Weingut Kühling-Gillot, Rheinhessen

Paarlauf in der Kür

Text: Ursula Geiger, Fotos: z.V.g.

Sie sind innovativ und setzen ihre Visionen blitzschnell um. Carolin und Hans Oliver Spanier haben das Image der Weinregion Rheinhessen mächtig aufpoliert. Die beiden Winzerpersönlichkeiten bereiten gemeinsam die grosse Bühne für ihre besten Lagen.

Bodenheim ist ein kleines Städtchen unweit der Stadt Mainz. Der beschauliche Weinbauort markiert das Tor zur Rheinterrasse, wie die steilen Hängen am linken Rheinufer genannt werden. Herzstück dieser Kulturlandschaft, die vor 280 Millionen Jahren durch den Einbruch des Rheingrabens entstand, ist der Rote Hang, der sich gen Süden bis Nierstein erstreckt. Hier tritt das Rotliegende an die Oberfläche. Das rötliche Gesteinsband aus eisenhaltigem Tonschiefer und Sandsteinverwitterungsböden ist ein Spitzen-Terroir für Riesling. Hier bewirtschaftet das Weingut Kühling-Gillot Rebberge in Spitzenlagen wie Ölberg, Hipping oder Pettenthal. Carolin Spanier-Gillot führt seit 2002 das Gut, das traditionell immer an die Töchter der Familie weitergegeben wird. Ein Stück weiter südlich, in Hohen-Sülzen im Wonnegau, gründete Hans Oliver Spanier 1991 das Weingut Battenfeld-Spanier. Die Liebe machte 2006 aus beiden Gütern eine Zweierkiste, die bestens funktioniert. Heute bewirtschaftet das Power-Paar gemeinsam 52 Hektar Reben. Innerhalb dieser Fläche befinden sich neun vom VDP klassifizierte Grosse-Gewächs-Lagen. Carolin und Hans Oliver Spanier stehen für Weine, die das Terroir im Glas deutlich zeigen.

Wonnegau und Rheinterrasse: Das bedeutet Kalkböden und Rotliegendes, den Wechsel vom kühleren Klima zu dem wärmeren Roten Hang über dem Rhein. Die Wasserader Europas ist hier breit und die Binnenschiffe tuckern gegen die Strömung an oder rauschen rheinabwärts gen Rotterdam ohne viel Mühe dahin. Die Rheinlandschaft, der Rote Hang, das ist Carolins Domäne. In dessen Spitzenlagen war sie schon als Kind unterwegs, hat ihren Eltern Gabi und Roland Gillot im Wingert geholfen und dabei die Schönheit und den Duft der Landschaft zu jeder Jahreszeit aufgesogen. Das prägt.


Naturmensch und Gastgeberin

Heute bezeichnet sie sich als Naturmenschen: «Dabei wollte ich als Teenager lieber Gastgeberin werden. Meine Eltern führten eine Strausswirtschaft – und ich fand die Gastronomie spannender als die Arbeit in Weinberg und Keller.» Doch weil das Weingut immer an die Töchter weitergegeben wird, ist der Werdegang nachfolgender Generation vorbestimmt: Die Jungs studierten Jura, die Mädchen lernten, wie man den Betrieb führt. Also schloss Carolin 2002 ihr Studium Weinbau und Önologie an der Wein-Uni in Geisenheim ab und übernahm die Leitung von Kühling-Gillot. Auslandserfahrungen sammelte sie im Praxissemester. 2001 arbeitete sie bei drei Weinernten mit: Erste Station war die Domaine des Comtes Lafon im Burgund, dann folgte die Ernte zuhause im rheinhessischen Bodenheim und den Schlusspunkt setzte sie im Weingut Robert Weil im Rheingau. «Prägend war für mich die Arbeit bei Comtes Lafon. Die Biodynamie faszinierte mich. Auch das französische Savoir-vivre hat mich beeindruckt. Jeden Mittag gab es ein Vier-Gänge-Menü und zum Abschluss noch Käse. Man arbeitete zwei Wochen Vollgas und dann waren Pinot Noir und Chardonnay im Keller.» Die Biodynamie hat Carolin Spanier gleich doppelt erwischt. Mit der Ernteschere in der Hand im Burgund und durch Amors Pfeil, als sie Hans Oliver Spanier kennenlernte.

«Mir geht jedes Mal das Herz auf, wenn ich mit meinem Mann in unsere Weinberge fahre.»

