«Der Wein hat mir den Weg gezeigt»
Interview mit Maurizio Zanella
Seit über 40 Jahren gilt der heute 67-jährige Maurizio Zanella als ebenso illustrer wie ansteckend umtriebiger Vorreiter der prickelnden Revolution in der Franciacorta. Dabei wurde er einst in jungen Jahren von seinem Vater gegen seinen Willen ins provinzielle Hügelland zwischen Bergamo und Brescia verbannt. Mit weit- oder besser gesagt weinreichenden Folgen...
Sie haben die Zeit vor, während und nach den 1968er-Studentenunruhen im Schmelztiegel Mailand verbracht, zogen aber schon als 15-Jähriger nach Ca’ del Bosco, dem Landwirtschaftsgut Ihrer Familie. Wussten Sie schon von klein auf, dass die Landwirtschaft und speziell der Weinbau Ihr Ding ist?
Nein, ganz und gar nicht. Ich ging damals ja nicht freiwillig dorthin. Aber das ist eine komplizierte Geschichte…
Können Sie uns eine Kurzversion davon erzählen?
Mailand war damals eine verrückte Stadt. In der Privatschule, die ich zuerst besuchte, wurde ich Linksaktivist, später, in der öffentlichen Schule, schwenkte ich radikal nach rechts. Doch hier wie dort flog ich durch die Prüfungen. Das gefiel meinem Vater, einem Geschäftsmann alter Schule mit Flair für Fleiss und Ordnung, natürlich ganz und gar nicht.
Also schickte er Sie in die Franciacorta?
Nein, zuerst schickte er mich nach Liverpool, wo er als Transportunternehmer eine Niederlassung hatte. Ich verdingte mich als Hafenarbeiter und wohnte auch im Haus der Arbeiter. Nach ein paar Monaten durfte ich zurück, und mein Vater fuhr mich gleich nach Ca’ del Bosco, in das Haus im Wald. Das war damals eine Herzensangelegenheit meiner Mutter Annamaria Clementi. Sie führte das Gut als klassische Fattoria, es gab Hühner, Kühe, Gemüsegärten, Obstbäume und einen kleinen Rebberg hinter dem Haus. Ich wohnte also fortan da, besuchte das Gymnasium in Iseo und half auf dem Hof. Zuerst war das für mich wie eine Verbannung. Aber dann gefiel es mir immer besser. Zuerst, weil das Terroir gut war fürs Offroad-Racing, später faszinierte mich immer mehr der Weinbau.
Und wie wurden Sie dort draussen auf dem Land infiziert mit dem Virus der Begeisterung für den Anbau von Qualitätsweinen?
Es gibt zwei zentrale Erlebnisse. Schon nach kurzer Zeit in Ca’ del Bosco schrieb ich mich für eine Bildungsreise für Gutsbesitzer ins Burgund und die Champagne ein.
«Wir pflegen in unserem Keller Vintage-Spezialitäten, die seit 1980 auf der Hefe reifen und nur auf Anfrage degorgiert werden.»
Wegen des Systems der Naturalpacht, der Mezzadria, arbeiteten die meisten grossen Landgüter in der Lombardei schon damals mechanisiert, um hohe Erträge zu erwirtschaften. Als wir zur Domaine de la Romanée-Conti kamen, die ich übrigens vor diesem Besuch noch nicht kannte, sahen wir Pferde in den Rebbergen sowie alte Fässer und traditionelle Korbpressen im Keller. Meine Mitreisenden, allesamt italienische Grossgrundbesitzer, spotteten über diesen in ihren Augen mittelalterlichen An- und Ausbau. Aber ich merkte intuitiv, dass es hier um eine ganz andere Form von Weinbau ging als die, welche wir damals bei uns zuhause betrieben.
Und das zweite Schlüsselerlebnis?
Um 1977 herum präsentierte ich unsere ersten Weine an einer Fachmesse in Genua. Da lernte ich Luigi Veronelli kennen, und wir verstanden uns sofort sehr gut. Ich war damals knapp 20 Jahre alt, er um die 50 und hatte Probleme mit den Augen. So wurde ich sein Fahrer. In den folgenden Jahren reiste ich mit ihm zu Persönlichkeiten wie Baron Philippe de Rothschild in Bordeaux oder Remy Krug in Reims, und verschiedene Male trafen wir auch André Tchelistcheff, damals die prägende Figur in der aufstrebenden Weinszene im Napa Valley. Vor allem aber war Luigi Veronelli eine charismatische Persönlichkeit, ein Philosoph, ein Anarchist und ein Autor mit grosser Liebe für die Landwirtschaft und den Weinbau. Nach fünf Jahren mit ihm wusste ich alles, was ich wissen musste, vor allem dass man sein Ding machen muss, ohne Kompromisse, was die Qualität angeht.
So weit, so gut, aber was bedeutete diese Erkenntnis für die Praxis im Weingut?
