Bestellschein im Abort begründete Charlies Weinetiketten

26.01.2015 - arthur.wirtzfeld

FRANKREICH (Bordeaux) - Der Terroranschlag auf die französische Satirezeitung Charlie Hebdo, ausgeübt von einer Terrorzelle der Al-Qaida aus dem Jemen, hat die Gesellschaft tief bewegt und ein solidarisches Mitgefühl ausgelöst. Unter den Getöteten waren fünf der begabtesten und berühmtesten Karikaturisten des Landes. Drei von Ihnen gehörten auch zu den „wildesten“ Designern von Weinetiketten. „Sie waren meine Freunde“, sagt der 65-jährige Winzer Gérard Descrambe. 

 

Seit mehr als vierzig Jahren zieren Charlie Hebdos Karikaturen die Etiketten von Descrambes Weinen. Die Zeichnungen variieren von seelig Betrunkenen bis hin zu sexuellen Anspielungen, alle gepaart mit einem suggestiven Humor. „Der Geist der Karikaturisten brachte alle zum Lachen und ließ sie über den größten Schwachsinn schmunzeln. Und die allergrößten Schwachsinnigen haben sie jetzt getötet“, sagt Descrambe.

Die Karrieren der Etikettendesigner begannen in den 1970iger Jahren, als Gérard Descrambe und sein Bruder Christian das Château Barrail des Graves, gelegen in St. Sulpice de Faleyrens (Appellation St.-Emilion), vom Vater übernahmen. Gérard hatte Kommunikation studiert und wollte nie in die Weinbranche. Doch die Gesundheit seines Vaters zwang ihn, in den Betrieb einzusteigen. Damals war Bordeaux in einer Krise und Gérard suchte Möglichkeiten, seine Weinetiketten von denen anderer Erzeuger zu unterscheiden.

„Wir stellten uns Anfang der 1970iger Jahre die Frage, was können wir tun“, berichtet Gérard Descrambe. „Unser Vater hatte 1954 begonnen, die Weinberge biologisch zu bewirtschaften. Als ich übernahm war Bioweinbau weder ein Thema der Winzerschaft noch interessierten sich Konsumenten dafür. Die einzigen Leute, die ich kannte und die mit Ökologie was anfangen konnten, waren bei Charlie Hebdo.“ Und so schrieb Gérard einen Brief an Georges Bernier, Gründer von Charlie Hebdo, in dem er vorschlug, wenn Bernier Wein bestellen würde, würde er (Gérard Descrambe) den Bestellschein in der Toilette der Kellerei aufhängen. „Und das“, sagt Descrambe, „war der Beginn einer wunderbaren Liebesgeschichte.“

Und so begann eine Designserie von über 50 „derben“ Etiketten für Château Barrail des Graves – etwa die Hälfte aller Etiketten, die andere Hälfte zieren traditionelle Motive – an der über die Jahre 18 Karikaturisten von Charlie Hebdo beteiligt waren. „Es war immer meine Philosophie mit Wein auch Spaß zu haben“, erklärt Descrambe. „Es gibt zu viele Produzenten in Bordeaux, die nicht wissen, dass Wein auch Spaß bereitet. Sie nehmen alles viel zu ernst – sie zelebrieren einen Ritus.“

Am 7. Januar dieses Jahres war Gérard Descrambe im Weingut als er eine SMS von seinem Sohn erhielt: „Schüsse auf Charlie Hebdo“, war die knappe Botschaft. „Ich wusste sofort was passiert ist, denn mir war bekannt, dass Charlie Hebdo schon seit Jahren Todesdrohungen von militanten Islamisten erhielt“, sagt Descrambe. Drei seiner engsten Freunde Stéphane Charbonnier (Pseudonym: Charb), Georges Wolinski und Bernard Verlhac (Pseudonym: Tignous) waren unter den zwölf getöteten Redakteuren und Mitarbeitern. „Ich hoffe sehr, dass ihr Tod etwas ändern wird“, sagt Descrambe. „Humor ist unerlässlich, er lässt die Verzweiflung verschwinden."