Der neue Bocksbeutel: Schlank, aber nicht mehr sexy

04.01.2016 - R.KNOLL

DEUTSCHLAND (Würzburg) - Es waren relativ lange Geburtswehen. Bereits vor gut einem Jahr verkündeten Repräsentanten des Fränkischen Weinbauverbandes, dass der traditionelle Bocksbeutel bald ein neues Design bekommen würde. Mitte Dezember war es dann endlich soweit: „Frankens Selbstbewusstsein hat Gestalt angenommen mit dem Bocksbeutel PS“, verkündeten Weinbauverband und die Bayerische Landesanstalt für Weinbau und Gartenbau, die eine erste Füllung in limitierter, nummerierter Auflage mit einem ausgezeichneten Silvaner des Jahrgangs 2014 vornahm.

 

Die neue Version des Bocksbeutels ist etwas weniger bauchig als der Vorgänger, bleibt aber Grün in der Farbe. Diese Angabe ist deshalb nicht ganz unwichtig, weil einmal der für sie verantwortliche Star-Verpackungsdesigner Peter Schmidt aus Hamburg (Frankenwein-Fan, gebürtig im fränkischen Bayreuth) unter anderem für den lilafarbenen Kuh-Auftritt von Milka verantwortlich war, sich aber dieser Farbgebung hier wohl verweigerte. Außerdem bekam die Bocksbeutel-Farbe Ende der neunziger Jahre besondere Bedeutung in Franken, als der Staatliche Hofkeller die Bauchflasche in glänzendem Blau auf den Markt brachte. Das irritierte viele im fränkischen Weinland, diese Farbgebung für die Traditionsflasche war sehr umstritten. In Erinnerung blieb ein Abend mit dem Bayerischen Fernsehen mit Moderatorin Carolin Reiber in Volkach, als das Thema angesprochen wurde und der Schreiber dieser Zeilen vor laufender Kamera nach seiner Meinung gefragt wurde. Die Antwort war schlicht: „Ist eigentlich egal, welche Farbe der Bocksbeutel hat, Hauptsache der Inhalt ist gut. Aber das ist leider nicht immer der Fall.“ Nach Ende der Sendung beschwerte sich die damalige fränkische Weinkönigin, ob ich denn nicht wisse, dass es ein Mindestmostgewicht für Wein im Bocksbeutel gibt. Ist bekannt, lautete die Antwort. Aber mit den damals 70 Grad Oechsle (heute 72 Grad) dürfe in Österreich kein Qualitätswein produziert werden.

Das Thema Qualität spielte beim Bocksbeutel immer eine besonders große Rolle, schon seit der offiziellen Einführung der Bauchflasche anno 1728. Damals verfügte der Würzburger Stadtrat „zur Steuerung allenfallsiger Handelsmißbräuche“, die in den Kellern des Würzburger Bürgerspitals lagernden 1718er Weine in Flaschen von einer Maß Inhalt zu füllen und diese zur Garantie für Echtheit mit dem Stadtsiegel zu versehen. Die bauchige Flaschenform gab es vorher schon in verschiedenen Varianten. Unter anderem gibt es die Geschichte von weinbautreibenden Benediktinerinnen, die im 7. Jahrhundert in Ochsenfurt und Kitzingen wirkten, mit der Auflage, sich beim Weingenuss enthaltsam zu zeigen. Doch die Damen nahmen sich flache, abgerundete Flaschen, füllten sie mit Wein und verpackten sie in ihren „Booksbüdel“ (Buchbeutel), bevor sie sich nicht nur zum Gebet zurückzogen.