Nun, dass wir in der Franciacorta in Bezug auf das Terroir die Möglichkeit haben, hervorragende Schaumweine zu produzieren, stand ausser Frage. Und es gab ja damals auch schon Produzenten wie Berlucchi, die gute Arbeit leisteten. Aber ich war mir sicher, dass uns ein Kellermeister aus der Champagne noch viel weiterbringen konnte. Darum schaltete ich 1978 eine Stellenanzeige in einer Tageszeitung im Marnetal und führte dann Gespräche mit rund zehn Kandidaten. Der erste, der als Berater zu uns kam, ging nach ein paar Tagen wieder nach Hause. Da erinnerte ich mich an das Vorstellungsgespräch mit jenem älteren Herrn, der jahrzehntelang beim Champagnerhaus Philipponnat gearbeitet hatte, aber nach einem Generationenwechsel in der Führung des Hauses eine neue Herausforderung suchte. Es sollte sich herausstellen, dass dieser Mann genau der richtige für uns war.
Sie scheinen noch heute überrascht zu sein, wenn Sie davon erzählen…
Nun, Sie müssen sich vorstellen, André Dubois war damals schon 60 Jahre alt, hatte sein ganzes Berufsleben in der Champagne verbracht, sprach kein Wort Italienisch und war noch nie in seinem Leben in ein Flugzeug gestiegen. Er fuhr also zusammen mit seiner Frau mit dem Auto von Reims zu uns nach Erbusco, um herauszufinden, ob das hier eine Option für ihn sein könnte. Als Erstes fragte er, ob er und seine Frau auf dem Hof einen Gemüsegarten anlegen dürften. Dann ging er in den Keller, den ich kurz zuvor neu ausgestattet hatte, und meinte, dass er mit diesem Equipment nicht arbeiten könne. Er wollte einen klassischen Champagner-Keller mit Korbpresse und so weiter. Ich war skeptisch, erfüllte ihm aber seinen Wunsch und verkaufte all die neuen Maschinen wieder. Danach blieb er ab 1979 für zwölf Jahre bei uns und verhalf Ca’ del Bosco zu dem Ruf, den wir heute geniessen.
Für viele Fachleute, aber auch für die Connaisseure hängt die Qualität eines Prestige-Schaumweins vor allem von einer möglichst langen Reifezeit auf der Hefe ab. Ist das für Sie auch der entscheidende Punkt?
Nun, es gibt nicht diesen einen entscheidenden Punkt, viele Faktoren spielen eine Rolle, aber das Hefelager ist sicher sehr wichtig. Das wussten wir schon damals, als André Dubois zu uns gestossen ist. Darum haben wir vom Jahrgang 1980, dem ersten, welchen André Dubois voll verantwortet hat, ein paar spezielle Grundweine selektioniert, von Top-Parzellen mit hoher Stockdichte von 10 000 Reben, und haben diesen Wein dann nach der zweiten Gärung in der Flasche bis heute, also weit über 40 Jahre, auf der Hefe reifen lassen, die ersten sieben Jahre liegend, danach «sur point». Dieser Wein, der Annamaria Clementi R.S. Vintage 1980, ist der exklusivste Schäumer in unserem Programm und wird nur auf Anfrage degorgiert.
Würden Sie sagen, dass Ihr Konzept zur Herstellung von Top-Franciacorta- Schaumweinen heute abgeschlossen ist, also dass Sie weitgehend alles getan haben, was möglich ist?
Wissen Sie, das ist das Schöne an meinem Job. Man ist nie fertig. Wir haben es beispielsweise geschafft, im herausfordernden Klima der Franciacorta alle unsere Rebberge, insgesamt mehr als 210 Hektar, auf biologischen Anbau umzustellen. Das war nicht einfach. Und es war nicht der letzte Meilenstein unseres Engagements. Kürzlich haben wir eine Anlage zum Waschen und Trocknen der Trauben vor der Vinifizierung in Betrieb genommen. So was sehen Sie heute noch kaum in einer anderen Schaumweinkellerei. Ich bin stolz darauf.
Ihr Vater hatte also ein glückliches Händchen, als er Sie damals in die Franciacorta verbannte. Hat er den Erfolg von Ca’ del Bosco noch miterleben können?
Ja, als mein Vater im Jahr 1999 starb, war Ca’ del Bosco schon ein erfolgreiches Projekt und in Italien, aber auch international bekannt. Doch mein Vater hat nie viele Worte darüber verloren. Er war in seiner Art sehr zurückhaltend, ein erfolgreicher Geschäftsmann, der Wert darauf legte, nie in den Medien zu erscheinen. Im Gegensatz dazu war Ca’ del Bosco natürlich ein Dauerthema in der Wein-, Kultur- und Genusspresse. Im Stillen war er sicher stolz darauf.
Inzwischen sind Sie selber auch schon 67 Jahre alt. Denken Sie ans Aufhören? Sie fahren ja gerne Motorrad, wie wär’s mit einem Trip um die Welt?
Ja, Motorradfahren ist eine Leidenschaft, aber Ca’ del Bosco noch immer eine viel grössere. Ich nehme mich schon jetzt etwas aus dem Tagesgeschäft zurück. Aber es macht mir immer noch sehr viel Spass, dieses Projekt weiter voranzutreiben.