Winzerlegende Jean Berthet-Bondet, Jura

Ich bin ein alter Grüner!

Text und Bild: Rolf Bichsel

Jean Berthet-Bondet ist wunschlos glücklich. In nur 30 Jahren hat der ehemalige Grüne und Wein-Quereinsteiger es geschafft, eine Domäne von Weltruf aufzubauen. Er gehört nicht nur zu den wichtigsten Produzenten von Château Chalon, einer gesuchten Rarität, sondern auch von anderen flüssigen Jura-Spezialitäten.

Er spricht mit leiser Stimme. Im unverkennbaren, singenden Akzent des Jura. «Ein Porträt? Über mich? Ich verdiene so viel Aufmerksamkeit doch gar nicht», sagt er ohne jede Koketterie. Dreissig Jahre Winzerkarriere kommentiert er mit einem Schulterzucken. «Ich wollte im Grünen leben. In der Natur. Und eigenhändig etwas schaffen.» Voilà, so einfach ist das. 

Dass Jean Berthet-Bondet zu den Winzerlegenden der Welt gehört, zu den Magiern eines geheimnisvollen Zaubertranks namens Vin Jaune, zu einem der grossen Namen in Château-Chalon, bekannt für besonders komplexe, elegante Kreszenzen, scheint nur einen nicht besonders zu interessieren: Jean Berthet-Bondet. Mag sein, dass seine Lebensgeschichte, seine Karriere als Winzer für einen Mann seiner Generation nicht ungewöhnlich sind. Aus heutiger Sicht betrachtet sind sie es schon. 

Jean Berthet-Bondet wuchs in Oyonnaz auf, einer kleinen, unscheinbaren Industriestadt ganz im Süden des Jura. Ein Grossvater war Drechsler, der andere Kammmacher, Berufe mit Tradition in dieser Region. Als Holz und Horn durch Plastik ersetzt wurden und Oyonnaz sich nach und nach in eine Kunststoffmetropole verwandelte, etablierte sein Vater sich als Brillenfabrikant. Seine BBSol-Brillen hatten einigen Erfolg auf dem Markt, nicht zuletzt, weil die Initialen der Familie auch auf einen absoluten Star der damaligen Zeit zutrafen: BB (Bébé) für Brigitte Bardot. 

Mit der Plastikwelt konnte sich der 18-jährige Jean («Ich galt als Träumer und Idealist», gesteht er lächelnd und mit einer Spur Wehmut in der Stimme, wie sie vielen Post-Achtundsechzigern eigen ist) wenig oder gar nicht identifizieren. Schon eher mit dem Handwerk seiner Vorfahren. In seinem Empfangsraum ist bis heute eine Sammlung von Utensilien untergebracht, eine alte Drehbank und einige Fabrikate, die aus der Werkstatt seines Grossvaters stammen. Er hat sogar selber etwas drechseln gelernt, bei einem Cousin, der das Handwerk weiterführt. Doch «ich habe zwei linke Hände», gesteht er. Als Handwerker hatte er keine Zukunft. Was sollte bloss aus dem Jungen werden? 

1974 nahm zum ersten Mal ein Kandidat der Grünen an den französischen Präsidentschaftswahlen teil: der Agronom und Autor René Dumont, der sich in Indochina für die Verbesserung des traditionellen Reisanbaus einsetzte, und dank Werken wie «Misère et Chaumage» (Not und Arbeitslosigkeit), «Pauvretés et inégalités en Afrique de l’Ouest francophone» (Armut und Ungleichheit im französischen Westafrika) oder «Pourquoi les écologistes font-ils de la politique» (Warum die Grünen Politik machen) zum Vordenker der grünen Bewegung in Frankreich wurde. Seine Thesen stiessen bei Jean Berthet-Bondet auf fruchtbaren Boden. Er trat in seine Fusstapfen und studierte Agronomie. «Ich fühlte mich vor allem als Altermondialist. Der Agronom René Dupont, der sich schon früh für die Dritte Welt engagiert hatte, interessierte mich stärker als der Umweltschützer», kommentiert er seinen damaligen Entscheid. Seinen damals noch obligatorischen Militärdienst tauschte er gegen einen Studienaufenthalt in Nepal ein. Er arbeitete über ein Jahr in einem kleinen Dorf in der Nähe von Kathmandu an der Verbesserung der Praktiken der Viehzucht, mit Zebus, Schafen und Ziegen. «Eine Erfahrung, die mich enorm geprägt hat. Ich war mit Menschen in Tuchfühlung, die trotz äusserster Armut ihre Lebensfreude nicht verloren hatten, Menschen, die so nichts von der blasierten Art unserer verwöhnten westlichen Gesellschaft hatten.» 

