Orange-Weine: Neue Farbe im Spiel

28.10.2013 - R.KNOLL

ÖSTERREICH (Wien) - Ein neuer Begriff macht in der Weinszene die Runde. Er wird unterschiedlich interpretiert. Und es hat den Anschein, als ob manche Erzeuger meinen, sie könnten den Wein neu erfinden und neue Geschmacksdimensionen erreichen. Derartige Weine sind schon relativ weit verbreitet. Nach einem ersten „Orange Wine Festival“ in Österreich vor einem Jahr sind am 28. Oktober wieder in Wien beim zweiten derartigen Festival rund 50 Winzer mit etwa hundert Weinen aus Österreich, Slowenien, Kroatien und Italien dabei. Aus Österreich sind einige prominente Namen wie Loimer, Muster, Wimmer-Czerny, Preisinger und Strohmeier vertreten.

 

Aber die Frage ist, ob deren Weine und die von anderen Erzeugern, die ein „zurück zur absoluten Natur“ predigen, überhaupt als Orange-Weine durchgehen. Grundsätzlich versteht man darunter Weißweine, die wie Rotwein ausgebaut werden, also auf der Maische verbleiben und nicht sofort oder nach einigen Stunden Standzeit abgepresst werden. Im weiteren Sinn gehören der Verzicht auf Reinzuchthefen, Zusatz von schwefeliger Säure und die Filtration sowie der Ausbau in Amphoren in diese Kategorie. Doch längst nicht alle sind sie hochfarbig. Vielfach schmecken sie ganz normal und haben auch nicht die Gerbstoff-Struktur, die eine Reihe der „neuen Weine“ vom klassischen Ausbau unterscheidbar macht. Ob sie besser sind? Für den, der gern auf Holz beißt, vielleicht. Denn lange Maischestandzeiten bei Weißweinen sorgen nun mal meist dafür, dass Bitterstoffe in den Wein übergehen. Ein paar oberschlaue Sommeliers, die kürzlich bei einer Veranstaltung des Weinhändlers Linke in München dabei waren, schwärmten von neuen Stilistiken und Perspektiven, für die man Gäste begeistern könne. Die Weine, die sich bei der Probe in den Gläsern befanden, waren indes alles andere als bezaubernd und vermittelten keinerlei Trinkspaß. Der Hinweis, man müsse sie halt ein paar Tage vorher öffnen, zog nicht so recht.

Probiert wurden zwei Nosiola aus dem Trentino, ausgebaut in Amphoren mit mehrmonatiger Standzeit auf der Schale. Die Weine wirkten streng, strapaziert und säurebetont. Statt der „anderen Welt“, die die Winzerin hier erkannte, kam Sehnsucht nach einem klassischen Nosiola auf. Eine weiße Cuvée aus der Südsteiermark, die in Internet-Foren bejubelt wird, ließ im Aroma an die erste Begegnung mit solchen Gewächsen erinnern. „Unsauberer Putzlappen“ wurde damals notiert und jetzt mit der kritischen Nase erneut festgestellt, dass die Hygiene im Keller bei diesem Betrieb wohl nicht ganz weit oben steht. Besser wurde es mit einem Weißwein aus dem Friaul, der aber nur gut sechs Wochen auf der Maische stand und dann zwei Jahre im großen Holzfass reifte. Mit etwas weniger Alkohol wäre der Wein sogar als gut zu bezeichnen, ebenso wie eine weststeirische Cuvée aus Weißburgunder und Chardonnay, die deshalb als Orange-Wein eingestuft wurde, weil hier kein zugesetzter Schwefel im Spiel war (dafür einige Milligramm aus der Natur, die durchaus stützend wirken können).

Sicher nicht als Orange-Weine gelten die Grauburgunder, die länger auf der Maische stehen und aufgrund ihrer rötlichen Beerenhaut dabei roséfarben werden. In Baden und Württemberg wird so etwas gelegentlich gemacht; dem vorprogrammierten Ärger mit der Weinprüfung wird durch die Deklaration als „Deutscher Wein“ (der frühere Tafelwein) ausgewichen. Der Vin Jaune aus dem französischen Jura, der viel Tradition hat, steht nicht in Gefahr, von den „orangen Wein-Revolution“ erfasst zu werden, obwohl der Wein von der weißen Sorte Savagnin hochfarbig ist, über sechs Jahre in einem Barriquefass liegen muss und im eigenwilligen Geschmack an Sherry erinnert.

Eine immer wichtigere Rolle in diesem Konzert spielen offenbar die Amphoren, die mal im Keller stehen oder auch – wie es in Georgien seit Jahrtausenden üblich ist – in die Erde vergraben sind. Grundsätzlich ist es nicht so, dass Wein aus Amphoren anders schmecken muss als ein normaler Wein. Der erste Amphorenwein des Berichterstatters, getrunken im Dezember 2003 bei einem Weinbauern in der georgischen Region Kachetien, war hell, klar, kernig und erinnerte an einen soliden Silvaner aus Rheinhessen. Erst vor kurzem waren zwei 2011er aus den autochthonen georgischen Weißweinsorten Kisi und Mtsvane an der Reihe, die beide in den Amphoren (Qvevri) vergoren und dann in diesen Behältnissen sechs Monate gelagert wurde. Das Ergebnis: hochfarbig, kraftvoll, würzig, im Aroma etwas Dörrobst und Honig, eher sanft im Gerbstoff, aber sehr stabil im Anbruch über etliche Tage hinweg.

Das Gegenstück ein paar Tage zuvor kam von einem namhaften Pfälzer Weingut. Die Cuvée von Gewürztraminer und Grauburgunder stand vier Monate in der ebenerdig abgestellten Amphore (aus Spanien) auf der Maische und wurde unfiltriert gefüllt. Ein phantasievoller Autor lobte in „Die Welt“: „Enormer Druck. Experiment gelungen. Schnell zuschlagen.“ Unsere Runde spuckte die ersten Schlucke wieder aus und kam einheitlich zur Feststellung: „Missraten. Strapaziert. Flach.“

Schlau sind die Vertreter der orangen Richtung, weil sie Winzer, die schon immer Weine nach alter Väter Sitte erzeugen, mit ins Boot holen. Ein typisches Beispiel dafür ist der ehemalige Maschinenbau-Ingenieur Mladen Roxanich in Istrien (Kroatien), der 2005 seinen ersten Wein machte, bei seinen hochfarbigen Weißen Maischestandzeiten von acht bis 100 Tagen praktiziert und sie anschließend noch mindestens drei Jahre im großen Holzfass ausbaut. Er gilt in der Branche inzwischen als Orange-Winzer – obwohl er eigentlich nur Wein nach seinen Möglichkeiten im Keller macht und es hier fertig bringt, viel Spannung und Komplexität zu erzeugen. Vielleicht kann er mit seiner Qualität als Vorbild für die hochfarbige Szene dienen. Nicht wenige aus dieser Runde betreiben mit ihrer Richtung eher Marketing und scheinen darauf zu vertrauen, dass viele Genießer geschmacklich nicht mündig sind.