Interview mit Laura Paccot

Geosensorik im Rebberg

Text: Anick Goumaz, Fotos: Anne-Laure Seret

Der Burgunder Winzer Henri Jayer war der Wegbereiter einer neuen Ära der Degustation der Gourmets. 30 Jahre später öffnete Jean-Michel Deiss ihm die Türen der Universität Strassburg. Aber auch ausserhalb Frankreichs finden immer mehr Winzer Gefallen an der geosensorischen Methode.


Wann haben Sie zum ersten Mal von geosensorischer Verkostung gehört?

Ich kann mich noch gut daran erinnern, es war im Jahr 2017. Ich hatte das Glück, meinen Vater Raymond zu begleiten, der zu den Rencontres Henri Jayer eingeladen war, die von Jacky Rigaux im Burgund organisiert wurden. Hier kommen 30 bis 40 Winzer zusammen und tauschen sich jeweils über ein anderes Thema aus. Diesmal drehte sich alles um den Schnitt und die Veredelung. Wir diskutierten über die Entwicklung des Geschmacks und stellten die Nase eher in den Hintergrund. Unser Ziel war es, die unterschiedlichen Schnittmethoden im Wein wahrzunehmen. Nachdem ich das erlebt hatte, sah ich Wein mit anderen Augen.

Hat das Ihre Art zu verkosten verändert?

Absolut! Während meines Studiums an der École Hôtelière de Lausanne habe ich gelernt, Weine zu verkosten, indem ich versuchte, die Rebsorte zu identifizieren. Mittlerweile ist mir das völlig egal! Ich suche vor allem die Energie des Weins.

Glauben Sie, dass die geosensorische Verkostung bei Ihnen, die Sie Ihre Weinberge biodynamisch bewirtschaften, besonders gut zur Geltung kommt?

Ja, das trifft bei uns voll und ganz zu. Denn unsere biodynamisch erzeugten Weine sind manchmal etwas zurückhaltender. Ihr Aroma ist nicht darauf ausgerichtet, zu gefallen. Dafür haben sie das Potenzial, ein aussergewöhnliches Mundgefühl zu entwickeln. Die Textur eines Weins wird in erster Linie vom Boden bestimmt, lange bevor die Anbaumethode eine Rolle spielt.

Ihr Weingut ist auch Mitglied des Schweizer Vereins Naturwein, der dazu anregt, Weine zunächst am Gaumen zu erleben, bevor man die Nase benutzt...

Den Mund statt die Nase zu bevorzugen, wie auch bei der Geosensorik, ist eine gute Idee bei der Verkostung von Naturweinen. Ihnen werden nämlich keine Zusatzstoffe hinzu gefügt, welche die Aromen stabilisieren. Es ist gut, sich bei der Verkostung solcher Weine auf den Geschmackssinn zu konzentrieren.

Wie Jean-Michel Deiss sind auch andere französische Winzer zu Botschaftern der geosensorischen Verkostung geworden. Warum ist das in anderen Ländern wie der Schweiz nicht so verbreitet?

Gute Frage... Soweit ich weiss, interessieren sich auch unsere Nachbarn Raoul und Catherine Cruchon sowie Marie-Thérèse Chappaz dafür. Die Bewegung kommt aus dem Burgund, wo historische Dokumente das Wissen der Gourmets belegen. Elsässische Weinliebhaber engagierten Historiker, die beweisen konnten, dass auch in ihrer Region Gourmets tätig waren. Vielleicht könnten auch Schweizer nach Spuren von früher aktiven Gourmets in den schweizerischen Weinbergen suchen.

Einige Winzer, die von der geosensorischen Verkostung überzeugt sind, wie Jean-Michel Deiss, verwenden eine ganz eigene Sprache, um ihre Weine zu beschreiben. Ist das bei Ihnen auch so?

Das ist ja lustig, dass Sie davon sprechen, denn es ist in Planung! Tatsächlich schätzen wir die Verkostungsnotizen von Jean-Michel Deiss sehr.

Ist die geosensorische Verkostung eine interessante Methode, um Ihre Weine und Schweizer Weine allgemein zu verstehen?

Auf jeden Fall. Unser Weingut Domaine La Colombe vinifiziert fünf Chasselas-Parzellen. Da Chasselas nicht besonders aromatisch ist, lege ich beim Vergleich vor allem Wert auf den Geschmackssinn. Wie bei den Aromen schmeckt jeder Verkoster etwas anderes. Da wir gemeinsam verkosten, können wir ein universel-les Vokabular für die Beschreibung des Geschmackssinns entwickeln.

Ist die analytische Verkostung, die auf Aromen basiert, überholt?

Wie Jacky Rigaux betont, muss man diese Aussagen relativieren. Wir stellen nur fest, dass die Aromen und damit der Geruchssinn zu viel Raum eingenommen haben. Manche Verkoster machen kaum mehr, als ihre Lippen mit dem Wein anzufeuchten! Darüber hinaus kann man die Aromen eines Weins während der Weinbereitung manipulieren. Dies ist bei Texturen weitaus weniger der Fall. 

vinum+

Weiterlesen?

Dieser Artikel ist exklusiv für
unsere Abonnenten.

Ich bin bereits VINUM-
Abonnent/in

Ich möchte von exklusiven Vorteilen profitieren