Nachdem er seine Erfahrungen in Nepal und seine Diplomarbeit abgeschlossen hatte, galt es, sich nach einem Job umzusehen. Eins war für ihn klar: Er war kein Städter. Er wollte auf dem Land leben, im engen Kontakt mit der Natur. Doch Viehzucht kam hier in Frankreich nicht in Frage, davon konnte man nicht leben, ohne Verrat an einer gewissen ökologischen Vision zu begehen. Eine andere Erfahrung kam da wie gelegen. Sein Vater war ein grosser Weinliebhaber und interessierte sich nicht zuletzt für die Weine des Jura. Zur Konfirmationsfeier des jungen Jean hatte er einen alten Château-Chalon geöffnet. «Ein unvergessliches Erlebnis.» Und da war auch dieses Buch, das er während seiner Studienzeit in Montpellier verschlugen hatte: L’Espagnol von Bernard Clavel. Es erzählt die Geschichte von Pablo und Enrique, zwei Spaniern, die vor dem Bürgerkrieg flüchten und im jurassischen Revermond Unterschlupf finden, dem Land des «Vin Jaune», des gelben Weins. Sie nehmen an der Weinernte teil und entdecken die Mühsal der Winzer, die durch die steilen Hänge stampfen, durch die schwere, feuchte Erde, die an den Stiefeln hängen bleibt und jeden Schritt zur Tortur werden lässt. Pablo, der Spanier, findet hier trotz aller Mühsal seine Hoffnung und Zuversicht wieder. Warum sollte Jean nicht Winzer werden, im grünen, hügeligen Jura? Er sah sich in Arbois um, interessierte sich für Château-Chalon. Den endgültigen Entscheid traf er nach einem Jahr als Mitarbeiter von Altmeister Jean Macle, einem der grossen Winzer des Jura (Domaine Jean Macle, heute von Sohn Laurent geführt). 

Ende 1984 war es so weit: Chantal, seine Frau, die ebenfalls Agronomie studiert hatte, aber immer ausserhalb der Domaine arbeiten sollte, im französischen Landwirtschaftsministerium, und Jean konnten in Château-Chalon ein altes Haus aus dem 16. Jahrhundert erwerben, das einst einem Verwalter der Abtei des Dorfes gehört hatte. Es besass nicht nur genügend Raum, um eine Kellerei aufzubauen, sondern verfügte auch über einen kleinen unterirdischen Keller, den Jean später vergrössern konnte. «Château-Chalon liegt auf einem Kalkplateau über den Reben. Die Keller sind hier nicht sehr tief, ganz einfach, weil man beim Graben rasch einmal auf eine fast undurchdringliche, harte Kalkschicht stösst. Sie sind folglich trocken und stärkeren Temperaturschwankungen ausgesetzt. Doch das macht sie besonders geeignet zum Ausbau von oxydativen Weinen wie dem Vin Jaune. Die Hefen finden hier ein ideales Milieu zum Entwickeln des ominösen Schleiers, der sich über dem Wein bildet und die Oxidation reguliert.» 1965 war der neue Wohnsitz der Berthet-Bondets ferner Kulisse des Fernsehfilms l‘Espagnol des Regisseurs Jean Prat nach einem Roman von Bernard Clavel. Der Kreis schloss sich so fast von selber. Nach dem Tod des Industriellen und Winzers Comte de Grivelle de Montblanc standen dessen Reben zum Verkauf: Die Berthet-Bondets konnten knapp vier Hektar der Erbmasse erwerben. Ein Glücksfall, denn in der heute nur 60 Hektar grossen Appellation sind Transaktionen selten. 

1985 war ihr erster Jahrgang. «Wir hatten weiter Glück, es handelte sich sowohl mengenmässig wie qualitativ um ein gutes Jahr, das einfach zu vinifizieren war.» Jean spezialisierte sich vorerst ausschliesslich auf das Keltern von oxidativen Weinen (Château-Chalon und Vin Jaune). Erst später verlegte er sich auf die Produktion von «Vins Ouillés», wie das im Jura heisst. Ouiller bezeichnet das Auffüllen der Fässer, was verhindert, dass Weine oxidieren, aber auch, dass sich ein Hefeschleier bilden kann. Anderswo gilt das als die traditionelle Methode, im Jura ist sie die Ausnahme, auch wenn diese zunimmt. «Als Winzer muss man sich stetig weiter entwickeln, nach neuen Herausforderungen suchen. Was mir an den nicht oxidativ ausgebauten Weinen gefällt, ist ihre pädagogische Seite. Die Produktion eines Vin Jaune ist eine Praktik, eine Methode. Terroirunterschiede gehen dabei praktisch verloren. Reduktiv ausgebaute Weine illustrieren, wie unterschiedlich unsere lokale Sorte Savagnin je nach Terroir ausfällt. Das gefällt mir.»

«In unseren unter Luftabschluss ausgebauten Weinen (Vins Ouillés) kommt der Faktor Terroir besser zum Ausdruck. Das mag ich.»

