Winzerlegende aus La Morra

Roberto Voerzio ist der Barolo-Tüftler

Text: Christian Eder; Fotos: Christian Eder, z.V.g.

  • Für die Reben nur das Beste: gut durchlüftete Böden und viel Aufmerksamkeit mit bis zu sieben grünen Lesen pro Saison. Das Ergebnis muss nicht nur im Barolo seinesgleichen suchen.

Vollreife dunkelrote Barbera-Beeren in einer kompakten kleinen Traube liegen in Roberto Voerzios kräftiger Weinbauernhand, die sie behutsam wärmend umschliesst. «Das ist die Basis», sagt der Winzer mit einem schelmischen Lächeln, «von hier aus verlangt es Fingerspitzengefühl, man kann nur noch alles verbocken.»

Wir stehen in Pozzo dell’Annunziata, einem Rebberg in La Morras Ortsteil Annunziata, und blicken auf die Hügel der Langhe, einer Hochburg des Barolo. Aber gerade hier – inmitten von Nebbiolo-Reben – lässt Roberto die Reben für seine opulente Barbera d’Alba gleichen Namens wachsen. Der Wein ist eine Hommage an die Zeiten, als in den Rebbergen der Langhe noch Nebbiolo, Dolcetto und Barbera als gleichberechtigte Partner wuchsen. Heute ist – aus ökonomischen Gründen – fast alles in den Händen von Nebbiolo für Barolo (oder Barbaresco).

Mit Pozzo dell’Annunziata beweist Roberto, welches Potenzial damit verloren ging. «Barbera, aber auch Dolcetto, benötigen, um wirklich gross zu sein, die besten sonnenbeschienen Lagen», ist er überzeugt. Ebenso wichtig ist ein geringer Ertrag: Das heisst, nicht einmal ein halbes Kilo Trauben gewinnt er pro Rebe und das mit einer Pflanzdichte von 8000 Reben pro Hektar. Soviel hat kaum jemand im gesamten Anbaugebiet: Seine mit kleinen kompakten Pflanzen bestockten Rebberge in Brunate, Sarmassa oder La Serra unterscheiden sich daher auch auf den ersten Blick von denen der konventioneller arbeitenden Nachbarn.

Die Idee kam ihm, als er sich mit 20 Jahren vor dem Weingut Romanée Conti fotografieren liess. «Bei meiner Tour durch das Burgund habe ich kapiert, wie wichtig das für die Qualität des Weines ist. Je weiter sich ein Trieb vom Stamm entfernt, desto dünnschaliger werden die Beeren, desto mehr Wasser enthalten sie.»

Die für das Piemont ungewöhnlich hohe Pflanzdichte pro Hektar hatte natürlich noch einen zweiten positiven Effekt, gesteht er mit einem Zwinkern: Mit den paar Rebzeilen, mit denen er Mitte der 1980er Jahre begonnen hat, konnte er mehr Wein produzieren.

Begonnen hat alles vor rund 50 Jahren im Keller seines Vaters in La Morra: Roberto und sein älterer Bruder Gianni experimentierten schon damals mit Rebschnitt, Maischestandzeiten und Traubenauslese. Versuchsweise wurden die Weine reduktiv oder oxidativ ausgebaut, lange oder kurz in verschiedensten Fässern gelagert.

In La Serra entsteht der filigranste Baroli

Als beide erkannt hatten, dass die wichtigste Zutat für einen guten Wein der Weinberg war, trennten sie sich: «Wir hatten einfach zu verschiedene Anschauungen», erzählt Roberto heute, «jeder musste seinen eigenen Weg verfolgen.» Von ihrem wichtigsten Rebberg La Serra behielt Roberto knapp 11'000 Quadratmeter, Gianni ein paar weniger. La Serra ist noch heute in 420 Metern Meereshöhe die höchste Lage La Morras und liegt in Südost-Position am Ortsausgang in Richtung Barolo. Einer der filigransten und vielleicht elegantesten Baroli des Anbaugebiets entsteht hier – in warmen Jahren ist er von kaum einem anderen Wein in Robertos Portfolio zu toppen. 1986 war La Serra das Fundament des eigenen Weingutes, das er mit seiner viel zu früh verstorbenen Frau Pinuccia gründete.

35 Jahre danach produziert er in ebenso vielen Rebbergen mehr als ein Dutzend Etiketten, eine Handvoll davon zählen zu den besten Grand Crus des Barolo: Zu La Serra gesellten sich bald Brunate und Cerequio, später Torriglione, Rocche dell’Annunziata, Case Nere oder Fossati. Fast jeder davon war ein Traumrebberg des jungen Roberto: «Alleine in Cerequio Wein zu machen, war von Anfang an mein Herzenswunsch», erzählt er heute, «es war schon damals eine der interessantesten Lagen des Barolo mit einem ganz speziellen Charakter!»

Umgeben von Grössen wie Gaja und Chiarlo

1988 pachtete Roberto Voerzio deshalb die ersten Zeilen in dieser Lage zwischen La Morra und Barolo, heute sind 2,5 Hektar dort unter seiner Obhut: Eine stramme Nebbiolo-Armee – auch hier 8000 Pflanzen pro Hektar – umgeben von Grössen wie Gaja und Chiarlo. In seinen besten Lagen kauft oder pachtet Roberto ständig hinzu, zuletzt in Cerequio und in Fossati. Gerade die Rebberge von La Morra bringen Weine, wie er sie schätzt: «Die Baroli aus diesen Lagen sind sich ähnlich, duftig, aromatisch, fein, seidig.»

