicht wenige Winzer die aus Altersgründen aufgeben. Aber in der Region sind alle Weinberge, ganz gleich wie steil, immer noch bewirtschaftet. Vor allem in den Kernlagen an der Mittelmosel. Und wenn sie verkauft werden, dann auch zu guten Preisen. «Die Mosel schafft es immer», ist Loersch überzeugt.

Im Ländle ist die (Steil)-lage schwieriger

Sehr viel komplizierter ist die Situation in Württemberg. Auch hier gibt es viele Steillagen, auch wenn sie nicht so bekannt wie jene an der Mosel sind. Dabei ist entlang des Neckars, südlich von Heilbronn, die Landschaft ähnlich dramatisch. Steilste Hänge, jahrhundertalte Terrassen, grosse Tradition. Gerade den kulturhistorischen Wert sieht Lisa-Marie Blatt von zentraler Bedeutung. Sie ist nach dem Studium in Geisenheim in den elterlichen Betrieb in Brackenheim eingestiegen. Neben der Arbeit im Familienweingut hat sie eine Stelle an der Staatlichen Lehr- und Versuchsanstalt für Wein- und Obstbau (LVWO) in Weinsberg und forscht zu herbizidfreier Unterstockarbeit in der Steillage. Hier sollen praxisnahe Alternativen erarbeitet werden, die den Winzern die Arbeit erleichtern sollen. Sie arbeitet mit bodendeckenden Pflanzen wie Thymian, um so andere Pflanzen am Wachsen hindern. Aber es ist ein hoher Arbeitsaufwand nötig, bis eine Rebfläche so bewachsen ist. Wie so oft, ist auch das wieder eine Kostenfrage. Für Lisa-Marie Blatt sind terrassierte Steillagen wie jene in Lauffen «architektonische Wunderwerke», schliesslich findet man im Weinberg bei den Arbeiten immer wieder Steine mit Jahresangaben von 1740 oder ähnliches. «Das sollte man bewahren», sagt sie, «wir lassen ja auch keine Kirchen oder Schlösser verfallen. Und die Winzer damit allein zu lassen ist keine Lösung, denn über den Preis lässt sich der Aufwand zur Erhaltung nicht abbilden».

«Vinologisch wird es mit den derzeit gepflanzten Rebsorten in der Steillage schwierig. Aber andere Rebsorten sind geschmacklich vom Kunden noch nicht akzeptiert.»

Lisa-Marie Blatt, Weingut Blatt, Württemberg

Das ist in Württemberg ein ganz reales Problem, hier werden viele Weingärten aufgegeben, was nicht zuletzt an der im Vergleich sehr viel kleinteiligeren Struktur liegt. Die in Genossenschaften organisierten Winzer haben im Schnitt rund einen bis zwei Hektar Rebfläche. Bei den Preisen, die sich aktuell für ihre Trauben erzielen lassen, sind kaum die Kosten für den Traktor zu decken. Aufgelassene Rebflächen sind daher ein ganz reales Problem entlang des Neckar, mit allen verbundenen Folgen.

Denn unbewirtschaftete Flächen verbuschen schnell, in die daneben liegenden, noch in Bewirtschaftung befindlichen Anlagen, muss beim Pflanzenschutz deshalb deutlich mehr Arbeit investiert werden. Eine negative Spirale, die sich kaum brechen lässt. «Wenn links und rechts alles verwildert ist, steigt der Arbeitsaufwand immens. Ohne den Verbund mit den Nachbarn geht es nicht», fasst Lisa-Marie Blatt das Problem zusammen. Dazu kommt auch noch das psychologische Moment. Es demotiviert jeden Winzer, wenn man kämpft und kämpft und doch nicht voran kommt beim Pflanzenschutz. «Am Schönsten wäre es natürlich, wenn man die wirtschaftliche Basis der Weingüter über die Wertschätzung der Kunden abbilden könnte. Aber das ist unrealistisch. Da ist die Allgemeinheit gefordert. Schliesslich ist der Weinbau ja auch für den Tourismus wichtig.»