2010 liess sich Jean Berthet-Bondet auf eine weitere Herausforderung ein: den biologischen Anbau. «Trotz meiner Vergangenheit als Grüner haben wir 1985 traditionell begonnen.» Bei Jean Macle, der damals mit biologischem Anbau experimentierte, hatte er hautnah miterlebt, wie kompliziert diese Praktik hier im Jura mit seinem kühlen, feuchten Klima und damit schwer zu bestellenden Böden und oft sehr steilen Lagen war. Er wollte kein Risiko eingehen und arbeitete wie seine Nachbarn, wenn auch mit einem gewissen Bedauern. In den 1990er Jahren liess er dann wenigstens die Pestizide fallen und stellte auf integrierten Anbau um. Doch seit vier Jahren arbeitet er, nach drei Jahren obligatorischer Konversion, zertifiziert biologisch. «Ich behaupte nicht, dass uns die Umstellung leicht gefallen ist. Sie macht uns Probleme bis heute. Klar, wenn ich im Languedoc Wein anbauen würde, wäre alles viel einfacher als hier. Doch ich bedauere unseren Schritt nicht. Es kann auf Dauer einfach nicht so weitergehen mit unserer Umwelt.»

Mit seinen 62 Jahren kann Jean Berthet-Bondet auf dreissig Jahre Winzerkarriere zurückblicken, die wie im Flug vergangen sind. Wie sieht er seine Zukunft? «Keines unserer drei Kinder hat sich ursprünglich für den Weinbau interessiert. Sie haben andere Karrieren eingeschlagen. Meine Tochter arbeitete als Übersetzerin in Brüssel. Doch plötzlich begann sie unter dem Stadtleben und der Routine zu leiden. 2013 hat sie sich entschlossen, hier im Betrieb einzusteigen und hat parallel dazu ihr Brevet in Önologie und Weinbau gemacht. Für die Nachfolge ist folglich gesorgt.» 

Gibt es etwas, was Jean Berthet-Bondet bedauert in seinem erfolgreichen Leben als Winzer? Langes Schweigen. Dann die Antwort, eher aus Höflichkeit gegeben, denn aus Überzeugung: «Ein paar Rebparzellen, die mir vor der Nase weggeschnappt wurden, ein paar Vinifikationsfehler, die ich hätte vermeiden können…» Nein, eigentlich ist Jean Berthet-Bondet zufrieden mit seiner Karriere. Er hat auch allen Grund dazu.

Eleganz und Klasse zeichnen alle BB-Weine aus, ob Rot, ob Weiss, ob Côtes de Jura oder Château-Chalon. 

Domaine Berthet-Bondet

Trio 2016
Côtes du Jura 

16 Punkte | 2018 bis 2020 

Rotweincuvée aus den drei Sorten Pinot Noir, Trousseau und Poulsard; komplexe, fruchtig-würzige Aromatik, geschmeidiger Bau, besitzt Eleganz und Frische. 

Domaine Berthet-Bondet

Savagnier 2016
Côtes du Jura

17 Punkte | 2018 bis 2022 

Lagencuvée aus 100 Prozent Savagnin, temperaturkontrolliert vinifiziert und zwölf Monate unter Luftabschluss im Stahltank auf der Feinhefe ausgebaut; verführerische Aromatik von exotischen Früchten, Grapefruit, Limone; von frischem, schlankem Bau, spürbare Rasse, präziser Ausdruck, Spannung und Länge. 

Domaine Berthet-Bondet

Balanoz 2016
Côtes du Jura

17 Punkte | 2018 bis 2024 

Parzellencuvée aus 100 Prozent Chardonnay, unter Luftabschluss und mittels regelmässiger Batonnage zwölf Monate in der Eiche ausgebaut; komplexe, noch zurückhaltende, würzig-fruchtige Aromatik, voller Bau, dicht, sehnig gar, mit langem, saftigem Finale. 

Domaine Berthet-Bondet 

Tradition 2014
Côtes du Jura

17 Punkte | 2018 bis 2028

Zwei Jahre oxidativ unter Hefeschleier ausgebaute Assemblage von Savagnin und Chardonnay; zu Noten von frischem Obst gesellen sich die klassischen oxidativen Aromen von Haselnuss und Butter, geschmeidig und würzig im Mund, elegant, voll und lang. 

Domaine Berthet-Bondet 

Savagnin 2012
Côtes du Jura

17.5 Punkte | 2018 bis 2028

Drei Jahre oxidativ unter Hefeschleier ausgebauter Wein aus 100 Prozent Savagnin; die Aromatik ist deutlich würzig, die herrlichen Rancionoten von Walnuss, Pekanuss, Steinpilz überwiegen; von besonderer Komplexität auch im Mund, füllig, ohne schwerfällig zu wirken, lange anhaltend, superb.

Domaine Berthet-Bondet

Château-Chalon 2010

19 Punkte | 2020 bis 2040 

Mehrere Jahre oxidativ unter Hefeschleier ausgebaut und sieben Jahre nach der Ernte abgefüllt; umwerfende Aromatik mit Noten von Nüssen, kandierten Früchten, Kakao und Pilzen; beeindruckend dicht und lang, imposant gar, aber auch mit besonderer Finesse und Eleganz trotz der Fülle, die Art von Wein, die fast ewig reifen kann. 

Domaine Berthet-Bondet

Château-Chalon 2000

19 Punkte | 2018 bis 2030

Die herrlich komplexe Aromatik des ausgereiften Vin Jaune; grosse Eleganz und Finesse, gleichsam seidiger Bau, erstaunliche Frische im Finale; herrlicher Wein auf seinem Höhepunkt, den er noch viele Jahre halten wird. 

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