Weil sich der Bocksbeutel nach 1728 allmählich zu einem fränkischen Qualitätssymbol entwickelte, gab es immer wieder Nachahmer oder ähnliche Versionen, unter anderem in Gumpoldskirchen, Südtirol und vor allem in Portugal. Letztere „Cantil“-Flasche für den Markenwein Mateus Rosé aus Portugal, die sich vom Bocksbeutel durch einen längeren Hals unterscheidet, ärgerte die Franken besonders. Denn mit einer stattlichen Auflage von jährlich 50 Millionen Buddeln sicherte sich dieser Rosé viel Platz in den Regalen des weltweiten Handels. Auch in deutschen Landen gab es Konkurrenz. Legitim ist sie aus der Tradition heraus in vier Gemeinden in der Ortenau (Steinbach, Neuweier, Umweg, Varnhalt) sowie im badischen Tauberfranken (früher Bereich Badisches Frankenland). Auch Erzeuger in Bühl-Eisental versuchten sich am Bocksbeutel. Die dortige Winzergenossenschaft stieg, nachdem sie in Franken auf Widerstand stieß, 1971 um auf eine flache Flasche in dreieckiger Form, die gesetzliche geschützte „Buddel“. Die Franken gingen zwar gerichtlich dagegen vor, blieben aber in drei Instanzen erfolglos. Die letzte große Auseinandersetzung gab es 1983 vor dem Europäischen Gerichtshof. Hier wurde den Franken mitgeteilt: es gibt keinen Markenschutz für den Bocksbeutel! 1989 erlangten sie dann noch Urheberrechtschutz für die deutschen Anbaugebiete.

Bleibt noch zu erwähnen, wie es zum Namen kam. Den zur Tarnung genutzten „Booksbüdel“ hatten wir schon. Weit verbreitet ist die Definition, dass sich der Name vom optisch ähnlichen Hodensack des Ziegenbocks ableitet. Dieser galt in der mittelalterlich-christlichen Symbolik als Sinnbild der Völlerei. In der Mythologie war er Begleiter von Weingut Dionysos – der Zusammenhang mit Wein ist also gegeben. Sicher ist auf jeden Fall, dass er – obwohl gelegentlich als „Boxbeutel“ bezeichnet – mit dem Faustkampf nichts zu tun hat.

Wohl aber gab es eine Zeit, in der die fränkische Winzerschaft durch Billigfüllungen mit sehr schlichtem Inhalt im Supermarkt-Regal immer wieder mit dem Bocksbeutel k.o. ging. Deshalb stiegen etliche Erzeuger zumindest teilweise auf andere Flaschenformen um, weil das Image der Bauchflasche nicht mehr zuverlässig war. Zuletzt entfielen von den rund 45 Millionen Flaschen Frankenwein nur mehr allenfalls ein Drittel auf den Bocksbeutel. Die Neueinführung kommt vielleicht gerade noch zur rechten Zeit, um den Niedergang des fränkischen Wein-Markenzeichens zu bremsen. Jetzt soll der „Bocksbeutel PS“ für die positive Entwicklung Weinfrankens in den letzten Jahren stehen und ein Symbol sein „für großen Wein in einer Flasche mit großem Design“ (so Weinbaupräsident Artur Steinmann). 

Im Juli 2016 sollen die ersten normalen Füllungen auf den Markt kommen. Die „Evolution einer uralten Form“ (Peter Schmidt) hat gute Voraussetzungen, sich mit Leben zu erfüllen, da die Natur den Franken einen erstklassigen Jahrgang 2015 schenkte. Wie es um die Akzeptanz bei den Erzeugern bestellt ist, wird abhängig sein vom Flaschenpreis, der Stabilität der Flaschen (die Einführung verzögerte sich wegen Glasbruch bei Tests) und den Lieferkapazitäten der produzierenden Glashütte. Die große Gebietswinzergenossenschaft in Kitzingen-Repperndorf hat bereits angekündigt, dass sie selbstbewusst vorangehen wolle und im Sommer auf „PS“-Füllungen umstellen werde. Einen Nachteil hat die schlanker anmutende, etwas kantigere Flasche freilich. Dem alten Bocksbeutel attestierten phantasievolle Winzer, er sei in seiner runden Formgebung richtig sexy. Das ist jetzt wohl nicht mehr der Fall…