Dieser bewirtschaftet seine Reben im Wonnegau seit 1993 biologisch. Damit war Spanier mit einer der ersten Winzer Deutschlands, 
die sich mit der Alternative zu synthetischen Düngern und Pestiziden beschäftigten. In letzter Konsequenz wechselte er 2005 zur biodynamischen Bewirtschaftung. Die Rebflächen, egal ob im Wonnegau oder in 
den Rheinterrassen, sind «seine Gärten» und eine Fahrt mit dem Jeep durch die Weinberge beider Betriebe, die immerhin 40 Kilometer weit auseinanderliegen, ist für das Paar immer ein Glücksmoment. «Mir geht das Herz auf, wenn ich mit meinem Mann in die Weinberge fahre», sagt Carolin Spanier. Die Weinbergsarbeit ist das A und O für das Paar. Die biodynamische Bewirtschaftung fördere die Selbstgesundung der Reben und die Ertragsregulierung erfolge natürlich und sei enorm. Dem Klimawandel wird im Weinberg die Stirn geboten: «Im Frühjahr bringen wir Stroh aus, um das Verdunsten der Winterfeuchte zu verhindern. Zudem entlauben wir während der Blüte, damit sich die Trauben an Wärme und Sonne gewöhnen. Teils verrieseln die Beeren, die Trauben sind weniger dicht gepackt. Für uns ist das kein Ertragsverlust, sondern ein Gewinn, denn Lockerbeerigkeit garantiert gesundes Lesegut.» 

Naturmensch und Winzerin, Geschäftsfrau, Gastgeberin und Mutter von zwei Söhnen im Alter von zehn und zwölf Jahren. Die Aufgaben der energiegeladenen Frau sind mannigfaltig. Mal ist sie in China, dann reist sie mit ihrem Mann, der Mitglied der «Académie International du Vin» ist, zu einem Symposium nach Lyon. Oder sie spricht mit den Importeuren in den USA – seit Trump deutsche Weine mit einem Schutzzoll von 25 Prozent belegte, steht das Telefon in Bodenheim nicht mehr still. 
Die Gastgeberin Carolin Spanier wirkt seit 2016 in der Vinothek in Bodenheim, einem kühnen Bau aus Wänden aus geschliffenem Kalk, der sich diskret in das Ensemble der Jugendstil-Villa samt Park mit altem Baumbestand einfügt. Hier trifft sich die Weinwelt zu den Genussevents von Liquid-
Life. Spitzen- und Sterneköche schwingen dann die Kelle, Sommeliers aus ganz Europa treffen sich hier und bringen ihre Lieblingsweine mit. Man isst und trinkt gemeinsam, tauscht sich aus und diskutiert über Wein und die Welt. Viel Inspiration lässt sich daraus schöpfen.

Seit April 2019 wird der neue Reifekeller in Hohen-Sülzen gebaut. Auf 1500 Quadratmetern werden hier die Weine von den Rheinterrassen und dem Wonnegau reifen. «Ein wichtiger Entscheid für die Zukunft, denn viele Gastronomen haben heute keine Lagermöglichkeit mehr. Unsere Weine sind aber auf Reife ausgelegt und wir möchten, dass unsere Weine trinkreif sind, wenn sie ausgeschenkt werden», sagt Carolin Spanier und zeigt damit einmal mehr, dass sie eine Meisterin ist: Als Geschäftsfrau, Winzerin, Gastgeberin und Mutter, die die Tradition der weiblichen Linie im Hause Kühling-Gillot durchbricht und gemeinsam mit ihrem Mann die Weichen für die Jungs gestellt. 

Weine im Clubpaket

Nierstein Riesling VDP.Aus Ersten Lagen 2018

2020 bis 2027

Nur Trauben aus Ersten und Grossen Lagen werden für diesen Wein verwendet. Diskret in der Nase, Quitte, etwas Birnenhaut, dann warmer, nasser Stein. Komplexität am Gaumen, straffer Säurenerv, hervorragende Länge.

Mariage: passt zu den typischen Gerichten einer Strausswirtschaft: Spundekäse mit Zwiebeln sowie «Weck un Worscht» (Brötchen mit Fleischwurst).

 

Niersteiner Ölberg Riesling VDP.Grosses Gewächs 2018

2021 bis 2032

Der Ölberg ist die südlichste Lage des Weinguts am Roten Hang. Gelb mit grüngoldenen Reflexen. Ein Hauch Honigmelone, dann gelbfleischige Frucht und zarte Blütennoten. Dichtgewoben, geschmeidig und unendlich lang am Gaumen.

Mariage: verträgt kräftige Speisen, Schweinelende mit Rahmsauce und Kräuternudeln, Rigatoni mit Pilzen.

 

Bodenheim Spätburgunder VDP.Ortswein 2016

2020 bis 2025

Leuchtendes Rubin. Saftige Weichselfrucht in der Nase, ein Hauch von Gewürznelken. Elegant und hervorragend strukturiert.

Mariage: zu Schmorbraten, Wildschweinkeule, zu gebratenem Geflügel oder einfach zu einem Schinkenbrot.