Virgin Mary

Saufen ohne Kater: Erstes alkoholfreies Pub in Irland

Text: Arthur Wirtzfeld | Veröffentlicht: 10. August 2019


Saufen ohne Kater: Erstes alkoholfreies Pub in Irland

IRLAND (Dublin) – Was hat das irische Inselvolk schon alles erlebt – Auswanderungswellen Ende des 19. Jahrhunderts, Unterdrückung, Hungersnöte, Wirtschaftskrisen und Glaubenskriege. Doch Alkoholkontrollen treiben die Iren, vor allem den Bevölkerungsteil auf dem Lande, in Verzweiflung und zivilen Ungehorsam. Ein Guinnes, ein Whisky – was soll's? Der Ire, entfernt von den wenigen urbanen Zentren wohnend, kennt die schmalen Straßen nach Hause, was kümmert ihn da sein Alkoholpegel.

Was auf dem Land (noch) unmöglich scheint, hat eine Kneipe in Dublin umgesetzt. Im „Virgin Mary" gibt es seit diesem Frühjahr statt Guinness und Whiskey alkoholfreie Biere und Weine mit null Prozent Alkohol. Hier in Irlands Hauptstadt, in der traditionelle Pubs mit Starkbier und Hochprozentigem die Kneipenszene bestimmen, ist dieses Angebot ein Novum. Die Iren auf dem Land reiben sich die Augen, so unglaublich ist ein Pub, in dem man nicht besoffen werden kann. So steht das „Virgin Mary“ nach Meinung irischer Traditionalisten nicht für einen Wandel, sondern eher für eine Ausnahme, eher für eine spleenige gastronomische Idee.

„Das Trinken ist in der Gesellschaft hier verwurzelt“, wird Mitgründer Vaughan Yates in der Presse zitiert. „Aber wenn man sich die Iren ansieht, sind sie eine sehr fortschrittliche und liberale Nation, sehr offen für Veränderungen“, gibt sich der 51-Jährige optimistisch. „Weltweit findet ein echter kultureller Wandel beim Alkohol statt. Wir sind an vorderster Front dabei“, meint er. Sein Geschäftspartner Oisin Davis betont, dass in vielen Pubs der Stadt zunehmend alkoholfreie Alternativen angeboten würden, was, in Anbetracht irischer Tradition, eher Zweifel als Glauben schürt.

Wellness-Bewegung

Auch Irland überrollt derzeit die Extraversion – angetrieben von Online-Plattformen wie Instagram, Facebook und anderen. Viele Drinks im „Virgin Mary“ werden szene-kompatibel exotisch dekoriert und in feinen Gläsern serviert – perfekt für Fotos in den sozialen Medien, die dann auf den einschlägigen Plattformen gepostet werden können, verbunden mit dem nonchalant zu verstehenden Hinweis, dass am nächsten Tag kein „Kater“ droht.

„Es gibt auch bei uns diese Wellness-Bewegung. Unsere Drinks spiegeln dies wahrscheinlich wider“, sagt Yates. In Dublin wurde gerade ein Wellnessfestival veranstaltet mit Yogalehrern, Experten für Gelassenheit und Ernährungswissenschaftlern. Die Welle bewusster Ernährung, nachhaltigem Lebensstils schwappt auf die Insel. Kuhmilch-Alternativen wie Hafer- oder Kokosdrinks gehören in den Cafés der irischen Hauptstadt zum guten Ton. Nur am Rande vermerkt: Parallel steigert Irland seine Milchproduktion auf einen Höchststand von jährlich über 7 Millionen Tonnen – über 20 Prozent irischer Milch kommen auf den EU-Markt.

Konsum von Alkohol nimmt zu

Für die Iren auf dem Land sind alkoholfreie Getränke neumodischer Kram, was meist mit Kopfschütteln kommentiert wird. Fakt ist, der Alkoholkonsum im Land nimmt weiter zu, wie die Organisation Alcohol Action Ireland bestätigt. „Wir verzeichnen eine beunruhigende Zunahme sowohl beim Pro-Kopf-Konsum wie auch bei der Zahl der Konsumenten“, sagt Geschäftsführerin Sheila Gilheany. Laut der Organisation tranken 2010 noch etwa 82 Prozent der Bevölkerung Alkohol, so seien es heute schon 84 Prozent. „Die Bilder und Kommentare in den sozialen Medien über alkoholfreie Alternativen vermittelten ein falsches Bild“, sagt Gilheany. 

Diese Ansicht unterstützt eine Studie der Weltgesundheitsorganisation zum Komasaufen – demnach wurde Irland 2014 auf Platz zwei von 194 Ländern, hinter Österreich gelistet. Das Land wurde von dieser Zahl wachgerüttelt, seither versucht die irische Regierung gegenzusteuern. Im Spätherbst letzten Jahres  verabschiedete das Parlament ein Gesetz, das Krebswarnungen auf Alkoholetiketten vorschreibt. Gesundheitsminister Simon Harris kommentierte damals: „Die zerstörerische Kultur ums Trinken müsse sich ändern.“

Wir sind keine Saftbar

Nun hat sich das Team des „Virgin Mary“ durchaus Gedanken gemacht und die Angebote der 750 traditionellen Pubs der Stadt analysiert und versucht, eigene Kredenzen zu entwickeln. Statt Guinness fließt ein dunkler, cremiger „Nitro Coffee“ aus dem Bierhahn. Die Kühlschieber sind mit alkoholfreiem Bier gefüllt. Zutaten für alkoholfreie Cocktails, etwa eine kalte Kaffeemischung und alkoholfreier „Sauerkirschlikör“, sind trendy – das Interesse der jungen Kneipenszene dafür ist vorhanden, jedenfalls in der Hauptstadt. Viele Getränke tragen den Namen des Lokals, haben Tomatensaft als Grundlage, gewürzt mit Muskat, Gurke und Limette.

„Wir wollen keine der vielen Saftbars sein, die zumeist tagsüber geöffnet haben. Wir haben unsere Öffnungszeiten denen der traditioneelleen Pubs angepasst. Als wir anfingen war es spannend, die Stimmung zu spüren. Aber nachdem am ersten Abend der Laden voll war, konnte man die Stimmung von einem Alkohol-Pub nicht mehr zu unterscheiden“, erläutert Bar-Chefin Anna Walsh. Und die Feststellung des Gastes, Paula Gearty, die als eine der Ersten das alkoholfreie Pub besuchte, wird in den regionalen Medien zitiert: „Es ist ganz schön, mal was anderes zu haben. Mit meinen Arbeitskollegen haben wir einen alkoholfreien Weißwein probiert. Die Szene im Virgin Mary gefällt uns. Es bleibt zu hoffen, dass sich der Pub ohne Alkohol in Dublins umkämpfter Kneipenszene behaupten kann.“

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