«Ab und zu sollte man auch grosse Weine jung trinken, sonst verpasst man die esplosione della gioventù.»

Aber der Kauf eines neuen Rebbergs ist erst der Beginn: Der Bewirtschaftung gehen lange Bodenanalysen voraus. Akribisch ist dann seine Arbeit im Rebberg, jede Pflanze wird als eigene Persönlichkeit wahrgenommen, jede Traube gepflegt und gehegt. Aufgelockertes Erdreich, ein halbes Dutzend grüne Lesen, bei Barbera und Dolcetto ein Ertrag unter einem Kilo, beim Barolo gar nur ein halbes. Das sind fünf winzige Trauben nahe am Stock, die noch einmal vor der Lese halbiert werden. Zur sorgsamen Pflege gehören ausserdem auch Netze in jedem Rebberg, um die Trauben vor Hagel zu schützen.

Auch im Keller herrscht penible Qualität: Schonende Vergärung im Stahl mit sanfter Remontage, das Resultat wird nicht gepresst, sondern es wird der Ablauf verwendet. Neues Holz kommt nur für Barbera zum Einsatz, der Barolo kommt in gebrauchte Fässer. Weil durch die viele Arbeit im Rebberg auch ein paar Wochen früher gelesen werden kann, als bei den Kollegen, glänzen die Weine mit brillanter Säure und extrem feinkörnigem Tannin – das heisst Langlebigkeit pur. Und das, obwohl die Weine schon in jungen Jahren Vergnügen bereiten.

Abgefüllt wird mit Vorliebe in die Magnum: «Sie ist der ideale Ort, um Barolo oder auch Barbera langsam reifen zu lassen», ist Roberto überzeugt, «gerade die Weine aus den grossen Lagen brauchen Zeit.» Bei manchen davon– wie dem Barolo Torriglione oder der Barbera Pozzo dell’Annunziata – verwendet er gar keine 0,75-Liter-Flaschen, sondern ausschliesslich grosse Formate. 

Ein Interpret des Terroirs

Aber vor allem spricht aus jedem seiner Grand Crus sein einzigartiges Anbaugebiet. «Ich bin nur ein Interpret dieses Terroirs», erklärt er mir später, während wir ein gutes Dutzend seiner Weine in seinem grossen, von der Abendsonne durchfluteten Verkostungsraum durchprobieren. «Wir wollen mit jedem Wein immer besser werden, immer noch mehr in Richtung Finezza gehen. Harmonie, Eleganz, Seidigkeit: Ein grosser Wein muss diese Eigenschaften besitzen.» Aber das erreiche man nur durch konsequente Arbeit, fügt er sinnend hinzu: «Zuerst muss man säen, dann kann man in Ruhe ernten.»

Seine Weine soll man sich aber auf keinen Fall auf den Kaminsims stellen, meint er noch, während wir uns durch seinen 2017er Jahrgang probieren. «Ab und zu sollte man auch grosse Weine jung trinken, sonst verpasst man diese esplosione della gioventù.»

Viel Jugendlichkeit hat sich Roberto auch selbst bewahrt, dabei feiert er im kommenden Jahr seinen 70. Geburtstag. Ans Aufhören denkt er aber deshalb noch lange nicht: «Mi diverto, faccio qualche vigneto nuovo – ich vergnüge mich und pflanze ab und zu einen neuen Rebberg.» Viele kleine Projekte liegen noch in der Schublade, von Zeit zu Zeit holt er eines hervor. Mindestens 30 Jahre habe er noch Zeit dafür, sie umzusetzen, meint er. «Wenn ich 95 werde, wie meine Mutter, will ich nicht lamentieren müssen, dass ich zu früh aufgehört und mich ein Jahrzehnt lang nur gelangweilt hätte – selbst wenn mein Sohne Davide eines Tages das Weingut fortführt.»

Denn immer wartet ein noch besserer Jahrgang darauf, abgefüllt zu werden. Wie der 2019er und der 2020er, auf die er sichtlich stolz ist: «Zwei der besten Jahrgänge, seit ich hier auf diesem Planeten lebe.» Das beweist bereits jetzt sein fruchtiger, in Stahl ausgebauter Dolcetto 2019, den wir noch zum Abschluss trinken. Der günstigste Wein im Portfolio, aber einer seiner besten, meint Roberto: «Weinig und süffig, wie ein Wein sein soll, und doch reich in all seinen Facetten.»

Weine wie ein Schweizer Uhrwerk
Die Verkostung

Der Barolo-Jahrgang 2017 war aussergewöhnlich: Fünf Monate ohne Regen, 20 Zentimeter Staub im Rebberg, Sommer in T-Shirt und kurzer Hose. Anfang September waren die Trauben gereift und bereit, gelesen zu werden.

RangBeschreibung
1
19,5/ 20
Punkte
Piemont – Le Langhe, Piemont, Italien
Roberto Voerzio
2
19,0/ 20
Punkte
Piemont – Le Langhe, Piemont, Italien
Roberto Voerzio
3
19,0/ 20
Punkte
Piemont – Le Langhe, Piemont, Italien
Roberto Voerzio
4
18,5/ 20
Punkte
Piemont – Le Langhe, Piemont, Italien
Roberto Voerzio
5
18,5/ 20
Punkte
Piemont – Le Langhe, Piemont, Italien
Roberto Voerzio
6
16,5/ 20
Punkte
Piemont – Le Langhe, Piemont, Italien
Roberto Voerzio

vinum+

Weiterlesen?

Dieser Artikel ist exklusiv für
unsere Abonnenten.

Ich bin bereits VINUM-
Abonnent/in

Ich möchte von exklusiven Vorteilen profitieren