Dass die Steillage ein echter USP – unique selling point – und somit unverzichtbar für den deutschen Wein ist, davon ist Franz Wehrheim überzeugt. Im VDP hat er eine besondere Funktion, er ist Vorsitzender des Arbeitskreises Nachhaltigkeit. Er hat es immerhin schon geschafft, dass eine Stelle im Verband zum Thema geschaffen wurde. Sein eigener Betrieb ist seit 2017 als biodynamisch arbeitend zertifiziert, auch er hat diverse Steillagen im Portfolio. Vor allem den Kastanienbusch, eine der besten und bekanntesten Lagen der Pfalz. Obwohl rechtlich gesehen eine Steillage, ist in guten Jahren hier der Maschineneinsatz möglich, dann kommt Wehrheim auf etwa 900 Arbeitstunden im Jahr. Aber in feuchten Jahren, wenn der Boden das Befahren nicht zulässt, ist der Pflanzenschutz nur von Hand möglich.

«Ich kann von einem Moselaner Betrieb einfach nicht das gleiche Verständnis beim Thema Pflanzenschutz erwarten, wie etwa von einem Kollegen in der Flachlage in Rheinhessen. Steillagen sind wesentlich komplexere Gebilde.»

Franz Wehrheim, Weingut Wehrheim, Pfalz

Entsprechend höher ist die Arbeitsleistung. Dazu kommt, dass im Bioanbau grundsätzlich 20 bis 30 Prozent weniger Ertrag die Regel sind. Zwei Parameter, die klar machen, warum die Weine aus dieser Lage nie «billig» sein können. Im Kastanienbusch läuft das wenige Wasser relativ schnell wieder ab, die dünne Humusschicht auf den Schieferböden kann nicht viel Feuchtigkeit halten. Immerhin ist es relativ kühl durch die Höhe von 330 Metern, zudem sorgt der Wald am Rand dafür, dass es selten wirklich heiss wird. Trotzdem sagt auch Wehrheim ganz klar: «Nur Steillage wäre betriebswirtschaftlich nicht realistisch».

Zudem ist es nicht nur eine wirtschaftliche Frage, es geht auch um die körperliche Belastung durch die zwingend notwendige Handarbeit. Das spürt man vor allem bei den immer notwendigen Nach- oder Neupflanzungen. Das ist nur in geringem Masse möglich und eher kosmetischer Natur. 0,25 oder 0,5 Hektar im Jahr kann man mal neu pflanzen, mehr geht körperlich einfach nicht. Hier sieht er auch die zukünftigen Herausforderungen für die Steillage. Ob eine Lage kühl oder heiss ist, liegt eben nicht nur an der Steillage selber oder der Expostion der Rebstöcke. In den kühlen Steillagen kommen aus seiner Sicht die Rieslinge schon sehr gut zurecht. Das Problem ist weniger die Hitze, es ist einfach zu lange trocken. Die Wetterextreme sind die eigentliche Herausforderung. Einige Lagen wird man sicher überdenken müssen, er glaubt zum Beispiel, dass im Reiterpfad der Riesling irgendwann verschwinden wird.

Da wird von den Kollegen schon heute eher Spätburgunder gepflanzt. Denn dass die Steillage eine Zukunft hat, ja, haben muss, steht für ihn ausser Frage. «Wenn ich an die Mosel fahre, beeindruckt mich das schon. Der Wein und die Landschaft erzählen auch eine Geschichte. Und deshalb sollten man das auch erhalten». Eine Möglichkeit wäre es, die steilen Lagen sinnvoller zu unterstützen. So werden die Fördermittel der EU im Moment eher noch giesskannenartig verteilt. Und nicht an definierte Parameter gekoppelt wie Landschaftsschutz, Umweltschutz oder Nachhaltigkeit. Und etwas mehr Verständnis innerhalb der Kollegenschaft wäre manchmal wünschenswert. Denn nur wenn auch bei den Winzern in den Flachlagen das Bewusstsein einzieht, dass die Steillagen besonderen Schutz brauchen, kann sich etwas bewegen.

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